Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Befunderhebungsmangel bei postoperativen Komplikationen

Kasuistik

Bei histologisch gesichertem Zervixkarzinom wurde bei der 50-jährigen Patientin eine laparoskopische radikale Hysterektomie mit Adnexektomie beiderseits und pelviner Lymphknotenentfernung durchgeführt. Vier Tage nach der Operation entwickelte die Patientin Fieber und eine Harnblasenentleerungsstörung, Abflusskontrollen der Nieren waren unauffällig, sonografisch und palpatorisch wurde der Verdacht auf eine Lymphzyste oder einen Abszess am Scheidenstumpf geäußert. Deshalb erfolgte acht Tage nach der Primäroperation eine Laparoskopie, wobei eine Lymphozele der rechten Beckenwand gefenstert wurde. Nach diesem Eingriff entfieberte die Patientin und wurde für fünf Wochen in eine Rehabilitationsklinik verlegt. Im Abschlussbericht dieser Einrichtung wurde der Verdacht auf einen Nierenstau rechts geäußert.

In einer urologischen Belegabteilung wurde eine Harnstauungsniere dritten Grads mit Nachweis einer Harnleiterscheidenfistel rechts diagnostiziert. Nachdem im Rahmen einer Urethrozystoskopie die Einlage eines Ureter-Katheters nicht gelang, wurde eine perkutane Nephrostomie angelegt. Zwei Monate später erfolgte eine Harnleiterneueinpflanzung, nach unkompliziertem postoperativem Verlauf die Entlassung in die Häuslichkeit.

Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen

Seitens der Patientin wird vorgeworfen, dass die Harnleiterfistel postoperativ fehlerhaft nicht erkannt worden sei.

Stellungnahme Krankenhaus

Die operierende Klinik gibt an, der Eingriff sei komplikationslos durchgeführt worden, im postoperativen Verlauf habe der Ultraschall der Nieren keine Auffälligkeiten ergeben. Fieber und Harnblasenentleerungsstörungen seien mit entsprechenden Antibiotika behandelt worden, wegen des fraglichen Abszesses am Scheidenstumpf sei eine Laparoskopie durchgeführt und die an der Beckenwand rechts diagnostizierte Lymphozele gefenstert worden. Danach sei es zu einer schnellen Besserung des Zustands gekommen, wobei zum Zeitpunkt der Entlassung sich klare Flüssigkeit über das Scheidenende entleert habe, welche als Lymphflüssigkeit interpretiert worden sei. Die Nieren seien nicht gestaut gewesen. Im gesamten postoperativen Verlauf habe es keinen Anlass gegeben, eine Verletzung des Ureters anzunehmen.

Entscheidung der Schlichtungsstelle

Die radikale Hysterektomie wurde fachgerecht durchgeführt, ein Hinweis auf eine primäre Schädigung des Harnleiters ergab sich zunächst nicht. Ultraschalluntersuchungen der Nieren waren unauffällig. Bei der neuerlichen Laparoskopie wegen Fieberschüben und Schmerzen bei deutlicher Erhöhung der Entzündungsparameter und der sonografisch zystischen Struktur am Scheidenende wurde die zystische Raumforderung im rechten Beckenwandbereich als Lymphzyste interpretiert, es erfolgte weder eine Darstellung des Ureters, noch zum Beispiel eine Kreatinin-Bestimmung aus der gewonnenen Flüssigkeit. Eine Mikrobiologie des Sekrets ergab reichlich Escherichia coli, welches als typischer Keim bei Harnwegsinfekten angesehen werden kann. Auch eine intraoperative Farbprobe oder am OP-Ende eine Urethrozystoskopie mit Uretersondierung (und/oder Injektion einer Farblösung) erfolgten nicht. Der Abgang von klarer Flüssigkeit über die Scheide wurde als Lymphflüssigkeit interpretiert, wobei sich an diesem Flüssigkeitsabgang auch im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahme nichts geändert hat.

Nach Ansicht der Schlichtungsstelle liegt ein Befunderhebungsmangel vor, nachdem bei Auftreten von vaginalem Flüssigkeitsabgang zielführender das Symptom hätte abgeklärt werden müssen. In CT oder MRT oder Urogramm hätte man eine Harnabflussstörung oder die Fistel schon im Rahmen des postoperativen Verlaufs erkennen müssen, der Patientin hätten durch sofortige Intervention die langen Wochen der Inkontinenz und die Beschwerden in Zusammenhang mit der perkutanen Nephrostomie erspart werden können. Die Veranlassung einer Rehabilitationsmaßnahme bei noch vollem Flüssigkeitsabgang aus der Scheide war nicht zielführend, hat zusätzlich die Diagnosestellung der Fistel protrahiert.

Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr in Bezug auf die urologische Rekonstruktionsoperation sind im vorliegenden Fall aber nicht erfüllt, da es nach medizinischer Erfahrung äußerst unwahrscheinlich ist, dass bei Durchführung der gebotenen Diagnostik bis auf die zeitliche Verzögerung von sechs bis acht Wochen ein anderer Verlauf zu erwarten gewesen wäre.

Eine operative Versorgung wäre in jedem Fall notwendig gewesen. Auch bei frühzeitigerer Einlage eines Doppel-J-Katheters oder Anlage einer perkutanen Nephrostomie wäre die urologische Nachoperation erforderlich geworden, das lange Tragen von Windeln und Vorlagen sowie die mit der Irritation der ableitenden Harnwege verbundenen Schmerzen und Beschwerden der Patientin hätten aber um mindestens sechs bis acht Wochen verkürzt werden können.

Fazit

Verletzungen von Nachbarorganen gehören bei gynäkologischen Eingriffen im kleinen Becken, vor allem bei Radikaloperationen gynäkologischer Tumore, zu den seltenen, aber typischen Komplikationen, die nicht mit letzter Sicherheit vermeidbar sind. Bei atypischem postoperativem Verlauf mit Schmerzen und Fieberschüben muss eine Verletzung der ableitenden Harnwege immer in Betracht gezogen werden, welches hier fehlerhaft nicht erfolgte.

Autoren:

Prof. Dr. Dr. h.c. med. Eckhard Petri

Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe
Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover

Kerstin Kols, Ass. jur.