Delayed Treatment of Cardiac Stab Wound Resulting in Hypoxic Brain Damage
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 06/2001
Kasuistik
Ein 27 Jahre alter Mann wurde durch 4 Messerstiche verletzt, von denen einer den Brustkorb links vorn betraf. Die Notversorgung erfolgte in der Unfallchirurgischen Klinik eines größeren Klinikums als der am schnellsten erreichbaren chirurgischen Einrichtung. Hier wurde u.a. eine massive Blutung in die linke Thoraxhöhle festgestellt. Die notfallmäßig angelegte Thoraxdrainage förderte sofort 1000 ml und anschließend weitere 300 ml Blut. Der Patient wurde zur Notoperation unter der Annahme einer schweren Verletzung von Brustorganen sofort in den Operationssaal gebracht. Auf dem Transport zum Operationssaal sistierte der Blutaustritt aus der Thoraxdrainage, der Kreislauf ließ sich stabilisieren. Daraufhin wurde die zunächst geplante Notthorakotomie unterlassen und mit der Versorgung einer weiteren Stichwunde im Bereich der linken Schulter begonnen. Unter dieser Maßnahme kam es zum Kreislaufstillstand, es erfolgte anfänglich externe, nach Ausführung der linksseitigen Thorakotomie interne Herzmassage. Hierdurch konnten die Herzfunktion bzw. der Kreislauf wiederhergestellt werden. Als Ursache der Blutung fand sich eine Stichwunde an der Herzspitze, die bei schlagendem Herzen durch Naht versorgt werden konnte. Der Heilverlauf seitens der Herzverletzung war durch einen erneut auftretenden Herzbeutelerguß kompliziert, der später eine weitere Operation (Herzbeutelfensterung) erforderlich machte.
Infolge des das kritische Zeitmaß überschreitenden Kreislaufstillstandes war es zu einer hypoxischen Hirnschädigung gekommen. Nach Abschluß der Intensivbehandlung wurde der Patient zur Frührehabilitation in eine Neurologische Klinik verlegt. Dort wurde als Aufnahmebefund ein apallisches Durchgangssyndrom festgestellt, das sich unter der Therapie besserte. Es verblieb jedoch ein schwerer neurologischer, psychischer und intellektueller Defektzustand.
Die Angehörigen des Patienten vermuteten, daß der eingetretene schwere Gesundheitsschaden auf Fehler bei der Versorgung der Herzverletzung zurückzuführen ist und wandten sich an die Schlichtungsstelle.
In dem von der Schlichtungsstelle angeforderten herzchirurgischen Gutachten werden zunächst Erläuterungen zu Häufigkeit, Symptomatik und Behandlungsprinzipien der Stichverletzungen im Bereich des Brustkorbes gegeben unter Bezug auf aktuelle einschlägige Literatur. Jede Stichverletzung in diesem Bereich sei von vornherein verdächtig auf die Mitverletzung von Thoraxorganen. In der Beurteilung der im einzelnen getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen kommen die Gutachter zu folgenden Wertungen:
- Von einer lebensgefährlichen Thoraxverletzung war auszugehen. Die Einlieferung in die nächstgelegene Chirurgische Klinik war dringend angezeigt.
- Primärdiagnostik und Therapie (Nachweis des Hämatothorax, Thoraxdrainage) waren korrekt und zeitgerecht.
- Der Nachweis der massiven thorakalen Blutung (1300 ml) in Verbindung mit der Lokalisation der Stichverletzung gebot zwingend die sofortige linksseitige Thorakotomie. Das Sistieren des Blutaustrittes aus der Thoraxdrainage durfte nicht als Zeichen des Sistieren der Blutung aus einem verletzten Thoraxorgan gedeutet werden. Das Aufschieben der geplanten Thorakotomie zugunsten der Versorgung einer nicht lebensgefährlichen Verletzung war nicht gerechtfertigt.
- Die vorliegende Herzstichverletzung konnte, wie der Verlauf beweist, in der primär angelaufenen Unfallklinik sachgerecht versorgt werden. Eine Weiterverlegung in eine entferntere Thorax- bzw. Herzchirurgische Klinik war im Hinblick auf die Notwendigkeit des Versuches der sofortigen Definitivversorgung der Herzverletzung nicht angezeigt.
- Der eingetretene Herz-Kreislaufstillstand wäre wahrscheinlich vermieden worden, wenn die geplante Notthorakotomie sofort ausgeführt worden wäre. Dann wäre man dem Kreislaufstillstand infolge fortdauernder Blutung aus der Herzstichwunde zuvorgekommen.
- Der Hirnschaden ist auf den das tolerierbare Zeitlimit überschreitenden Kreislaufstillstand zurückzuführen.
- Der weitere Verlauf mit Entwicklung wiederholter Perikardergüsse ist nicht auf Behandlungsfehler zurückzuführen.
- Unter der Annahme eines folgerichtigen Ablaufes der Operation wäre mit einer stationären Behandlungsdauer von 2 bis 4 Wochen zu rechnen gewesen. Die darüber hinausgehende Behandlungsdauer ist auf den eingetretenen neurologische Schaden zurückzuführen. Der eingetretene Hirnschaden wäre vermeidbar gewesen.
Seitens der verantwortlichen Ärzte der in Anspruch genommenen Klinik wurde zum Gutachten Stellung genommen. Den Aussagen des Gutachtens wird widersprochen. Aus dem Thorax entleerte Blutmengen bis zu 1500 ml seien tolerabel und würden nicht für sich allein eine Indikation zur Notfallthorakotomie darstellen. Bei dieser Situation könne unter Vorhaltung der Notfallthorakotomie abgewartet werden.
Die Schlichtungsstelle folgte den Wertungen der Gutachter. In der Beurteilung des Gesamtverlaufes kommt es allein auf die Operationssaal getroffene Entscheidung an, die bereits vorgesehene Notfallthorakotomie zugunsten der Versorgung einer nicht lebensbedrohlichen Verletzung zu unterlassen. Die initiale Drainagemenge von 1.000 ml Blut und anschließend von weiteren 300 ml Blut stellte im Hinblick auf die Lokalisation der Thoraxstichwunde die zwingende Indikation zur unverzüglichen Notfallthorakotomie dar. Mit der Möglichkeit einer Herzverletzung mußte gerechnet werden. Die Unterbrechung der Blutförderung aus der Thoraxdrainage konnte nicht als eindeutiger Hinweis auf das Sistieren der Blutung angesehen werden, eine mögliche Herzbeuteltamponade – wie im vorliegenden Falle offensichtlich eingetreten – mußte als Erklärung des Sistierens der Blutförderung zwingend in Betracht gezogen werden.
Die Unterlassung der sofortigen Notfallthorakotomie stellte einen vermeidbaren Behandlungsfehler dar. Es muß davon ausgegangen werden, daß man bei sofort ausgeführter Notthorakotomie und Naht der Herzstichwunde dem Kreislaufstillstand zuvorgekommen wäre.
Folge des vermeidbaren Behandlungsfehlers ist, abgesehen von der verlängerten Behandlungsdauer, die eingetretene Hirnfunktionsstörung mit ihren neurologischen und psychischen Folgen. Entsprechend einem neurologisch/psychiatrischen Untersuchungsbefund, der nach Abschluß der Rehabilitationsmaßnahmen erstellt wurde, bedingte der eingetretene Hirnschaden einen Grad der Behinderung von 80 % und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v.H. Der Endzustand war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu beurteilen, Besserungstendenzen waren noch nachweisbar.
Die Schlichtungsstelle hielt Schadenersatzansprüche für begründet, eine außergerichtliche Regulierung wurde empfohlen.