Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 07/2002
Kasuistik
Eine 47-jährige Frau unterzog sich wegen eines faustgroßen mehrknolligen Uterusmyomatosus am 12.10.1999 einer abdominalen Hysterektomie. Aus dem Operationsbericht geht hervor, daß es beim Absetzen des Uterus von den Gefäßen zu einer starken Blutung aus großvolumigen Venen kam, so daß mehrere zusätzliche Umstechungen erforderlich waren. Eine Darstellung der Harnleiter ist im Operationsbericht nicht dokumentiert. Am Ende der Operation entleerte sich leicht blutiger Urin aus dem Blasenkatheter. Da postoperativ die Entleerung von blutigem Urin fortbestand, wurde am 2. postoperativen Tag eine Blasenspülung durchgeführt. Der Verdacht auf Subileus wegen starker Blähungsbeschwerden am 3. postoperativen Tag konnte durch eine Abdomübersichtsaufnahme ausgeschlossen werden. Nach erfolgreichem Abführen und Entfernung des Blasenkatheters am 16.10.1999 (4. postoperativer Tag) besserte sich die Bauchsymptomatik und es erfolgte am 23.10.1999 die Krankenhaus- entlassung. Bereits am 28.10.1999 wurde die Patientin mit stark gespanntem und druckschmerzhaftem Bauch in der Frauenklinik wieder aufgenommen. Die Röntgen-Abdomenübersichtsaufnahme zeigte eine erhebliche Flüssigkeitsansammlung im Bauchraum. Die ultraschallgestützte Punktion legte den dringenden Verdacht auf eine Blasen- bzw. Harnleiterverletzung nahe. Am 29.10.1999 erfolgte die Verlegung in die benachbarte Urologische Klinik. Nach ergebnisloser retrograder Sondierung des linken Harnleiters, bei unauffälliger Untersuchung rechts, wurde die Anlage einer Nephrostomie links vorgenommen. Bei der Zystosskopie fand sich eine 5-Mark-Stück-große Blasenwandnekrose mit zwei durchgreifenden intravesical liegenden Nähten, die am 05.11.1999 endoskopisch entfernt wurden. Da sich trotz gut funktionierender Nephrostomie noch Urin in die Bauchhöhle entleerte, wurde am 08.11.1999 die Ureterozystostomie links erfolgreich durchgeführt. Es fand sich eine komplette Harnleiterdurchtrennung links.
Die Patientin führte die Harnleiterdurchtrennung auf einen ärztlichen Behandlungsfehler bei der Gebärmutternentfernung zurück und wandte sich an die Schlichtungsstelle.
Im angeforderten gynäkologischen Gutachten wurde festgestellt: Bei Verdacht auf Harnleiterverletzung im Operationsverlauf einer abdominalen Hysterektomie sei der Operateur verpflichtet, den Harnleiter in seinem Verlauf darzustellen, um sich zu vergewissern, daß der Harnleiter während der Operation nicht tangiert worden und die Harnblase unverletzt geblieben sei. Aus dem Operationsbericht gehe hervor, daß die Operation im vorliegenden Fall durch verstärkte Blutung erschwert gewesen sei und zusätzliche Umstechungen erfordert habe. Auch aus der Tatsache, daß der Urin bereits während der Operation blutig war, sei offenbar keine Konsequenz gezogen worden. Damit sei gegen etablierte Behandlungsgrundsätze verstoßen worden. Die Patientin hätte postoperativ für die durchgeführte Operation untypisch starke Schmerzen gehabt und eine Subileussymtomatik geboten, die durch eine Röntgenaufnahme des Abdomens abgeklärt worden sei. Bei einem solchem postoperativen Verlauf müsse immer auch an eine Verletzung im Bereich der ableitenden Harnwege gedacht werden. Als diagnostische Maßnahmen stünden eine Sonographie der Nieren und ein Ausscheidungsurogramm zur Verfügung. Diese diagnostischen Maßnahmen seien nach der Operation bei der Patientin unterlassen worden. Die postoperative Betreuung sei demnach fehlerhaft gewesen und habe zu einer Diagnoseverzögerung geführt.
Die Schlichtungsstelle, die den Wertungen des Gutachters folgte, kam zu folgenden Feststellungen: Verletzungen der Harnblase und der Harnleiter sind seltene Komplikationen, die auch bei kunstgerechtem Operieren auftreten können. Während eine Blasenverletzung in der Regel intraoperativ erkannt wird und folgenlos behoben werden kann, werden Harnleiterverletzungen häufig erst postoperativ diagnostiziert, so daß sie zusätzliche Behandlungsmaßnahmen und Zweitoperationen nach sich ziehen. Bei jedem größeren operativen Eingriff im kleinen Becken sind die ableitenden Harnwege vor der Krankenhausentlassung durch eine orientierende Sonographie zu kontrollieren. Bei Abweichungen vom normalen postoperativen Verlauf, wie blutigem Urin, uncharakteristischen Unterbauchschmerzen und Fieber muß rechtzeitig die Möglichkeit einer Harnleiterverletzung in die Differentialdiagnostik einbezogen werden. Auch eine sich anbahnende Subileussymptomatik und verstärkte Blähungsbeschwerden können erste Anzeichen einer Harnleiterkomplikation sein.
Diese allgemein anerkannten Empfehlungen wurden bei der postoperativen Behandlung der Patientin von den behandelnden Ärzten außer acht gelassen. Dies führte zu einer Diagnoseverzögerung der Harnleiterdurchtrennung von der Krankenhausentlassung am 23.10.1999 bis zur Aufnahme in der Urologischen Klinik am 29.10.1999, die vermeidbar gewesen wäre. Die bei der Patientin eingetretene Gesundheitsbeeinträchtigung ist in der Verlängerung der Behandlungsdauer um 6 Tage und in den unnötigerweise erlittenen Beschwerden und Schmerzen während dieser Zeit zu sehen. Der ärztliche Behandlungsfehler besteht im vorliegenden Fall nicht in der Ureterverletzung, sondern in deren Verkennung im postoperativen Verlauf.