Kasuistik
In einem Schlichtungsverfahren waren die Behandlungen und Untersuchungen durch einen niedergelassenen Facharzt für Chirurgie (im Weiteren Chirurg genannt) und einen Facharzt für Chirurgie mit Zusatzbezeichnung Handchirurgie (im Weiteren als Handchirurg bezeichnet) zu prüfen.
Ein 55-jähriger Patient hatte sich anderthalb Jahre vor der Konsultation des niedergelassenen Chirurgen mehrfach an der rechten Hand verletzt. Wegen der anhaltenden Schmerzen im rechten Handgelenk stellte er sich in der Praxis vor. Klinisch fand sich eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des geschwollenen rechten Handgelenks. In den Röntgenaufnahmen wurde ein Zusammenbruch der vorderen Handwurzelreihe nachgewiesen, dessen Ursache in einer veralteten Ruptur (Riss) der Bandverbindung zwischen dem Kahnbein und dem Mondbein zu finden war (SLAC-wrist im Stadium III mit statischer Instabilität). Die speichenseitige Radiusgelenkfläche war posttraumatisch degenerativ verändert. Die gegenüberliegende Gelenkfläche des Mondbeines in der Speiche sowie die Gelenkflächen zwischen der vorderen und der hinteren Handwurzelreihe waren unauffällig.
Der niedergelassene Chirurg stellte den Patienten mit den Röntgenbildern beim Handchirurgen im Krankenhaus vor. Dort wurde dem Patienten die Entfernung der körpernahen Handwurzelreihe (Proximal Row Carpectomie) empfohlen. Er entschied sich für den Eingriff, bei dem zusätzlich wegen eines neurologisch und klinisch gesicherten Karpaltunnelsyndroms das Karpaldach gespalten und eine Handgelenkdenervation durchgeführt wurde.
Mögliche Komplikationen und Grenzen des geplanten Eingriffs sowie alternative Methoden wurden ausweislich der zeitnah erstellten ärztlichen Dokumentation besprochen. So wurde ein individualisierter Formularaufklärungsbogen verwendet, in dem darauf hingewiesen wurde, dass ein Erfolg der Operation nicht zugesichert werden könne. Zusätzlich war in der Krankenakte dokumentiert, dass dem Patienten die konservativen und operativen Behandlungsmöglichkeiten erläutert worden waren, er eine Handgelenksversteifung jedoch ablehnte und die „Rettungsoperation“ wünschte.
Die postoperativen Röntgenaufnahmen zeigten eine achsengerechte Stellung der verbliebenen Handwurzelknochen. Nach störungsfreier Wundheilung erfolgten physiotherapeutische Maßnahmen. Trotzdem bestehen weiterhin Beschwerden im rechten Handgelenk.
Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Der Patient bemängelt, dass ihm im Gespräch vor dem Eingriff von den Ärzten eine einwandfreie Wiederherstellung des Handgelenkes versichert worden sei. Auch über Risiken sei nicht gesprochen worden. Er bezweifelt, ob die Operation in dieser Form hätte durchgeführt werden dürfen. Die Schmerzen und die Schwellung des rechten Handgelenks seien nach der Operation noch stärker als zuvor. Er müsse ständig und regelmäßig wegen der belastungsabhängigen Schmerzen Medikamente einnehmen.
Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie
Der niedergelassene Chirurg weist darauf hin, dass er den Patienten konsiliarisch beim Handchirurgen vorgestellt habe. Dieser hätte die operative Therapie aufgezeigt, den Operationstermin mit dem Patienten vereinbart und den Eingriff durchgeführt. Der Chirurg betont, dass er lediglich die Vor- und Nachbehandlung nach bestem Wissen und Gewissen und entsprechend den Empfehlungen des Handchirurgen durchgeführt habe.
Stellungnahme des Facharztes für Handchirurgie
Der Handchirurg aus der Klinik weist darauf hin, dass dem Patienten vor dem Eingriff weder Beschwerdefreiheit noch Normalisierung der Handgelenkfunktionen in Aussicht gestellt worden sei. Um eine komplette Versteifung des rechten Handgelenkes zu vermeiden beziehungsweise hinauszuzögern, sei die Entfernung der vorderen Handwurzelreihe vorgeschlagen und nach Einverständniserklärung des Patienten komplikationslos durchgeführt worden. Ein schuldhaftes Geschehen sei nicht ersichtlich. Der Vorwurf einer fehlerhaften Behandlung sei kategorisch zurückzuweisen.
Gutachten
Der von uns beauftragte Gutachter, Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie, Plastische Chirurgie mit Zusatzbezeichnung Handchirurgie, kam zu folgenden Kernaussagen: Seinerzeit sei weder durch den Chirurgen noch durch den Handchirurgen gegen geltende Standards verstoßen worden. Es sei nicht fehlerhaft gehandelt worden. Die durchgeführten Diagnostikmaßnahmen durch den Chirurgen seien ausreichend gewesen. Es hätten Indikationen für operative Eingriffe am rechten Handgelenk bestanden und diese seien durch den Handchirurgen fachgerecht durchgeführt worden. Die Nachbehandlung durch den Chirurgen sei korrekt gewesen. Die verbliebenen Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigungen am rechten Handgelenk sprächen nicht für eine fehlerhafte Primärversorgung.
Die unfallbedingte Zerstörung der Handwurzelknochen habe zu der Rettungsoperation mit dem Ziel einer Verbesserung der Funktion und der Vermeidung einer massiven Verschlechterung der Situation geführt. Eine vollständige Wiederherstellung von Struktur und schmerzfreien Funktionen wäre nicht zu erreichen gewesen. Vielmehr seien die aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der Schwere der posttraumatischen Zerstörung der Handwurzel typisch und auch bei sorgfältigstem Vorgehen nicht immer zu vermeiden.
Die Alternative zur Entfernung der körpernahen Handwurzelreihe wäre eine komplette Handgelenkversteifung gewesen, mit dem Nachteil des Verlustes der Handgelenkbeweglichkeit. Nun sei immerhin eine Restbeweglichkeit nach Entfernung der körpernahen Handwurzelreihe bei eingeschränkter Schmerzfreiheit das Ergebnis. Ohne die operativen Therapiemaßnahmen wäre mit einer zunehmenden Verschlechterung und weitgehender Gebrauchsunfähigkeit der rechten Hand zu rechnen gewesen.
Bewertung der Haftungsfrage
Die Schlichtungsstelle schloss sich dem Gutachten im Ergebnis an: Ärztliche Fehler in der Behandlung waren nicht festzustellen. Es bestand wegen einer chronischen Gefügestörung der proximalen Handwurzelreihe durch eine veraltete Ruptur der Bandverbindung zwischen dem Kahnbein und dem Mondbein (SL-Band-Ruptur), die zu einem Zusammenbruch der Handwurzelknochen geführt hatte, eine Indikation für eine „Rettungsoperation“ des rechten Handgelenks.
Zur Prophylaxe beziehungsweise Verzögerung von weiteren Langzeitschäden, zum Erhalt der verbliebenen Restbeweglichkeit im Handgelenk und zur Vermeidung einer Totalversteifung war bei intaktem Mediokarpalgelenk und intraoperativ arthrosefrei nachgewiesener Fossa lunata (grubenförmige Mulde in der Speichengelenkfläche) die Proximal Row Carpectomie (Entfernung der körpernahen Handwurzelreihe) angezeigt.
Die Eingriffe wurden fachgerecht durchgeführt und die Nachbehandlung erfolgte korrekt. Die Aufklärungsrüge war nach Aktenlage nicht begründet. Der Vorwurf, es sei über die Risiken der Eingriffe nicht ausreichend aufgeklärt und ein Erfolg zugesichert worden, ist nach Aktenlage durch den unterschriebenen Aufklärungsbogen und der zusätzlichen Eintragungen über Gespräche in der Krankenakte widerlegt.
Fazit
Gerade bei Behandlungsmaßnahmen, die darauf abzielen, den Status quo zu sichern und bei denen es keine Aussicht auf Heilung gibt, ist im Aufklärungsgespräch dies deutlich darzustellen und auch zeitnah zu dokumentieren (§ 630f BGB). Die Tatsache, dass der Gesetzgeber ausdrücklich die Aufklärung als zu dokumentieren benennt, zeigt den Stellenwert, den er ihr zubilligt. Selbstverständlich kann vor Gericht durch Partei- und Zeugenvernehmung versucht werden, den Sachverhalt zu klären, die höchstrichterliche Rechtsprechung hat aber folgenden Grundsatz entwickelt:
Bei Vorliegen einer ordnungsgemäßen zeitnahen Dokumentation können die in den Krankenunterlagen niedergelegten Umstände und Vorgänge im Allgemeinen als richtig zugrunde gelegt werden, auch wenn ihre Richtigkeit bestritten ist.
Neben der Tatsache, dass man in Gesprächen mit dem Patienten auch nach Jahren sicherer auftreten kann, wird durch eine angemessene Dokumentation ein Rechtsstreit möglicherweise verhindert. Die Mehrheit der Rechtsanwälte würde ihrer Mandantschaft davon abraten zu klagen, wenn lediglich die Aufklärung gerügt wird und eine zeitnahe ordnungsgemäße Dokumentation vorliegt.