Kasuistik
Es war die Behandlung eines 6-jährigen Jungen zu prüfen, der sich eine dislozierte distale Unterarmfraktur rechts zugezogen hatte.
Nach der stationären Aufnahme des Jungen hatte man nach röntgenologischer Sicherung der Diagnose die Indikation zur operativen Therapie der Fraktur gestellt. Die Operation wurde noch am Unfalltag vorgenommen – Reposition der dislozierten Fraktur und Retention mit Platte und Draht.
Für die Operation war eine pneumatische Blutsperre am Oberarm des Patienten angelegt worden. Seitens der Klinik wurde im Schlichtungsverfahren angegeben, dass die Oberarmblutsperre mit einem Druck von 200 mmHg gefüllt worden sei. Die Anlage der Manschette sei korrekt erfolgt mit einer Watteumwicklung innen und mit einer dem Umfang des Oberarmes entsprechenden Manschette. Danach sei die Sperre mit Krepp-Papier und wasserdichtem Tape umwickelt worden. Es fand sich dazu keine zeitnahe Dokumentation in der Krankenakte.
Postoperativ hatte man im Bereich der Haut, die mit der Manschette in Berührung gekommen war, Hautveränderungen in Form von Rötungen und faltenartigen Blasenbildungen gefunden. Diese wurden als „semizirkulärer Quetschschaden“ bezeichnet und dokumentiert.
Die Metalle waren nach drei Monaten entfernt worden. Die Hautveränderungen im Bereich der Blutsperre hatten jedoch zu Epitheldefekten in dem Bereich geführt, auf dem die Manschette angelegt worden war. Die Hautverletzung musste 4,5 Monate lang ärztlich behandelt werden (unter anderem Wundsäuberungen, Nekroseabtragungen, wechselnde Salbenverbände). Die Hautverletzung heilte mit der Ausbildung von Narbengewebe.
Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Die Eltern des Kindes gehen von einem fehlerhaften Anlegen beziehungsweise einer fehlerhaften Füllung der Blutsperren-Manschette am Tag der Operation aus. Sie dokumentierten den Verlauf der Hautveränderungen mit selbst angefertigten Fotografien. Sie beklagen außerdem die Narbenbildungen, die möglicherweise weitere Operationen zur Folge haben könnten.
Stellungnahme Krankenhaus
Zu dem Vorwurf fehlerhaften Handelns wird seitens des in Anspruch genommenen Krankenhauses argumentiert, dass die Operation der dislozierten Fraktur indiziert gewesen sei. Die Manschette für die Blutsperre sei korrekt mit einem Druck von 200 mmHg gefüllt worden und vorab fachgerecht gepolstert worden (Watteumwicklung, Krepp-Papier, wasserdichtes Tape). Die Hautschädigung sei als „schicksalhaft entstanden“ zu betrachten.
Entscheidung der Schlichtungsstelle
Der 6-jährige Junge hatte sich eine dislozierte distale Unterarmfraktur zugezogen. Die Indikation zur operativen Therapie der Fraktur ist nicht in Zweifel zu ziehen. Der Eingriff wurde noch am Unfalltag vorgenommen. Reposition und die osteosynthetische Versorgung der Verletzung erfolgten zeit- und fachgerecht. Die Fraktur heilte folgenlos aus.
Für die Operation war dem kindertraumatologischen Standard entsprechend eine pneumatische Blutsperre angelegt worden. Voraussetzung für eine fachgerechte Verwendung einer pneumatischen Blutsperre ist die korrekte Anlage derselben: Dazu zählen eine Polsterung, die glatte Manschettenlage ohne Faltenbildung, eine dem Armumfang adaptierte Wahl der Manschettenlänge, eine der Oberarmlänge entsprechende Manschettenbreite sowie die äußere Abdichtung zur Vermeidung von Hautschädigungen durch Desinfektionsmitte und ferner ein patientenadaptierter Manschettendruck. Für Kinder im Alter von 6 Jahren gilt ein maximaler Manschettendruck von 150 mmHg als Standard, 200 mmHg als obere Grenze, wobei der Standard individuell zu bestimmen ist und die wissenschaftliche Literatur nicht einheitlich ist. Zu beachten ist auch der Zeitraum der Dauer der Anlage der Manschette, der maximal 1,5 bis 2 Stunden betragen soll.
Im konkreten Fall ist ein kausaler Zusammenhang zwischen der Anlage der pneumatischen Blutsperre für die Operation der Unterarmfraktur und den nachfolgend langzeitig zu behandelnden Hautschädigungen im Bereich der Oberarm-Manschette unstrittig. Es stellt sich nun die Frage, ob es zu der Schädigung aufgrund eines Behandlungsfehlers gekommen ist.
Es liegt ein Fall des sogenannten voll beherrschbaren Risikos vor. Die Schädigung erfolgte in einem Bereich, dessen Gefahren medizinisch voll beherrscht werden können und müssen. Die standardgerechte Ausführung der oben dargestellten Maßnahmen gewährleistet dies. Auch war es für den Patienten intraoperativ nicht möglich, sich gegen die Gefahren der Manschette selbst zu schützen. Der Schaden entstand nicht in der „Risikosphäre“ des Patienten, sondern in der des Arztes. Daher besteht eine Fehlervermutung zu Lasten der Arztseite. Um sich von dieser Fehlervermutung zu entlasten, hätte von der Arztseite bewiesen werden müssen, dass der Schaden trotz standardgerechter Anlage aufgetreten ist. Dieser Beweis wurde nicht erbracht.
Fazit
Es kam zu Hautschäden am Oberarm im Manschettenbereich, die über einen Zeitraum von 4,5 Monaten behandelt werden mussten. Für den Jungen waren sie mit Schmerzen und Einschränkungen verbunden. Es könnten eventuell noch operative Korrekturen im Bereich der Narben im Manschettenbereich am Oberarm des Jungen erforderlich sein.