Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 08/2003
Einleitung
Das meist einseitig auftretende Paget-Karzinom der Brust geht von den Drüsenausführungsgängen und brustwarzennahen Milchgängen aus und breitet sich sowohl auf die Haut der Mamille als auch intrakanalikulär deszendierend weiter aus. In allen Fällen mit Nachweis der Paget-Zellen in der Mamillenhaut ist davon auszugehen, daß sich dahinter ein intraduktales oder infiltrierendes duktales Mamma-Karzinom verbirgt.
Zu Beginn zeigen sich an der Mamillenspitze ekzemartige, schuppende, rötliche Hautveränderungen, die sich langsam auf die Areola ausdehnen. Die Hautveränderungen können sowohl nässend als auch trocken sein, Blutungen sind meist auf mechanische Irritationen zurückzuführen, eine blutigtingierte pathologische Sekretion ist selten möglich. Ein typisches Symptom ist Juckreiz. Bei fortgeschrittener Erkrankung erscheint die Mamille eingezogen, und es können Erosionen oder tiefe Ulzerationen im Bereich der Mamille oder der Areola entstehen.
In 80% der Fälle ist ein Herdbefund in der Brustdrüse palpatorisch oder mammographisch nachweisbar. Bei jeder ekzematösen Hautveränderung ist differentialdiagnostisch ein Paget-Karzinom in Erwägung zu ziehen und auszuschließen. Werden ekzemartige Veränderungen der Brustwarze und des Warzenhofes festgestellt, ist zunächst eine Lokalbehandlung mit einem Kortison-Präparat angezeigt. Wenn sich innerhalb von zwei bis drei Wochen keine eindeutige Besserung abzeichnet, ist die Biopsie aus der Brustwarze, Areola und der anschließenden Haut mit Unterhautgewebe angezeigt.
Kasuistik
Eine 63jährige Patientin suchte am 29.01.1999 den Frauenarzt wegen Problemen an der linken Brustwarze auf, der eine Salbenbehandlung verordnete. Da auch nach Umstellung auf Bepathen-Salbe am 17.05.1999 wiederum keine Besserung eingetreten war, veranlaßte er am 05.07.1999 die Überweisung zum Dermatologen und zur Mammographie. Die Mammographie ergab im unteren inneren Quadranten der linken Brust einen 25 x 15 mm großen Verdichtungsherd, der aufgrund seiner Dichte und unregelmäßigen Begrenzung mit angedeuteter, strahlenförmiger Zackenbildung als karzinomverdächtig eingestuft wurde.
Der Dermatologe nahm – nach einer kurzzeitigen erfolglosen Salbenbehandlung – am 27.07.1999 eine Biopsie aus der linken Brustwarze vor und überwies die Patientin, nach Feststellung eines Paget-Karzinoms, an eine Universitäts-Frauenklinik. Dort wurde am 13.08.1999 die linksseitige Segmentresektion unter Mitnahme von Brustwarze und Warzenhof und nach Feststellung eines multifokalen Karzinoms mit Befall der Haut, am 20.08.1999 die sekundäre Entfernung der Brust unter Mitnahme der Achsellymphknoten durchgeführt.
Die Patientin stellte einen Schlichtungsantrag mit dem Vorwurf eines ärztlichen Behandlungsfehlers durch den Frauenarzt, da er die Abklärung einer verdächtigen Hautveränderung an der linken Brustwarze um fünf Monate verzögert habe.
Der in Anspruch genommene Gynäkologe wendet ein, daß er am 29.01.1999 bei der Patientin eine oberflächliche, erosive Hautveränderung an der linken Brustwarze festgestellt und eine Triamzinolon-Clotrimazol-Zink-Salbe verordnet habe. Da bei der Wiedervorstellung nach viereinhalb Monaten, am 17.05.1999, die Hautveränderung von einer Kruste bedeckt gewesen sei, habe er einen weiteren konservativen Behandlungsversuch mit Bepanthen-Salbe für erfolgversprechend gehalten. Nach Ausbleiben einer Besserung habe er der Patientin am 05.07.1999 die Überweisung zur Mammographie und Probeexzision beim Hautarzt ausgehändigt. Von diesem sei ein Paget-Karzinom bestätigt worden.
Er sei der Meinung, daß die Patientin durch zu große Abstände zwischen den Konsultationen selbst zur Verzögerung der Diagnose beigetragen habe.
Der Gutachter führt aus, daß jede nässende oder schuppende Entzündung, aber auch jede Verhärtung, jeder Knoten, jede grau-weiße Krustenbildung und jedes Geschwür an der Brustwarze und am Warzenhof, krebsverdächtig sei. Deshalb sei jeder behandelnde Arzt gut beraten, bei Feststellung von Juckreiz und Schuppenbildung und von Veränderungen im Bereich des Warzenhofes und der Brustwarze und vor allem bei deren Fortbestehen, zügig eine histologische Abklärung herbeizuführen. Eine Salbenbehandlung dürfe nur kurzzeitig (höchstens drei Wochen lang) versucht werden, unter verbindlicher Einbestellung durch den Arzt alle acht Tage und unter Aufklärung, ebenfalls durch den Arzt, daß es sich eventuell um eine maligne Veränderung handeln kann, und daß die Salbenbehandlung nur ein kurzdauernder Therapieversuch sein dürfe. Eine Salbenbehandlung bei einer einseitigen ekzemartigen Brustwarzenveränderung bei unauffälligem Tastbefund, sei dann nicht zu beanstanden, wenn sie als zeitlich begrenzter Therapieversuch bei Aufklärung der Patientin über die eventuelle Bösartigkeit der Läsion und Festlegung verbindlicher Wiedervorstellungstermine erfolge. Im vorliegenden Fall sei die Unterlassung einer rechtzeitigen Diagnostik als Fehler zu bewerten und dem Gynäkologen eine Diagnoseverzögerung anzulasten.
Bei sorgfältigem Vorgehen wäre dieser Fehler in der damaligen Situation vermeidbar gewesen. Für den 05.07.1999 beschreibe der Gynäkologe einen identischen Befund zum 29.01.1999. Ein Salbenbehandlungsversuch wäre maximal 24 Tage legitim gewesen. Da das Paget-Karzinom am 27.07.1999 biopsiert und am 06.08.1999 diagostiziert wurde, umfasse die Diagnoseverzögerung den Zeitraum vom 22.02.1999 (29.01.1999 + 24 Tage) bis zum 27.07.1999 (Tag der Biopsie). Fehlerbedingt sei dem Gynäkologen allein die gut fünfmonatige Diagnoseverzögerung anzulasten. Auch bei einer fünf Monate früheren Diagnosestellung wären Therapie und Prognose gleich gewesen.
Ein patientenseitiges Mitverschulden an der Diagnoseverzögerung werde nicht gesehen.
Die Schlichtungsstelle, die den Wertungen des Gutachters folgte, kam zu folgenden Feststellungen:
Die eingetretene fünfmonatige Diagnose- und Therapieverzögerung ist auf fehlerhaftes ärztliches Handeln des behandelnden Gynäkologen zurückzuführen und wäre vermeidbar gewesen. Eine negative Beeinflussung des Ausmaßes der Therapie und der Krankheitsprognose durch die Therapieverzögerung ist nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu beweisen. Die unnötige fünfmonatige Verlängerung der Beschwerden in der linken Brust, die psychische Belastung durch die ausbleibende Abheilung der Hautveränderungen trotz verschiedener Salbenbehandlungen und eine Brustkrebsangst sind als eindeutige fehlerbedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen zu bewerten.