Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Fehlerhafte Operation eines Neurinoms des Plexus brachialis

Inappropriate Operation of Brachial Plexus Neurinoma

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 12/2002

Kasuistik

Nach vorausgegangener Diagnostik (klinische Untersuchung, Sonographie, konventionelle Röntgenaufnahmen, CT der Halsregion) wurde bei einer Patientin ein Tumor in der rechten Suprakravikularregion unter der Diagnose einer Lymphknotengeschwulst entfernt. Die Operation erfolgte in einer Klinik für Allgemein- und Visceralchirurgie. Unmittelbar nach dieser Operation wurden Lähmungserscheinungen am rechten Arm festgestellt. Nach Entlassung aus stationärer Behandlung erfolgten weitere Untersuchungen und Behandlung durch einen niedergelassenen Neurologen. Dieser stellte eine im Zusammenhang mit der Operation entstandene Schädigung des Plexus brachialis fest mit Totalausfall des Nervus ulnaris und partiellem Ausfall des Nervus madianus. Es wurde Krankengymnastik verordnet. Drei Monate später führte der Neurologe eine Kontrolluntersuchung mit EMG durch. Er stellte eine „leichte Besserung“ der neurologischen Ausfallserscheinungen fest und verordnete weiterhin Krankengymnastik.

Ein Jahr später übernahm ein anderer niedergelassener Neurologe die Behandlung. Er veranlaßte eine Vorstellung bei einem Neurochirurgen. Es wurde bestätigt, daß eine operationsbedingte Verletzung des Plexus brachialis vorlag. Der Zeitpunkt einer erfolgversprechenden Revisionsoperation war inzwischen verstrichen. In Zusammenarbeit mit einem Handchirurgen wurde eine Sehnentranspositionsoperation erörtert, bislang aber nicht durchgeführt.

Die Patientin ist durch den neurologischen Schaden erheblich beeinträchtigt. In einem auf einem neurologischen Gutachten beruhenden Bescheid des zuständigen Versorgungsamtes wurde der Grad der Behinderung mit 40 % festgelegt.

Die Patientin erhob sowohl Vorwürfe gegen das Krankenhaus wegen fehlerhafter Operation als auch gegen den erstbehandelnden Neurologen wegen Versäumnis, die rechtzeitige Revisionsoperation veranlaßt zu haben. Die Schlichtungsstelle forderte ein neurochirurgisches Gutachten an, da der beklagte Schaden eindeutig diesem Fachgebiet zuzuordnen war.

In diesem Gutachten wurde zunächst der Behandlungsverlauf detailliert rekonstruiert. Der operierte Tumor entsprach einem vom Plexus brachialis ausgehenden Neurinom. Bei der Entfernung des Tumors wurden ausweislich der eindeutigen Formulierungen im Operationsbericht Faszienbündel des Plexus brachialis verletzt bzw. durchtrennt. In der Beurteilung der im einzelnen getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen kam der Gutachter zu dem Ergebnis, daß sowohl dem in Anspruch genommenen Krankenhaus als auch dem nachbehandelnden Neurologen Fehler nachzuweisen sind:

  • Den Ärzten des in Anspruch genommenen Krankenhauses seien sowohl diagnostische als auch operative Fehler vorzuwerfen. Aufgrund des CT-Befundes hätte man von vornherein mit einem vom Plexus ausgehenden Tumor rechnen müssen. Unter der Operation wurde dieser Zusammenhang eindeutig festgestellt. Der Schaden wäre bei Einhaltung der für die Operation von Nerventumoren geltenden Standards vermeidbar gewesen. Nachdem nach Freilegung des Tumors erkannt wurde, daß dieser seinen Ausgang von den Faszikeln des Plexus brachialis nahm, hätte die Operation unter neurochirurgischer Kompetenz fortgeführt werden müssen. Bei Nichtverfügbarkeit hätte der Eingriff abgebrochen und die Verlegung in ein Krankenhaus mit nervenchirurgischer Erfahrung (Neurochirurgie, Plastische Chirurgie) erfolgen müssen. Bei sachgerechter Operationstechnik wäre ein neurologischer Ausfall mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden oder zumindest weitgehend vermieden worden. Die Entfernung des Nerventumors bei unzureichender Ausbildung und Ausrüstung stellt ein Übernahmeverschulden dar.
  • Unabhängig von dem im Krankenhaus aufgetretenen Fehler sei dem nachbehandelnden Neurologen vorzuwerfen, daß er spätestens bei der Kontrolluntersuchung drei Monate nach der Operation eine neurochirurgische Untersuchung zur Prüfung der Operationsindikation hätte veranlassen müssen. Da dies verabsäumt wurde, sei die bis dahin noch erfolgversprechende neurochirurgische Revision des Plexus unterlassen worden.

Für die Folgen der Behandlungsfehler haften sowohl das in Anspruch genommene Krankenhaus als auch der nachbehandelnde Neurologe. Daher ist der Haftungsanteil auf beide behandelnden Einrichtungen aufzuteilen. Mit Rücksicht darauf, daß bei Vermeidung des operativen Fehlers die Operation vermutlich folgenlos geblieben wäre, bei rechtzeitiger operativer Revision des Armplexus nach eingetretenem Schaden jedoch mit einem Restschaden zu rechnen gewesen wäre, schlug die Schlichtungsstelle vor, die Haftungsansprüche wie folgt zu verteilen:

  • Krankenhaus 80 %
  • Nachbehandelnder Neurologe 20 %.

In diesem Rahmen wurde den beteiligten Parteien eine außergerichtliche Regulierung vorgeschlagen.

Autoren:

HV

Prof. Dr. med. Heinrich Vinz

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover