Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 12/2010
Kasuistik
Bei der 58-jährigen Frau wurde am 1. August eine abdominale Hysterektomie unter Mitnahme der Adnexe sowie der pelvinen und paraaortalen Lymphknoten durchgeführt. Die Indikation zu diesem Eingriff ergab sich aus einem Endometriumkarzinom mit bildgebendem Verdacht auf Lymphknotenmetastasen.
Aus der Vorgeschichte der Patientin waren vier Schnittentbindungen bekannt. Dadurch war es zu Narbenbildungen im Unterbauch gekommen.
Der Zugang in die Bauchhöhle erfolgte über Längsschnitt. Nach Lösung von Adhäsionen konnten die einzelnen taktischen Schritte des Eingriffs problemlos realisiert werden. Am Ende der Operation heißt es im Bericht: „Schichtweiser Wundverschluss. Lösen von narbigen Verwachsungen in der Bauchdecke, so dass insgesamt ein besseres kosmetisches Ergebnis als vorher resultiert.“
Die feingewebliche Untersuchung der entnommenen Strukturen verifizierte ein ausgedehntes Endometriumkarzinom mit Befall mehrerer Lymphknotenstationen.
Der postoperative Verlauf gestaltete sich zunächst unauffällig. Am achten Tag nach dem Eingriff (9. August) wurde erstmals eine nässende Stelle in der Wunde, nahe dem Bauchnabel beschrieben. Zwei Tage später ist im Pflegeprotokoll am Abend notiert: „Nochmals Verband erneuert (Darm sichtbar?)“. Eine Information des diensthabenden Arztes ist der Dokumentation nicht zu entnehmen. Nach zweieinhalb Tagen (14. August) wurde im Verlaufsbogen eingetragen: „Am Nabel zwei Euro große Eröffnung, Ärztin informiert (Darm sichtbar?).“ Daraufhin erfolgten Vorbereitungen zur Wundrevision. Doch wurde die Reintervention durch den Chefarzt kurzfristig abgesetzt mit der Anordnung, weiter abzuwarten bei täglichem Verbandwechsel. Eine Begründung für diese Entscheidung ist nicht schriftlich fixiert.
In den folgenden Tagen verschlechterte sich der Zustand der Patientin unter Leibschmerzen, Übelkeit und Schwindelgefühl. Die Entzündungsparameter zeigten sich am 16. August eleviert (Leukozyten 16,7/nl; CRP 11,4 mg/dl). Es wurde eine Antibiose begonnen. Eine Röntgenaufnahme des Abdomens ließ keine pathologischen Veränderungen im Bauchraum erkennen. Am 21. August kam es zu weiterer Verschlechterung des Allgemeinzustands der Patientin, so dass man sich jetzt zur Operation entschloss.
Dabei zeigten sich im Längsschnitt je zwei etwa sieben Zentimeter große Bruchpforten, durch die Darmanteile in das Subkutangewebe gelangt waren. Zwischen den Darmschlingen im Bauch hatten sich vier Abszesse entwickelt. Nach ausgiebiger Toilette des Bauchraumes und der subkutanen Höhlen wurden Drainagen platziert. Dann erfolgte der Wundverschluss.
Wegen Verdacht auf erneute Abszedierung wurde am 11. September reinterveniert und ein oberhalb der Harnblase gelegener Eiterherd entdeckt und drainiert. Am Folgetag war nochmals eine Revision erforderlich. Zur Stabilisierung der Bauchdecken wurde ein Vicrylnetz eingesetzt.
Am 1. Oktober konnte die Patientin die Klinik verlassen. Die weitere Behandlung der sekundär heilenden Wunde erfolgte ambulant. Erst Anfang April des folgenden Jahres war der Bauchschnitt endgültig zugeheilt. Die Patientin erhebt gegenüber den Ärzten der in Anspruch genommenen Klinik den Vorwurf fehlerhafter Behandlung. Die Schnittwunde bei der Erstoperation sei nicht ordnungsgemäß versorgt worden und nach Entfernung der Nähte wieder aufgeplatzt. Danach hätten sich langwierige Wundheilungsstörungen mit der Notwendigkeit zusätzlicher Operationen entwickelt.
Gutachten
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte gynäkologische Gutachter kommt zu folgenden Feststellungen:
Indikation und Durchführung des Primäreingriffes vom 1. August bei der Patientin wären nicht zu beanstanden.
Auf die sich postoperativ entwickelnde Wundheilungsstörung bis hin zum Platzbauch sei jedoch nicht zeit- und sachgerecht reagiert worden. Die Behandlung dieser Komplikation bestehe grundsätzlich in der schnellstmöglichen operativen Revision. Erste Hinweise auf eine Wunddehiszenz habe es bereits am 9. August, also am achten Tag nach der Primäroperation gegeben. Eindeutige Zeichen eines Platzbauches hätten dann am 14. August bestanden. Nach Dokumentation sei an diesem Tag die Reintervention bereits ärztlicherseits in Betracht gezogen worden. Es sei deshalb unklar, warum bei eindeutiger Befundlage der korrigierende Eingriff ausgesetzt und stattdessen lediglich täglicher Verbandwechsel angeordnet worden wäre. Von diesem Zeitpunkt an habe sich der Zustand der Patientin unter Übelkeit, Leibschmerzen, Fieber und Anstieg der Infektparameter permanent verschlechtert. Die danach realisierten therapeutischen Maßnahmen, wie Wundspülungen und Verbandwechsel, wären keine geeigneten Mittel zur Behandlung eines Platzbauches gewesen.
Die Verzögerung der gebotenen Reintervention um sieben Tage sei als vermeidbar fehlerhaft zu bewerten. Als wesentliche Folge der am 14. August unterlassenen operativen Korrektur sei die schwere Peritonitis mit Schlingenabszessen anzusehen.
Man könne davon ausgehen, dass bei zeitgerechtem ärztlichen Handeln bereits am 14. August mit einem komplikationsärmeren Verlauf zu rechnen gewesen wäre.
Entscheidung der Schlichtungsstelle
Die Schlichtungsstelle schloss sich den gutachterlichen Erwägungen an.
Der Platzbauch gilt als gefürchtete, keineswegs selten auftretende Komplikation in der Abdominalchirurgie. Disponierende Faktoren sind schlechter Allgemeinzustand, Wundinfektion, Diabetes, Leberschaden, Übergewicht und plötzliche intraabdominale Druckerhöhungen wie Niesen oder Husten. Bei der Patientin war keiner dieser Faktoren nachweisbar. Eine mangelnde Stabilität der vorderen Bauchwand nach vier vorangegangenen Laparotomien ist ursächlich allerdings nicht auszuschließen.
Essentiell zur Vermeidung sekundärer Komplikationen ist die frühe Diagnose mit der Konsequenz sofortiger Reintervention. Voraussetzung ist die Intuition, eine derartige Komplikation rechtzeitig in Betracht zu ziehen. Das war im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Als fehlerbedingte Gesundheitsschäden waren bei der Patientin zu qualifizieren:
- Peritonitis, Abszessbildung
- die mit Schmerzen verbundene verlängerte Krankheitsdauer vom 14. August bis zur Reintervention am 21. August
- die Intervall-Laparotomien vom 11. September und 12. September
- der dadurch verlängerte Krankenhausaufenthalt bis zum 1. Oktober
- die durch sekundäre Wundheilung verlängerte Rekonvaleszenz und die damit verbundenen ärztlichen und pflegerischen Maßnahmen.
Es wurde insoweit eine außergerichtliche Regulierung empfohlen.