Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Fehleinschätzung eines akuten Larynxödems mit Todesfolge

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 01/2004

Kasuistik

Eine 55-jährige Frau wurde ein halbes Jahr vor ihrem Tode wegen eines Brustkrebses operiert und röntgenbestrahlt. Sie erkrankte eines Tages akut mit Halsschmerzen, Schluckbeschwerden und Sprechschwierigkeiten. Sie suchte die Praxis eines HNO-Arztes auf. Dieser stellte eine Schwellung des Schlundes und des Kehlkopfeinganges fest. Er verabreichte je ein Cortisonpräparat per Injektion i.m. und i.v.. Danach ließ er die Patientin im Ruheraum der Praxis beobachten. Sein Versuch, inzwischen Informationen über Vorerkrankungen einzuholen, mißlang. Nach etwa 45 Minuten untersuchte er die Patientin ein zweites Mal. Seiner Darstellung zufolge habe sich zu diesem Zeitpunkt der klinische Zustand gebessert, die Schwellung sei rückläufig gewesen. Er veranlaßte die stationäre Aufnahme in die HNO-Klinik eines 20 Kilometer entfernten Städtischen Krankenhauses. Der einweisende Arzt forderte jedoch keinen Krankenwagen an, sondern ließ die Patientin von ihrem Ehemann in deren eigenem Kraftfahrzeug zum Krankenhaus fahren. Bei Eintreffen dort gab die Patientin keine Lebenszeichen mehr von sich. Sie wurde auf die Intensivtherapiestation verlegt und dort beatmet. Acht Tage später verstarb die Patientin.

Der Ehemann wirft dem HNO-Arzt vor: Seine Frau hätte im Rettungswagen in das nächstgelegene Krankenhaus am Ort gebracht werden müssen. Dann wäre ärztliche Hilfe rechtzeitig möglich gewesen und der Tod vermieden worden.

Der in Anspruch genommene Arzt argumentiert, er habe die Patientin zweimal untersucht und bei seiner zweiten Untersuchung eine Besserung festgestellt. Die Patientin sei nicht apathisch gewesen, konnte selbst gehen und habe sich mit den Arzthelferinnen unterhalten. Er habe daher nicht von einer Notsituation mit höchster Dringlichkeitsstufe ausgehen können.

In der Beurteilung der ärztlicherseits getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen kommt der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter zu folgenden Wertungen:
Zu den Standarduntersuchungen bei Halsschmerzen mit Schwellungszuständen gehöre in jedem Falle – neben der Inspektion der Mundhöhle und des Rachens – eine indirekte Laryngoskopie oder eine Lupenlaryngoskopie mit Beurteilung der Kehlkopfstrukturen, ferner eine Inspektion und Palpation des äußeren Halses. In den Aufzeichnungen des Arztes befinde sich kein Befund über die Inspektion und Palpation des äußeren Halses. Zum Larynx werde nur ausgesagt, daß sich bei der Erstkonsultation kein Stridor gefunden habe. Der Gutachter vermißt eine detaillierte Befundung des Kehlkopfes. Es sei nicht ersichtlich, anhand welcher Untersuchungsmethode die auf dem Krankenhauseinweisungsschein fixierten Befunde („ausgeprägte Schwellung, Hypopharynx-Larynx-Schwellung“) erhoben wurden. Er vermisse weiterhin eine Beschreibung der Befunde an der Epiglottis, am Zungengrund, der Aryregion sowie eine Stellungnahme zur Beweglichkeit der Stimmlippen und der Weite der Stimmritze. Bei einem Larynxödem hätte eine Befunderhebung der Kehlkopfeingangsregion mit Einschätzung der Glottisweite erfolgen müssen. Die Injektion von Corticoiden und die anschließende Beobachtung der Patientin in seiner Praxis, lassen auf erhebliche Schwellung im Bereich von Hypopharynx und Larynx schließen. Für derartige akute Schwellungszustände seien die verabreichten Dosen von Corticoidsteroiden nicht ausreichend gewesen. Nach seiner Auffassung habe der einweisende Arzt den Schweregrad der vorliegenden Erkrankung unterschätzt, so daß er nicht die erforderliche stationäre Behandlung in der nächstgelegenen, sondern in der entfernteren HNO-Klinik gewählt habe. Der Transport in das Krankenhaus hätte nach Auffassung des Gutachters mit ärztlicher Begleitung unter Intubationsbereitschaft und der Möglichkeit der Sauerstoffgabe erfolgen müssen.

Aufgrund dieser Einschätzungen kommt der Gutachter zu dem Ergebnis fehlerhaften ärztlichen Handelns. Hätte der Arzt die zu fordernden Sorgfaltsmaßstäbe beachtet, so wäre eine derartige Verschlechterung des Zustandes der Patientin vermeidbar gewesen. Durch die (rechtzeitige) Einleitung entsprechender ärztlicher Maßnahmen hätte es nicht zum Tod der Patientin kommen müssen.

Die Schlichtungsstelle schloß sich dem Ergebnis des überzeugenden Gutachtens an.

Autoren:

KD

Dr. med. K. Dickhauser

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover