Kasuistik
Eine 63-jährige Patientin verletzte sich bei einem Sturz den rechten Oberarm. Im Rahmen der ärztlichen Erstversorgung im Krankenhaus wurde kein Funktionsausfall der Streckmuskulatur diagnostiziert. Röntgenologisch wurde ein Oberarm-Schaftbruch festgestellt, der vier Tage nach dem Unfall im selben Krankenhaus offen zurechtgestellt und mit einer Platte osteosynthetisch stabilisiert wurde. Postoperativ wurde eine Radialisparese diagnostiziert, die zwei Tage später neurologisch bestätigt wurde. Von Seiten der Krankenhausärzte wurden ein Zuwarten und eine Verlaufskontrolle vereinbart.
Im Elektromyogramm und bei der Messung der Nervenleitgeschwindigkeit vier Wochen später wurde ein Funktionsausfall der Nervenfasern des Nervus radialis dokumentiert (Axonotmesis) und nach weiteren neun Wochen erfolgte anderenorts eine operative Revision und die Versorgung der Defektstrecke des Stammnervens (Neurotmesis) mit einem Nervus suralis-Interponat vom rechten Unterschenkel. Postoperativ kam es nur zu einer initialen Innervation des Musculus brachioradialis. Die Patientin kann die Hand weiterhin kaum heben.
Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Die Patientin nimmt an, dass bei der Operation ein Nerv fehlerhaft unter die Platte gearbeitet worden sei.
Stellungnahme Krankenhaus
Auf den Vorwurf fehlerhaften Handelns wurde mit einer eigenen Darstellung des Sachverhaltes reagiert. Behandlungsfehler wurden in Abrede gestellt.
Gutachten
Der unfallchirurgische Gutachter trifft folgende Kernaussagen:
Es habe eine Indikation für einen operativen Eingriff am rechten Oberarm bestanden. Allerdings sei dabei fehlerhaft der Radialisnerv nicht dargestellt worden sei.
Die Nachbehandlung in der Verantwortung des Krankenhauses sei auch fehlerhaft gewesen, da ein Abwarten auf neurophysiologische Ergebnisse nur in den Fällen empfohlen sei, bei denen der Schaden primär durch das Trauma entstanden sei. Man hätte direkt nach der postoperativ bekannten Radialisparese revidieren müssen. Die verbliebenen Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigungen am rechten Arm würden für eine fehlerhafte operative Primärversorgung und eine fehlerhafte Nachbehandlung sprechen.
Nach einer Frührevision des Nervens wäre es zu einer vorübergehenden Funktionsstörung für einen deutlich kürzeren Zeitraum gekommen. Fehlerbedingt seien langanhaltende Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Armes eingetreten. Die Chancen einer Wiederherstellung der Nervenfunktion wären bei einer direkten Druckentlastung deutlich größer gewesen.
Entscheidung der Schlichtungsstelle
Die Schlichtungsstelle schließt sich dem Gutachten im Ergebnis an.
Das ärztliche Vorgehen war fehlerhaft, weil intraoperativ keine Nervendarstellung erfolgte und die iatrogene Schädigung des Nervus radialis nicht zeitnah postoperativ korrigiert wurde. Bei einer intraoperativen Nervendarstellung wäre es hinreichend nicht zu der Einklemmung des Nervens gekommen, weil der Verlauf des Nervens bekannt gewesen wäre.
Durch das fehlerhafte Vorgehen ist es zu der Notwendigkeit einer Revisionsoperation mit Nerveninterponat inklusive der dadurch entstehenden Beschwerden und einem deutlich verlängerten Behandlungsverlauf gekommen. Auch der fortbestehende schwere Radialisschaden ist als fehlerbedingt zu bewerten.
Fazit
Durch das Anpralltrauma des rechten Oberarmes kam es primär nicht zu einer Parese des Nervus radialis (TNRP), sondern iatrogen im Zusammenhang mit der Plattenosteosynthese. Die postoperative Läsion des Nervus radialis war sekundär Folge der Fehlverplattung, bei der der Nerv zwischen Platte und Knochen geriet. Dies wurde beim Revisionseingriff bestätigt.
Aufgrund der anatomischen Disposition besteht die Gefahr, den Nervus radialis iatrogen zu schädigen. Der Nervus radialis windet sich schraubenförmig in Begleitung der tiefen Oberarmarterie eng am Knochen anliegend um das mittlere Drittel des Humerus.
Der Operateur hatte den Nerven nicht sicher identifiziert. Das Gefäß-Nervenbündel muss im Schaftbereich als Ganzes unterfahren, angezügelt und nach lateral weggehalten werden. Die Mobilisation darf nur so weit erfolgen, wie sie für die Reposition der Fraktur und Verplattung erforderlich ist. Hakendruck sollte vermieden werden. Die intraoperativ entstandene Radialisläsion führte zu einer kompletten Lähmung der radialen Handstrecker und zum klassischen Bild einer Fallhand mit sensiblen Ausfällen.
Bei der zeitgleich mit der Osteosynthese aufgetretenen Radialisparese bestand eine absolute Indikation für eine operative Revision. Eine schnellstmögliche Versorgung der schlaffen Lähmung war angezeigt.
Literatur:
Schacher, B. et al.: Paresen des N. radialis bei Humerusschaftfrakturen; Obere Extremität: 2015