Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 3/2012
Kasuistik
Bei einem 20-jährigen Patienten wurde im Oktober 2006 ein Osteochondrom am linken proximalen Wadenbein operativ entfernt. Postoperativ bestanden eine Lähmung der vom Nervus peroneus versorgten Muskulatur und eine Teillähmung der vom Nervus tibialis innervierten Muskeln. Im Verlauf verblieb eine komplette N. peroneus-Parese. Diese wurde fortlaufend neurologisch kontrolliert und medico-physikalisch und orthetisch behandelt. Schließlich wurde zwölf Monate später neurochirurgisch interveniert, ein Defekt des N. peroneus im ehemaligen Operationsgebiet festgestellt und ein N. suralis-Transplantat eingefügt.
Der Patient moniert, dass bei der Tumorentfernung der Wadenbeinnerv durchtrennt und darüber hinaus keine Sofortversorgung der Verletzung durchgeführt worden sei.
Das Krankenhaus argumentiert, Schwierigkeiten oder Komplikationen seien im Operationsbericht nicht beschrieben. Postoperativ sei eine komplette Lähmung des linken Fußes auffällig gewesen, die fachneurologisch als kombinierte N. peroneus communis- und N. tibialis-Lähmung dokumentiert worden sei und die sich im Verlauf bis auf eine Fußheberparese zurückgebildet habe. Die neurologische Symptomatik sei medico-physikalisch und orthetisch behandelt worden. Da aufgrund des Operationsberichts nicht von einer Durchtrennung des N. peroneus auszugehen gewesen sei, habe man eine lokale Neurapraxie im Sinne einer Druckschädigung angenommen. Von neurologischer Seite sei die Fortsetzung der konservativen Therapie und Kontrolluntersuchungen empfohlen worden. Als im Herbst 2007 keine Re-Innervationspotentiale nachweisbar gewesen seien, sei eine neurochirurgische Intervention mit Nerventransplantation durchgeführt worden.
Gutachten
Die Operation sei nicht dem medizinischen Standard entsprechend durchgeführt worden. Der N. peroneus hätte in seinem Verlauf im Tumorbereich dargestellt und beiseite gehalten werden müssen. Da hierüber keinerlei Hinweise im Operationsbericht zu finden seien, müsse davon ausgegangen werden, dass dieser zwingend notwendige Operationsschritt nicht durchgeführt worden sei. Die im Rahmen der Revisionsoperation festgestellte Durchtrennung des Wadenbeinnerven spräche für eine unzureichende Berücksichtigung des Nerven bei der Erstoperation.
Entscheidung der Schlichtungsstelle
Mit dem Gutachter übereinstimmend bewertete die Schlichtungsstelle die technische Durchführung der Operation als nicht standardgerecht und damit als fehlerhaft. Noch vor der Darstellung des Tumors hätte der N. peroneus aufgesucht und in seinem Verlauf in Höhe des Tumors dargestellt und beiseite gehalten werden müssen, da davon auszugehen war, dass der Nerv durch den Tumor verdrängt wurde. Im Operationsbericht fand sich keinerlei Hinweis auf den N. peroneus und seine Darstellung. Deshalb war davon auszugehen, dass der N. peroneus bei der Tumorentfernung nicht dargestellt wurde. Dies war in Kenntnis des Risikos einer möglichen Nervenverletzung während der Tumorentfernung als Fehler zu bewerten. Daran vermag auch der Umstand, dass im Operationsbericht keine Schwierigkeiten oder Komplikationen beschrieben worden sind, nichts zu ändern. Der bei der neurochirurgischen Revisionsoperation vorgefundene Defekt des N. Peroneus von mehreren Zentimetern Länge widerlegte die Aussage des Operationsberichtes.
Durch das fehlerhafte Vorgehen ist es zu einer Nervendurchtrennung gekommen, die zu einer bleibenden Fußheberparese geführt hat und eine Revisionsoperation mit einem N. suralis-Transplantat erforderte. Auch die Folgeschäden der N. peroneus-Lähmung sind auf die fehlerhafte Operation des Osteochondroms zurückzuführen.