Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Der plötzliche, unerträgliche Kopfschmerz, verursacht durch eine akute subarachnoidale Blutung

The Sudden, Unbearable Headache Caused by an Acute Subarachnoid Hemorrhage

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 02/2006

Einleitung
Akut einsetzende, unerträgliche Kopfschmerzen, insbesondere bei fehlender Vorgeschichte in Bezug auf mögliche Ursachen, bedürfen zwingend der unverzüglichen diagnostischen Klärung mit allen gebotenen Mitteln.

Kasuistik

Eine 56-jährige Frau verspürte bei Gartenarbeiten in gebückter Haltung plötzlich einen unerträglichen Kopfschmerz, wie sie ihn nach eigenem Bekunden noch nie erlebt hatte. Über den beigezogenen Hausarzt erfolgte umgehend die Einweisung in die Innere Abteilung eines Krankenhauses der Grund- und Regelversorgung. Bei der Aufnahmeuntersuchung wurde ein erhöhter Blutdruck von 200/120 mmHg gemessen, den man als Ursache der Kopfschmerzen ansah. Nach medikamentöser Senkung des Blutdrucks blieben die Kopfschmerzen unverändert stark bestehen. Im Laufe der 7-tägigen stationären Behandlung entwickelte sich eine diskrete neurologische Symptomatik mit Verspannung der Nackenmuskulatur, Gangunsicherheit, Schwindelgefühl, Koordinationsstörungen mit positivem Knie-Hacken- und Finger-Nasen-Versuch. Daraufhin wurde am 8 Tag eine Computertomographie des Schädels angefertigt. Diese ergab eine rechtstemporal gelegene frische subarachnoidale Blutung (SAB) ohne Ventrikeleinbruch. Die Patientin wurde unverzüglich in eine Neurochirurgische Klinik verlegt. Hier wurde durch Schädelangiographie als Ursache der Blutung ein perforiertes Aneurysma der Arteria carotis interna festgestellt. Einen Tag später erfolgte über eine osteoplastische Trepanation die Ausräumung der Blutung und die Clippung des Aneurysmas. Im postoperativen Verlauf stellten sich Infarktbezirke im Versorgungsgebiet der Arteria cerebralis anterior dar. Die Patientin geriet in ein Koma und wurde langfristig über eine Tracheotomie beatmungspflichtig. Ein hinzutretender Verschlußhydrozephalus erforderte die Anlage eines ventrikuloperitonealen Shunts. Es verblieben letztlich erhebliche neurologische Ausfälle mit Neigung zu generalisierten Krampfanfällen und Sprachstörungen. Der Grad der Behinderung wurde mit 100 % als Dauerschaden festgelegt.

Die Angehörigen der Patientin vertraten die Meinung, daß die Diagnose über eine CT-Untersuchung hätte früher gestellt werden müssen, dann wären die Heilungschancen größer gewesen.

Seitens der in Anspruch genommenen Ärzte wurde zum Behandlungsvorgang in der Inneren Klinik Stellung genommen. Anfänglich habe nur ein hoher Blutdruck, jedoch keine neurologische Symptomatik vorgelegen. Ein zu Beginn bereits erkennbarer Intentionstremor sowie leichte Koordinationsstörungen habe man als mögliches beginnendes Alkoholentzugsdelir gedeutet. Nach Deutlichwerden der neurologischen Symptomatik am 7. Behandlungstag habe man sofort ein CT angefertigt und daraufhin die notwendigen weiteren Maßnahmen veranlaßt.

Das Gutachten

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte internistische Gutachter gelangte nach Rekonstruktion des Behandlungsvorganges zu folgenden Wertungen: Die Kopfschmerzen hatten ihre alleinige Ursache in der Subarachnoidalblutung. Bei Klinikaufnahme war bei fehlender bzw. nur diskreter neurologischer Symptomatik von einer SAB im Stadium I – II auszugehen. Die schweren, akut aufgetretenen Kopfschmerzen hätten in jedem Falle an eine SAB denken lassen müssen mit der Folge, daß durch ein sofort angefertigtes CT die Diagnose gesichert und die notwendige Behandlung hätte eingeleitet werden können. Auch sei zu bemängeln, daß nicht frühzeitiger, nachdem sich diskrete neurologische Symptome abzeichneten, ein Neurologe konsiliarisch hinzugezogen worden sei. Offensichtlich habe man eine SAB gar nicht in Erwägung gezogen. Insgesamt sei die Diagnose und Therapie der SAB fehlerhaft hinausgezögert worden. Wäre die Operation korrekterweise 1 – 2 Tage nach Blutungsbeginn durchgeführt worden, so wäre die Prognose im Hinblick auf das Ausmaß der Spätfolgen deutlich günstiger gewesen. Es müsse jedoch festgestellt werden, daß auch bei frühzeitiger Operation Gefäßspasmen mit der Folge von Hirninfarkten auftreten könnten. Es sei daher hypothetisch, ob eine frühere Diagnose und operative Sanierung die neurologischen Folgezustände gemindert hätte. Allerdings wäre die Dauer der Kopfschmerzen bei frühzeitigerem Eingriff verkürzt worden.

Die Schlichtungsstelle kam abschließend zu folgenden Wertungen: Der Beurteilung des Gutachters, daß die um 7 Tage verzögerte Diagnostik durch Unterlassung der Anfertigung eines Schädel-CT einen vermeidbaren Behandlungsfehler darstellt, ist zu folgen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine Patientin mit derart heftigen Kopfschmerzen, die eine stationäre Behandlung erfordern, nicht schnellstmöglich mittels CCT, spätestens am nächsten Tag, untersucht wird. Als eine neurologische Symptomatik auftrat, hätte zwingend eine CCT-Untersuchung umgehend erfolgen müssen. Die Schlichtungsstelle sieht hier einen Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Befunderhebung.

Der Verstoß eines Arztes gegen die Pflicht zur Erhebung eines Befundes, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis erbracht hätte, begründet für den Patienten eine Beweislasterleichterung beim Nachweis der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden, wenn sich die Verkennung des Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde (BGH Urteil vom 06.10.1998, abgedruckt in Versicherungsrecht 99, 60).

Ist das Verkennen eines gravierenden Befundes oder die Nichtreaktion auf ihn generell geeignet, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen, tritt – wenn nicht ein Ursachenzusammenhang zwischen den ärztlichen Fehler und dem Schaden äußerst unwahrscheinlich ist – grundsätzlich eine Beweislastumkehr ein. In einem derartigen Fall führt nämlich bereits das – nicht grob fahrlässige – Unterlassen der gebotenen Befunderhebung wie ein grober Behandlungsfehler zu erheblichen Aufklärungsschwierigkeiten hinsichtlich des Kausalzusammenhangs. Denn es verhindert die Entdeckung des wahrscheinlich gravierenden Befundes und eine entsprechende Reaktion darauf mit der Folge, daß hierdurch das Spektrum der für die Schädigung des Patienten in Betracht kommenden Ursachen besonders verbreitert oder verschoben wird.

Bei der Erstellung eines CCT hätte man die SAB erkannt. Durch rechtzeitige Operation hätte die Möglichkeit bestanden, den Schaden zu verhindern. Es kommt hier zur Beweislastumkehr zu Gunsten der Patientin mit der Folge, daß der eingetretene Schaden den Ärzten der Inneren Abteilung zuzurechen ist.

Die Schlichtungsstelle hielt Schadenersatzansprüche für begründet und empfahl eine außergerichtliche Regulierung zu prüfen.

Autoren:

KL

Prof. Dr. med. K. Lucke

Ärztliche Mitglieder der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover

Christine Wohlers, Rechtsanwältin

Juristin in der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover