Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Operationslagerung

Treatment Failure Associated with Surgical Positioning

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 04/2000

Kasuistik

Bei einem 57jährigen Patienten wurde wegen eines großen, möglicherweise maligne entarteten Sigmapolypen eine Sigma-Rektum-Kontinuitätsresektion unter onkologischer Operationsstrategie durchgeführt. Die Operationsdauer betrug 185 Minuten, die Dauer der Lagerung auf dem Operationstisch 200 Minuten. Die Operation verlief planmäßig, der postoperative Verlauf war bezüglich der Darmoperation komplikationsfrei.

Unmittelbar nach der Operation wurde eine Hautschädigung an beiden Gesäßhälften festgestellt. Diese Schädigung wurde als Verbrennung angesehen und entsprechend behandelt. Es wurden wiederholt Fotografien der geschädigten Region angefertigt und der Behandlungsdokumentation beigefügt. Am 11. postoperativen Tag erfolgte die Entlassung aus stationärer Behandlung. Die durch den Hausarzt fortgeführte Behandlung des Hautschadens zog sich über 3 Wochen hin. Auch nach Abschluß der Wundheilung verblieben lokale Mißempfindungen, Juckreiz und Behinderung beim Sitzen.

Der Patient führte den Hautschaden auf Fehler im Zusammenhang mit der Operationstischlagerung zurück und wandte sich an die Schlichtungsstelle.

Der Aufforderung durch die Schlichtungsstelle, zum Vorgang eine Stellungnahme abzugeben, wurde seitens der verantwortlichen Ärzten nicht gefolgt.

Im von der Schlichtungsstelle angeforderten chirurgischen Gutachten wurde festgestellt:
Die Sigma-Rektum-Resektion war indiziert und wurde fachgerecht ausgeführt. Der Hautschaden im Gesäßbereich sei im Zusammenhang mit der Operation aufgetreten. Als Ursache werden im Gutachten Störungen in der Inbetriebnahme des Elektrochirurgiegerätes, Wärmeschäden (Wärmematte) und Druckwirkung diskutiert. Die tatsächliche Ursache sei nicht mehr feststellbar. Ob dem Schaden eindeutig fehlerhaftes Handeln zugrunde liegt, sei nicht mehr überprüfbar.

Die Formulierung im Gutachten würde darauf hinauslaufen, daß fehlerhaftes Handeln nicht beweisbar ist und somit haftungsrechtliche Ansprüche zu verneinen wären. Die Schlichtungsstelle folgt dem Ergebnis des Gutachtens nicht und sieht sich zu nachstehender grundsätzlicher Stellungnahme zum Problem der Lagerungsschäden veranlaßt:
Im Zusammenhang mit der Lagerung eines Patienten zur Operation können verschiedene Schäden auftreten:

  • Druckschäden bei unsachgemäßer Lagerung und Polsterung, insbesondere an Haut- und Nerven
  • Hautschäden durch längere Einwirkung aggressiver Flüssigkeiten (Desinfektionsmittel, bestimmte Infusions-Lösungen)
  • Wärmeschäden durch überhitzte Wärmematte
  • Allergische Hautschäden
  • Elektrische Verbrennungen durch funktionsgestörtes Elektrochirurgiegerät
  • Elektrische Verbrennungen durch fehlerhafte Elektrodenanlage
  • Elektrische Verbrennungen durch Stromableitung außerhalb der Elektroden über ungewollte Kontakte z. B. durch feuchte Abdecktücher, Ableitung über angelegte Meßsonden u.a.

Zur Vermeidung derartiger Lagerungsschäden gelten grundsätzliche Lagerungsvorschriften. Diese sind durch klinikeigene Regelungen zu ergänzen, die die jeweils verwendeten Operationstischmodelle, technische Geräte, Abdeckmaterial, Desinfektionsmittel u.a.m. berücksichtigen.

Erfahrungsgemäß treten bei umsichtiger und sorgfältiger Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch Schäden der vorgenannten Art nicht auf, so daß im Schadensfall zunächst der erste Anschein für fehlerhaftes Vorgehen der beteiligten Personen spricht. In einem solchen Fall kann von dem festgestellten Gesundheitsschaden auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers geschlossen werden. Dieser Schluß ist nur dann unzulässig, wenn Umstände und Tatsachen vorliegen, die für das verantwortliche ärztliche und pflegerische Personal objektiv nicht zu kalkulieren oder zu beeinflussen sind, dies trifft z. B. zu bei

Druckschäden infolge hochgradiger Abmagerung, bei schweren neurologischen Ausfällen, bei Gelenkkontrakturen, bei atrophischen Hautkrankheiten.

  • Abnorme Schweißabsonderung
  • Bei übermäßig verlängerter Operationstischlagerung infolge unverschuldeter, intraoperativer chirurgischer oder anästhesiologischer Komplikationen.
  • Langfristige, unverschuldete Kreislaufdepression
  • Bisher unbekannte Allergien z.B. auf Hautdesinfektionsmittel.

Liegen derartige Risikofaktoren vor, so ist es empfehlenswert, auf diese, z.B. im Operationsbericht hinzuweisen und festzuhalten, wie diesen Rechnung getragen wurde.

Bei einem funktionsgestörten Elektrochirurgiegerätes ist nur dann von einer unverschuldeten Komplikation auszugehen, wenn

  • die fristgerechte regelmäßige Geräteüberprüfung nach der medizinischen Geräteverordnung nachweislich durchgeführt wurde und
  • die unmittelbar nach dem Zwischenfall durchgeführte Überprüfung des Gerätes ergibt, daß die Funktionsstörung am Gerät lag und nicht auf eine fehlerhafte Handhabung des Gerätes bzw. des Gerätezubehörs zurückzuführen ist.

Im vorliegenden Fall war aus der Krankendokumentation nicht zu entnehmen, daß der Hautschaden durch besondere Umstände im o.g. Sinne entstanden ist, so daß von einem vermeidbaren Behandlungsfehler auszugehen war. Als Folge des Fehlers ergaben sich Ansprüche aufgrund der ertragenen Schmerzen, der Verlängerung der ambulanten Behandlungsdauer und einer leichten allgemeinen Beeinträchtigung infolge Juckreiz, Schmerzempfindung und Sitzbeschwerden.

Autoren:

HV

Prof. Dr. med. Heinrich Vinz

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover