Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Fehlerhafte Operation eines Tumors im Halsbereich mit der Folge einer Armplexusschädigung

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 05/2010

Kasuistik

Eine 42-jährige Frau verspürte seit einigen Monaten Schmerzen im Bereich der rechten Hand und der rechten Supraklavikularregion. Nachdem eine Geschwulst an der rechten Halsseite getastet wurde, erfolgte zunächst eine bildgebende Diagnostik mit folgenden Ergebnissen: Sonographie: Unscharf begrenzte echoarme Struktur von 26 x 23 x 37 mm Ausdehnung, keine weiteren Lymphome im Halsbereich. MRT: Hypodense Raumforderung supraklavikulär rechts unklarer Dignität. CT: Tumor von 4,3 x 2 cm Ausdehnung zwischen Scalenus-Muskulatur und Plexus brachialis, bis an die Halswirbelsäule heranreichend. Mit diesen Befunden erfolgte die Einweisung in eine HNO-Klinik unter den Verdachtsdiagnosen Hypopharynxdivertikel, suspekte Halslymphknoten, differential-diagnostisch malignes Lymphom oder andere Lymphknotenerkrankung. Die histologische Klärung wurde als dringlich angesehen.

Der Tumor wurde durch einen vorderen Halsschnitt zunächst großzügig freigelegt mit Unterbindung und Durchtrennung zum Tumor ziehender Gefäß- beziehungsweise Gewebsstränge. Eine erste Schnellschnittuntersuchung von Tumorgewebe ergab vermutungsweise ein gutartiges Nervenscheidenmyxom. Daraufhin wurden bereits gelegte Unterbindungen von zum Tumor ziehenden Gewebssträngen gelöst. Beim weiteren operativen Vorgehen platzte der Tumor auf, es entleerte sich graugelbes, teils gallertartiges Material. Die Schnellschnittuntersuchung ergab jetzt wiederum Gewebe eines gutartigen Nerventumors. Der Eingriff wurde daraufhin unter Belassung des Tumors mit Drainage und primärem Wundverschluss beendet.

Unmittelbar nach der Operation bemerkte die Patientin eine Lähmung des rechten Armes. Der noch am Operationstag hinzugezogene Neurologe diagnostizierte eine obere Armplexuslähmung. Im Rahmen der ambulanten Nachsorge wurde kurzfristig ein Kontroll-MRT angefertigt. Dieses zeigte an gleicher Stelle eine Raumforderung von fünf Zentimeter Durchmesser, die in das Neuroforamen zwischen siebtem Halswirbelkörper und erstem Brustwirbelkörper hineinreichte. Daraufhin erfolgte die radikale Tumorexstirpation mit Erhalt der tumorbenachbarten Nervenstrukturen in einer neurochirurgischen Klinik. Der Tumor erwies sich letztlich als ein gutartiges Neurofibrom, ausgehend von Faszikeln des Plexus brachialis.

Nach dieser Operation trat eine geringgradige Besserung der Nervenausfälle ein, es verblieb aber ein erhebliches neurologisches Defizit im Sinne einer weitgehenden Lähmung des unteren Armplexus mit Beeinträchtigung der motorischen Funktion der Hand, Taubheitsgefühl und Parästhesien von brennendem Schmerzcharakter im Handbereich. Der neurologische Befund wurde später gutachterlich mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 von Hundert bewertet, ohne Aussicht auf Besserung.

Die Patientin sah in dem eingetretenen Nervenschaden die Folgen eines fehlerhaften operativen Vorgehens.

Seitens des in Anspruch genommenen HNO-Arztes wurde entgegnet, dass die Operation indikationsgerecht, technisch korrekt und schonend durchgeführt worden sei. Die eingetretene Komplikation läge im Risiko der durchgeführten Operation.

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter traf folgende Wertungen

Der Eingriff war, unter anderem auch als Probefreilegung zur Gewinnung von Gewebsmaterial zur Bestimmung der Dignität des Tumors indiziert. Das operative Vorgehen wird als fehlerhaft bewertet. Es sei aufgrund der präoperativ exakt definierten Tumorlokalisation von vornherein davon auszugehen gewesen, dass es sich nicht um einen Lymphknoten, sondern vermutlich um einen vom Nervengewebe (Plexus brachialis) ausgehenden Prozess handelte. Darauf wies auch bereits die anamnestische Angabe der ausstrahlenden Schmerzen in die rechte Hand hin. In Unkenntnis des wahren Befundes sei eine komplette Lymphknotenentfernung geplant und begonnen worden. Im Operationsbericht wurde vermerkt, dass lateral an den Tumor Teile des Plexus brachialis angelagert waren. Diese seien laut Operationsbericht unter sorgfältiger Schonung der Raumforderung abpräpariert und nach lateral verlagert worden. Die etwa walnussgroße Raumforderung sei kapselnah soweit wie möglich freipräpariert worden. Der Entschluss, eine Gewebsprobe zu entnehmen, sei erst im späteren Verlauf der Operation getroffen worden, als ein Gewebsstrang, der kaudal aus der Raumforderung herausging, kapselnah abgeklemmt und unterbunden wurde. Erst bei der Durchtrennung dieses Stranges sei das suspekte Gewebe aufgefallen, welches sich dann im Schnellschnitt als Nervengewebe herausstellte. Daraufhin wurden die Unterbindungen gelöst. Der Gewebsstrang wurde nicht weiter durchtrennt, die Operation nach Entnahme weiterer Gewebsproben abgebrochen. An diesem Punkt der Operation sei es offenbar zur Teildurchtrennung von Nervenstrukturen gekommen.

In der Beurteilung des operativen Vorgehens stellt der Gutachter kritisch fest

Die Entnahme einer Gewebsprobe aus dem beschriebenen Tumor sei zwar indiziert gewesen, jedoch wäre es hierzu ausreichend gewesen, nach Hautinzision nur die oberen Anteile des Tumors darzustellen, um eine repräsentative Probe zu entnehmen. Die tiefe Dissektion des Tumors, die letztlich zur Verletzung des Plexus brachialis führte, sei für eine reine Gewebsentnahme nicht nötig gewesen. Nach Eingang der Schnellschnittdiagnose Neurofibrom hätte die Entscheidung gefällt werden können, entweder den Tumor unter erhöhter Vorsicht oder auch mit dem Einsatz von Neuromonitoring komplett zu resezieren oder aber die Patientin zur weiteren Therapie in eine neurochirurgische Klinik zu überweisen. Das operative Vorgehen sei als fehlerhaft zu beurteilen. Dieser Fehler hätte in der damaligen Situation vermieden werden können, indem vor der tiefen Dissektion des Tumors mit Durchtrennung von in den Tumor einstrahlenden Gewebssträngen zunächst die Schnellschnitthistologie vorgenommen worden wäre. Nach Kenntnisnahme der Diagnose eines neurogenen Tumors hätte man besagten Gewebsstrang vor jeder weiteren Manipulation als Nervenstruktur identifizieren und eine Schädigung vermeiden müssen. Dieses operative Vorgehen wäre auch im Falle des Vorliegens eines malignen Prozesses das gleiche gewesen. Die Schlichtungsstelle schloss sich den Wertungen des Gutachters an. In Anbetracht der Lokalisation des Tumors, der vorliegenden bildgebenden Diagnostik, des Fehlens weiterer Knoten und des Nichtvorhandenseins eines möglichen Primärherdes war auch aus der Sicht ex ante zunächst eine oberflächliche Probeentnahme aus dem Knoten indiziert zur histologischen Klärung. Einen nicht eindeutig identifizierten Gewebsstrang in diesem Operationsgebiet zu durchtrennen, muss als fehlerhaft angesehen werden. Durch ein Nervenmonitoring hätte hier eine Klärung vor der Schädigung herbeigeführt werden können. Ferner hätte durch sachgerechte Entscheidungen die Exstirpation des Prozesses unter geeigneten Bedingungen durch in der Nervenchirurgie erfahrene Operateure erfolgen können. Der eingetretene Nervenschaden ist auf die fehlerhafte Operation zurückzuführen. Die Schlichtungsstelle hielt Schadenersatzansprüche für begründet und empfahl eine außergerichtliche Regulierung.

Autoren:

KK

Dr. med. Klaus Küttner, Privatdozent

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover