Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Akutes Nierenversagen infolge kontraindizierter Kontrastmittelapplikation

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 09/2006

Kasuistik

Ein 83-jähriger Mann stand wegen folgender Krankheiten in regelmäßiger ärztlicher Behandlung:

  • koronare Herzkrankheit, Zustand nach Herzinfarkt, Herzinsuffizienz
  • Diabetes mellitus, auf Tabletten eingestellt, aber mit kritischen Blutzuckerwerten
  • diabetische Nephropathie mit konstant leicht erhöhtem Kreatinin-Wert (2,0 – 2,96 mg/dl) und Proteinurie

Die Entwicklung einer Heiserkeit, einhergehend mit einer linksseitigen Parese des Nervus laryngeus recurrens, war Anlaß, radiologisch nach einem mediastinalen Prozeß zu fahnden. In einer Röntgenpraxis wurde eine CT-Untersuchung der Schädelbasis, der Halsweichteile und der Thoraxorgane durchgeführt. Zu dieser Untersuchung wurde dem Patienten 125 ml des Röntgenkontrastmittels Omnipaque 300 injiziert. Am Tage nach dieser Untersuchung erfolgte eine dringliche stationäre Aufnahme in einer Medizinischen Klinik wegen akuter Atemnot. Bei der Aufnahme wurden zunächst ein Lungenödem und eine Anurie festgestellt, der Kreatininwert war auf 3,0 mg/dl angestiegen. Unter Dialysebehandlung, die insgesamt 3 Wochen fortgesetzt wurde, kam die Diurese wieder in Gang, der Kreatininwert ging auf den Ausgangswert zurück. Die wegen der erniedrigten Kreatinin-Clearance angebotene Dauerdialyse lehnte der Patient ab.

Wegen der fortbestehenden kardialen Dekompensation mit Arrhythmie, Dyspnoe, Ödemeinlagerung, Ventrikeldilatation, verblieb der Patient nach Überwindung der akuten Niereninsuffizienz in stationärer Behandlung. Hier verstarb er an akutem Herz-Kreislaufversagen nach insgesamt 8-wöchiger Behandlung.

Die Angehörigen des Verstorbenen warfen dem in Anspruch genommenen Radiologen vor, der Patient sei über die Risiken der Kontrastmittelapplikation nicht aufgeklärt worden. Die Verabreichung des Kontrastmittels bei bekannter Niereninsuffizienz sei fehlerhaft gewesen. Der tödliche Ausgang sei Folge dieses Fehlers.

Der in Anspruch genommene Radiologe gab in einer Stellungnahme zur Kenntnis: Eine Risikoaufklärung habe unter Zeugen stattgefunden. Der Patient habe in diesem Gespräch eine Einschränkung der Nierenfunktion verneint. Eine Kontraindikation zur Kontrastmittelgabe habe somit nicht vorgelegen. Bei der vorliegenden Fragestellung sei eine CT-Untersuchung ohne Kontrastmittel zwecklos gewesen. Der Tod des Patienten sei gleichfalls nicht auf die Kontrastmittelapplikation zurückzuführen.

Zur Beurteilung der Indikationsstellung und Durchführung der Kontrastmittelapplikation wurde ein radiologisches Gutachten, zur Beurteilung des Kausalzusammenhanges zwischen dem akuten Nierenversagen bzw. dem Tod einerseits und der Kontrastmittelapplikation andererseits, wurde ein internistisch-nephrologisches Gutachten eingeholt.

Der radiologische Gutachter

kam nach Prüfung der entscheidungserheblichen Einzelheiten zu folgenden Wertungen: Unter Abwägung der bekannten Vorerkrankungen und insbesondere der chronischen Niereninsuffizienz war die Kontrastmittelinjektion eindeutig kontraindiziert. Auch hätte, was unter den gegebenen Umständen zwingend war, die Durchführung einer nativen Computertomographie oder besser noch einer Kernspintomographie (MRT) ohne jegliches Risiko zum Nachweis des vorhandenen Mediastinalprozesses geführt. Folge der fehlerhaften Kontrastmittelapplikation war das vorübergehende Nierenversagen mit 3-wöchiger Dialysebehandlung.

Im internistisch-nephrologischen Gutachten

wurde festgestellt, daß das vorübergehende Nierenversagen auf die fehlindizierte Kontrastmittelapplikation zurückzuführen war. Für die Indikationsstellung hätten nicht nur die bekannte Niereninsuffizienz allein, sondern auch die Herzinsuffizienz, der vorhandenen Diabetes mellitus und das Alter des Patienten maßgeblich sein müssen, wodurch die Fehlerhaftigkeit der Maßnahmen noch unterstrichen wird. Als Folge des Behandlungsfehlers wird in Übereinstimmung mit dem radiologischen Gutachter das akute Nierenversagen mit 3-wöchiger Dialyse gesehen. Ob durch den kontrastmittelbedingten Nierenschaden eine persistierende zusätzliche Schädigung der Nierenfunktion eingetreten ist (Risiko 13 – 50 %), könne im hier zu beurteilenden Fall nicht als gesichert gelten. Der nach anfänglicher Re-Stabilisierung der (eingeschränkten) Nierenfunktion eingetretene Tod hingegen könne nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf die fehlerhafte Kontrastmittelapplikation zurückgeführt werden. Nach vorliegenden klinischen und kardiologischen Befunden sei ein primär kardial bedingtes Kreislaufversagen anzunehmen.

Die Schlichtungsstelle folgte der Beweisführung in den beiden Gutachten.

Die Prüfung, ob Kontraindikationen zur Kontrastmittelapplikation bestehen, obliegt dem Arzt, der die radiologische Untersuchung durchführt. Eine Verpflichtung zur Befragung nach Kontraindikationen des Patienten bestand, obgleich der in Anspruch genommene Radiologe davon ausging, daß ein Zielauftrag zur Computertomographie der Schädelbasis einschließlich der Thoraxorgane durch den behandelnden HNO-Arzt erfolgt sei. Geringere Anforderungen an die Prüfung der Indikation der erbetenen Überweisungsmaßnahme bestehen dann, wenn ein fachgleicher Arzt um Durchführung einer bestimmten ärztlichen Maßnahme bittet. Im hier zu entscheidenden Fall hatte der Behandler vor Durchführung der in Rede stehenden Untersuchung die Pflicht, sowohl die Indikation als auch möglicherweise bestehende Kontraindikationen zu eruieren und entsprechend danach zu handeln, da der Überweisungsauftrag nicht von einem Fachkollegen, sondern einem anderen Facharzt (hier HNO) stammte. Eine Dokumentation, aus der die Befragung des Patienten zu Kontraindikationen hervorgeht, fehlt vollständig. Es handelt sich dabei um eine dokumentationspflichtige Maßnahme. Die Nichtdokumentation einer dokumentationspflichtigen Maßnahme indiziert nach der Rechtsprechung deren Unterlassung. Es war im vorliegenden Fall also nach Aktenlage davon auszugehen, daß Kontraindikationen nicht geprüft worden sind.

Die Schlichtungsstelle hielt Schadenersatzansprüche für begründet. Diese beschränken sich jedoch auf das vorübergehende Nierenversagen mit 3-wöchiger Dialysebehandlung. Der Tod des Patienten konnte nicht mit der notwendigen Sicherheit auf die Fehler zurückgeführt werden. Er wurde wohl durch die vorbestehende Herzinsuffizienz verursacht.

Autoren:

PH

Prof. Dr. med. Ph. Hendrickx

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover

Christine Wohlers, Rechtsanwältin

Juristin in der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover