Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Doppelte Einlage von Intaruterinpessaren – fehlerhaft, jedoch ohne beweisbaren Gesundheitsschaden

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 11/2009

Einleitung
Gelegentlich wird in der gynäkologischen Praxis in Unkenntnis eines bereits liegenden Intrauterinpessars (IUP, vulgo auch „Spirale“ genannt) ein zweites Pessar in der Gebärmutterhöhle platziert. Ursache dieses Irrtums sind subjektive Faktoren, wie Vergesslichkeit seitens Patientin beziehungsweise Arzt, häufiger Arztwechsel, mangelhafte Dokumentation oder unterlassene beziehungsweise inadäquate sonographische Diagnostik vor dem Eingriff. Die Präsenz zweier Pessare im Uterus bleibt nicht selten über Jahre unentdeckt, wie die folgenden Kasuistiken beweisen:

Kasuistik 1

Bei der damals 31-jährigen Patientin, aus deren Vorgeschichte psychische Probleme mit Bulimie sowie eine Funktionsstörung der Schilddrüse bekannt waren, wurde im Dezember 1996 ein kupferhaltiges IUP vom Typ Multiload von einer niedergelassenen Gynäkologin appliziert. Nach Ausscheiden dieser Ärztin wurden die weiteren Kontrollen von der Praxisnachfolgerin übernommen. Bei einer Konsultation der Patientin im Juni 1999 ließ sich das Pessar einwandfrei sonographisch darstellen. Zunächst war im Konsens zwischen Ärztin und Patientin die Entfernung dieser Spirale mit Übergang auf orale Kontrazeption geplant. Doch entschied sich die Patientin kurzfristig zur Fortsetzung der Empfängnisverhütung durch ein neues IUP. Daraufhin erfolgte am 8. Oktober 1999 die Implantation der neuen Spirale, abermals vom Typ Multiload. Die Entfernung des alten Pessars ist ebenso wenig dokumentiert, wie eine kontrollierende Sonographie. In den Aufzeichnungen der Ärztin wurde lediglich festgehalten, dass am Muttermund kein Faden sichtbar war.

Nach Platzierung des neuen Pessars wurde zunächst dessen korrekter Sitz am 14. Dezember 1999 festgestellt. Eine weitere Kontrolle erfolgte allerdings erst nach drei Jahren, das heißt im Oktober 2002. Jetzt wurde erstmals der Verdacht geäußert, dass sich im Cavum uteri zwei Spiralen befinden könnten und die Patientin einem weiteren Frauenarzt vorgestellt. Dieser bestätigte den Verdacht durch Bilddokumentation.

Am 29. Januar 2003 wurden in Narkose beide Intrauterinpessare entfernt.

Die Antragstellerin sah in der Platzierung zweier Intrauterinpessare in der Gebärmutterhöhle einen ärztlichen Fehler und wandte sich an die Schlichtungsstelle.

Die in Anspruch genommene Ärztin machte geltend, dass die Patientin ihren Vorschlag zur Medikation oraler Kontrazeptiva abgelehnt und zum damaligen Zeitpunkt auf der Einlage einer neuen Spirale bestanden hätte. Thema jeder Konsultation sei die psychische Verfassung der Patientin gewesen. Darüber wäre sie abgelenkt worden und hätte deshalb nicht dokumentiert, ob das frühere IUP entfernt worden sei oder nicht. Sie bedauere das überflüssige Einsetzen des zweiten IUP.

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter kam zu folgenden Feststellungen:
Die adäquate Überwachung der Antragstellerin sei zweifellos schwierig gewesen, da sie sich laut Dokumentation nur unregelmäßig zu Kontrollen vorgestellt und zeitweise sogar zwei Frauenärzte parallel aufgesucht habe. Grundsätzlich sei jedoch das Nichtentfernen eines IUP vor erneuter Einlage als fehlerhaft zu bewerten. Die Applikation des neuen IUP am 8. Oktober 1999 müsse in mehrfacher Hinsicht kritisch bewertet werden. Es seien weder Sondenlänge noch sonographische Vermessung der Gebärmutter dokumentiert worden. Auch ein Fotoprint des korrekten Sitzes des IUP unmittelbar nach der Einlage wäre nicht vorhanden. Schließlich fehle eine Beschreibung des gesamten Vorgangs der Applikation des Pessars. Die Feststellung, keinen Faden mehr am Muttermund gesehen zu haben, reiche eindeutig nicht aus.

Allerdings wäre durch die simultane Präsenz zweier Intrauterinpessare über drei Jahre kein Gesundheitsschaden aufgetreten. Gelegentliche Beschwerden bei der Periode sowie Zwischenblutungen könnten sich auch bei nur einem Pessar im Uterus einstellen. Ob die zur Entfernung der beiden IUP eingeleitete Narkose hätte vermieden werden können, müsse offen bleiben. Es sei nicht auszuschließen, dass sich bei der Patientin aufgrund der bekannten hypotonen Kreislaufsituation eine relative Indikation zur Narkose ergeben hätte.

Die Schlichtungsstelle schloss sich der Bewertung des Sachverhalts durch den Gutachter an und konnte keine Empfehlung zur außergerichtlichen Regulierung von Schadenersatzansprüchen geben.

Kasuistik 2

Bei der damals 30-jährigen Patientin erfolgte am 22. Januar 2002 in der Praxis eines Frauenarztes die Einlage der kupferhaltigen Spirale des Typs Multiload. In den folgenden dreieinhalb Jahren wurde die Position des Pessars regelmäßig sonographisch kontrolliert.

Zwischenzeitlich litt die Patientin unter Blutungsstörungen und rezidivierenden Pilzinfektionen der Scheide. Ende April 2005 wurde im Konsens mit der Patientin die Applikation einer gestagenhaltigen Spirale vom Typ Mirena in Aussicht genommen. Der Eingriff erfolgte am 19. Juli 2005 laut Dokumentation ohne Probleme. Dabei wurde in dieser Situation offenbar nicht daran gedacht, dass sich bereits seit dreieinhalb Jahren ein Pessar im Uterus befand. Trotz der anschließenden sonographischen Kontrolle ist der Dokumentation kein Hinweis zu dem noch liegenden alten Multiload-IUP zu entnehmen.

In den folgenden Monaten kam es zu Blutungsstörungen, zu deren Regulierung der behandelnde Arzt das Kontrazeptivum Yasmin verschrieb. Ab Juni 2006 entwickelte sich bei der Patientin unter Schmerzen und Fieber eine Adnexitis mit deutlich erhöhten Entzündungsparametern (Leukozyten 12 600/ ml; CRP 51,7 mg/dl). Die Behandlung erfolgte mit Cephalexin 1000. Bei laufenden sonographischen Kontrollen des IUP sah der behandelnde Arzt keinen auffälligen Befund. Bis Anfang Juli 2006 hatte sich der Zustand deutlich gebessert. Allerdings persistierten die Blutungsstörungen. Die Verordnung des Gestagens Desogestrel (Cerazette) Ende Januar 2007 brachte keinen Erfolg. Deshalb wurde die Mirena-Spirale am 21. Mai 2007 wieder entfernt. Eine kontrollierende Sonographie ist nicht dokumentiert.

Drei Tage später kam es unter starken Schmerzen und druckdolenten Anhängen erneut zu einem Entzündungsschub (Leukozyten 13 000/ ml, CRP 102 mg/l), der wiederum mit Cephalexin behandelt wurde. Die nur auf die Adnexe fokussierte Sonographie signalisierte einen „zystischen Prozess“.

Bei immer stärker werdenden Beschwerden suchte die Patientin die Praxispartnerin des in Anspruch genommenen Arztes auf. Diese identifizierte bei vaginaler Einstellung eine Fadenmarkierung am Muttermund und konnte das alte Multiloadpessar von 2002 entfernen. Anschließend wurde die Patientin mit Verdacht auf Tuboovarialabszess stationär eingewiesen. Die Diagnose bestätigte sich jedoch nicht. Unter Antibiose kam es zur raschen Regression des Entzündungsprozesses.

Bei einer späteren Laparoskopie im Januar 2008 fanden sich Verwachsungen im Unterbauch, die gelöst wurden. Beide Eileiter erwiesen sich als verschlossen.

Die Antragstellerin wirft dem behandelnden Arzt vor, durch das Unterlassen der Entfernung des Pessars von 2002 mit der Neueinlage eines zweiten IUP Blutungsstörungen und Entzündungen verursacht zu haben.

Der behandelnde Arzt räumte in seiner Stellungnahme das Versäumnis der nicht entfernten Spirale ein, äußerte jedoch Zweifel, dass die vorgetragenen Beschwerden darauf zurückzuführen wären. Diese seien vielmehr auf typische Nebenwirkungen eines Intrauterinpessars einzuordnen.

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter kam zu folgenden Feststellungen

Die Überprüfung der eigenen Dokumentation beziehungsweise ein kurzes orientierendes Gespräch des Arztes vor der Einlage des Mirena-Pessars am 19. Juli 2005 hätten genügt, um sich an das seit 2002 liegende Multiload-IUP zu erinnern. Auch habe eine gezielte sonographische Darstellung der Gebärmutter unmittelbar vor dem Eingriff nicht stattgefunden. Diese sei jedoch dringend indiziert gewesen, um ein leeres Cavum uteri zu gewährleisten. Auch fände sich zum Kontrollfaden beziehungsweise dessen Kürzung kein Eintrag.

Das Übersehen eines bereits in situ befindlichen kupferhaltigen Intrauterinpessars bei der Implantation einer weiteren Spirale spräche für eine Verletzung ärztlicher Sorgfaltspflichten.

Ohnehin fragwürdig sei nach Einlage des gestagenwirksamen IUP Mirena die mehrfache, doch erfolglose Behandlung der rezidivierenden Blutungsstörungen durch die Medikation eines Kontrazeptivum, ohne die Ursache der Blutungen zu klären.

Die Entwicklung der aszendierenden Genitalinfektion bei der Patientin ließe sich zunächst zwanglos als begünstigende Folge der intrauterinen Präsenz zweier Intrauterinpessare einordnen. Da Entzündungen der Adnexe aber auch ohne intrauterine Kontrazeption auftreten würden und das Risiko nach Studienlage weitaus eher dem Sexualverhalten der Partner zugeschrieben werde, sei ein Zusammenhang denkbar, doch nicht schlüssig zu beweisen. Ebenso wäre eine Kausalität zwischen den zwei gleichzeitig liegenden Intrauterinpessaren und dem Ausmaß des laparoskopischen Befunds vom Januar 2008 nicht beweisbar.

Die Schlichtungsstelle hielt die gutachterlichen Argumente für überzeugend und sah auch in diesem Fall keine hinreichenden Gründe für die Empfehlung zur außergerichtlichen Regulierung von Haftungsansprüchen.

Autoren:

HDM

Prof. Dr. med. H. D. Methfessel

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover