Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Diclofenac i. m. bei Lumbago

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 09/2002

Einleitung
Lumbago wird von Patienten vielfach als “Notfall” wahrgenommen. Für die Behandlung stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die physikalische Maßnahmen und Medikamente umfassen.

In der Praxis ist – namentlich in Deutschland – die intramuskuläre Applikation von NSAR, und hier speziell von Diclofenac ein weit verbreitetes Verfahren.

Kasuistik

Eine 30jährige Patientin wurde im Rahmen eines Hausbesuches wegen einer akuten Lumbalgie behandelt und erhielt von dem hinzugezogenen Notarzt eine intramuskuläre Injektion von Diclofenac. An der Einstichstelle entwickelte sich eine Lipid-Nekrose, die chirurgische Interventionen einschließlich plastischer Deckung zur Folge hatte.

Unsachgemäße Injektionstechnik waren im vorliegenden Fall nicht nachzuweisen, so daß die zentrale Frage des Gutachtenauftrages sich auf die Wahl der intramuskulären Applikationsform von Diclofenac richtete.

Allgemeine Überlegungen zum Fall

Da es sich bei derartigen Schäden durch die intramuskuläre Applikation von Diclofenac um einen nicht seltenen Schlichtungsfall handelt, soll die Frage der Indikation dieser Applikationsform besonders unter allgemeinmedizinischen Aspekten näher beleuchtet werden:
Die intramuskuläre Applikation von Diclofenac ist bezüglich objektiver Schmerzlinderung und Dauer bis zum Wirkungseintritt grundsätzlich anderen Applikationsformen, wie Tabletten oder Suppositorien, nicht überlegen. Auch die unerwünschten Wirkungen an der Magenschleimhaut sind bei parenteralen Applikationsformen nicht grundsätzlich niedriger als bei einer per-os-Gabe oder als Suppositorium. Allerdings zeigt eine Studie, die sich auf 299 Patienten mit Rückenschmerzen aus 18 Allgemeinpraxen bezieht, daß die intramuskuläre Applikation einer oralen Verabreichung von NSAR hinsichtlich Schmerzreduktion und Arbeitsunfähigkeit überlegen war (Bewig u. Abholz 2001).

Das zentrale Argument, das immer wieder von in Anspruch genommenen Ärzten in diesem Zusammenhang vorgebracht wird, richtet sich auf die Erwartung des Patienten nach rascher Besserung im Zusammenhang mit dem erheblichen Leidensdruck der Krankheit. Es wird argumentiert, viele Patienten erwarteten und forderten geradezu eine Spritze, ein Wunsch, dem man sich angesichts der Zielvorstellung eines mündigen Patienten kaum widersetzen könne. Im übrigen entspräche es dem hausärztlichen Vorgehen, die Individualität des Patienten und die jeweiligen Kontextvariablen, wie Erhaltung der Arbeitsfähigkeit oder Verhinderung einer längeren Behinderung u. ä. zu berücksichtigen.

In der Tat findet sich in dem am meist gekauften allgemeinmedizinischen Lehrbuch bei der Behandlung von Rückenschmerzen der Hinweis, daß eine intramuskuläre Injektion mit Diclofenac zwar auf gewisse Bedenken stößt, in vielen Fällen aber durchaus ein höheres Problemlösungspotential beinhaltet, als andere Applikationsformen. Die Argumentation richtet sich also auf die bewußte ärztliche Nutzung einer gewissen magischen oder medialen Wirkung, die vom Procedere und der Spritze als solcher ausgeht und zu einer schnelleren und sichereren Schmerzlinderung führt. Es dürfte einer mehrheitlich von Ärzten geteilten Erfahrung entsprechen, daß der Patient mit dieser Behandlung durchaus zufrieden ist und sie als “besseres” ärztliches Handeln gegenüber der Verordnung anderer Applikationsformen wertet. Auch nach allgemeiner Erfahrung muß davon ausgegangen werden, daß die i.m.-Injektion von Diclofenac in der Tat eine weitverbreitete Behandlungsmethode, namentlich im ambulanten Versorgungssektor darstellt, und bei einer Vielzahl von Ärzten hier kaum ein entsprechendes Problembewußtsein besteht.

Ergebnis des Gutachtens

Der Gutachter gelangt zu dem Schluß, daß hier ein ärztlicher Fehler vorliegt. Seine Argumentation hebt wesentlich auf die bekannten Gefahren einer i.m.-Applikation von Diclofenac ab und darauf, daß eine kritische Abwägung für oder gegen die Maßnahme, die deren Einsatz im speziellen Fall hätte rechtfertigen können, aus der Notfallschein-Dokumentation nicht hervorgehe. Nach Auffassung des Gutachters ist somit die Lipid-Nekrose und die sich daraus weiter entwickelnden notwendigen chirurgischen Interventionen und Beeinträchtigungen der Patientin als unmittelbare Folge des ärztlichen Fehlers einer unkritischen Anwendung von Diclofenac in Form einer i.m.-Injektion zu werten.

Abschließende Beurteilung durch die Schlichtungsstelle und Begründung

Die Schlichtungsstelle schließt den Ausführungen im Gutachten an. Aus juristischer Sicht hat der behandelnde Arzt, wenn mehrere, gleich wirksame Interventionen zur Verfügung stehen, stets jene zu wählen, deren Gefahrenpotential am niedrigsten ist. Wird von dieser Regel abgewichen, so ist der Patient über mögliche Folgen aufzuklären und seine Zustimmung zur Wahl eines Verfahrens mit höherem Gefährdungsgrad erteilen.

(OLG Frankfurt, Urteil vom 12.01.1983, 9 U 10/82, NJW, 1983 f., 1383)

Fazit für die Praxis

Die intramuskuläre Applikation von Diclofenac kann – gerade auch unter ambulanten Bedingungen – durchaus indiziert sein, wobei die jeweilige Bedürfnislage des Patienten hier für die Indikation ausschlaggebend ist. Entscheidend ist, daß der behandelnde Arzt sich der Notwendigkeit einer strengen Indikationsstellung bewußt ist und sein Abweichen hiervon mit dem Patienten erörtert (und – zu empfehlen, aber nicht obligat – unmißverständlich in der Karteikarte dokumentiert und begründet).


Literatur:

Bewig A, Abholz H-H (2001) Pille oder Spritze? Untersuchung zur Frage eines Unterschieds am Beispiel des akuten Rückenschmerzes. Z. Allg. Med. 77: 31-35

Autoren:

GF

Prof. Dr. med. Gisela Fischer

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover