Incorrect Assessment and Treatment Error of Malum Perforans (Neurotrophic Ulcer) in Patient with Diabetic Foot Syndrome
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 04/2010
Einleitung
Ein neu aufgetretenes Mal perforant bei einem diabetischen Fußsyndrom bedarf vor der Behandlung der Klärung, welche Strukturen (Weichteile, Knochen, Gelenke) an dem Entzündungsprozess beteiligt sind.
Kasuistik
Der zum Behandlungszeitpunkt 66-jährige Mann litt seit Jahren an einem Diabetes mellitus. Eine diabetische Polyneuropathie und Angiopathie waren aus früheren Untersuchungen bekannt. Wann letztmalig entsprechende Untersuchungen (Angiologie, Neurologie) durchgeführt worden waren, war nicht aktenkundig. Wegen eines neu aufgetretenen Entzündungsherdes zwischen der IV. und V. Zehe links wurde der Patient einer dermatologischen Praxis überwiesen. Der Hautarzt dokumentierte bei der Erstvorstellung: „Interdigital zwischen Digitus 4 und 5 anamnestisch spontan perforiertes Mal perforant mit hyperkeratotischem Randwall,kein Pus exprimierbar, keine Zeichen einer Infektion, Fuß warm. Keine pAVK-Symptome. Diagnose: Malum perforans bei Diabetes mellitus, Klavus. Prozedere: Rat zum Tragen weiter Schuhe und Druckentlastung und Orthopädieempfehlung. PVP-Salbenverband“. Ergänzende Befunde zum diabetischen Fußsyndrom wurden weder angefordert noch entsprechende Untersuchungen veranlasst. Im Rahmen der insgesamt vierwöchigen dermatologischen Behandlung wurden durchgeführt: Abtragung von „Kallus“, Salbenverbände. Nach Auftreten einer als Erysipel gedeuteten Vorfußphlegmone erfolgte zunächst eine Behandlung mit Penicillin. Wegen Fortdauer der Entzündung mit putrider Sekretion, Knochenfreilegung und zentraler Progression im Sinne einer Vorfußphlegmone wurde der Patient stationär eingewiesen. Im Rahmen der stationären Behandlung gelang zunächst die Rückbildung der Vorfußphlegmone durch antibiotische Behandlung. Röntgenologisch wurde eine destruierende Ostitis im Bereich der IV. Zehe festgestellt. Nach Beherrschung des akut entzündlichen Prozesses erfolgte drei Wochen nach Klinikaufnahme die Amputation der IV. Zehe. Der Patient konnte zwei Wochen später mit verheiltem Amputationsstumpf entlassen werden.
Der Patient wirft dem behandelnden Hautarzt vor, die Entzündung im Zehenbereich falsch behandelt und damit das Fortschreiten des Entzündungsprozesses sowie die Amputation der IV. Zehe verschuldet zu haben.
In seiner Stellungnahme zum Behandlungsvorgang verweist der in Anspruch genommene Arzt auf das zusätzliche Auftreten einer „Wundrose“, die ursächlich für den Zehenverlust gewesen sei.
Die Beurteilung erfolgte durch Gutachter der Schlichtungsstelle
Die Bewertung der bei Klinikaufnahme, vier Wochen nach Behandlungsbeginn in der Hautarztpraxis angefertigten Röntgenaufnahmen des linken Fußes ergaben osteoarthropatisch-destruktive Veränderungen, typisch für das diabetische Fußsyndrom, an den MP-Gelenken I (beginnend), III und IV (fortgeschritten). Grund- und Mittelglied der IV. Zehe zeigen eine floride, destruierende Ostitis mit unregelmäßiger Auflösung der Knochenstruktur, Verschmälerung des Schaftes des Grundgliedes der IV. Zehe auf fast die Hälfte infolge entzündlicher Osteolyse, Sequestrierungen, Spontanfrakturen am Köpfchen und an der Basis des Grundgliedes. Dieser fortgeschrittene entzündliche Knochenprozess muss aufgrund der Röntgenmorphologie bereits langfristig bestanden haben, er war die Ursache des im Untersuchungsbefund des Hautarztes beschriebenen spontan perforierten Mal perforant zwischen der IV. und V. Zehe. Der vom Hautarzt erhobene Befund am linken Fuß entsprach ohne jeden Zweifel einem sogenannten diabetischen Fußsyndrom auf dem Boden einer diabetischen Mikroangiopathie und Neuropathie. Der Arzt hatte ausweislich seiner Dokumentation eine sorgfältige Anamnese erhoben und eine korrekte klinische Untersuchung durchgeführt, in deren Ergebnis er die richtige Diagnose eines Mal perforant bei diabetischem Fuß stellte. Röntgenaufnahmen des Fußes standen ihm nicht zur Verfügung. In Kenntnis des Röntgenbefunds hätte er eine andere Entscheidung treffen müssen.
Wird man als behandelnder Arzt erstmalig mit dem klinisch eindeutigen Befund eines diabetischen Fußsyndroms, insbesondere mit einem Mal perforant konfrontiert, ohne dass zusätzliche Informationen, wie konventionelle Röntgenaufnahmen, weiterführende angiologische und neurologische Befunde vorliegen, so muss, bevor man sich zu einer Therapie entschließt, zunächst geklärt werden, ob dem Mal perforant oder einem anderen entzündlich destruktiven Weichteilprozess Knochen- und/oder Gelenkveränderungen zugrunde liegen, die eine aktive, gegebenenfalls chirurgische Therapie erfordern. Hier ist dem in Anspruch genommenen Arzt vorzuwerfen, dass er zu Behandlungsbeginn keine konventionelle Röntgenaufnahme des linken Fußes veranlasst hat. Diese hätten den entzündlich-destruktiven Knochenprozess an der IV. Zehe als Ursache des „neu aufgetretenen“ Mal perforant ergeben mit der Folge, dass eine chirurgische Behandlung veranlasst worden wäre. Die durchgeführten Manipulationen am Mal perforant ohne Kenntnis der zugrundeliegenden Ostitis waren nicht indiziert und haben möglicherweise den Ausbruch der Vorfußphlegmone begünstigt. Das Versäumnis, vor Behandlung des diabetischen Fußsyndroms Röntgenaufnahmen zur Beurteilung gegebenenfalls vorhandener osteoarthrotischer oder ostitischer Befunde anfertigen und auswerten zu lassen, musste als fehlerhaft beurteilt werden. Der Fehler hatte eine Verzögerung der erforderlichen Therapie mit während dieses Zeitraums einhergehenden vermeidbaren Schmerzen zur Folge. Aus dem bei der stationären Aufnahme festgestellten, weit fortgeschrittenen ostitischen Befund kann mit ausreichender Sicherheit abgeleitet werden, dass vier Wochen vorher, also zu Beginn der Behandlung durch den Hautarzt, bereits ein Befund vorgelegen hat, der zur Amputation, mindestens aber zur chirurgischen Revision der IV. Zehe geführt hätte. Hierfür spricht neben der Röntgenmorphologie auch die zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende äußere Fistelbildung in Form eines Mal perforant mit Freilegung von Knochen. Somit wäre die Zehenamputation im Sinne der Ausschaltung des Entzündungsherdes auch bei korrekter Diagnostik und Behandlung des Hautarztes unvermeidbar gewesen. Es kann aber mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sich die Behandlungsdauer wesentlich verkürzt hätte:
- Die Zehenamputation hätte kurzfristig im noch entzündungsfreien Stadium der benachbarten Weichteile durchgeführt werden können.
- Die Vorfußphlegmone mit dem Aufschub der Zehenamputation um weitere drei Wochen wäre vermieden worden.
Unter Berücksichtigung üblicher Wartefristen ergab sich zusammenfassend eine fehlerbedingte Verzögerung der notwendigen Behandlung der Ostitis der IV. Zehe von etwa sechs Wochen. Der Verlust der IV. Zehe selbst war nicht fehlerbedingt.
Die Schlichtungsstelle hielt abschließend Schadenersatzansprüche in dem dargestellten Rahmen für begründet und empfahl eine außergerichtliche Regulierung.