Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Fehlerhafte Osteosynthese und unterlassene Kontrolle einer suprakondulären Humerusfraktur

Inappropriate Osteosynthesis and Failure to Control a Supracondylar Fracture of the Humerus

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 06/2003

Kasuistik

Ein 11-jähriger Junge zog sich bei einem Sturz eine drittgradig dislozierte suprakonduläre Humerusfraktur im Sinne einer Flexionsfraktur zu. Stationäre Aufnahme und Behandlung erfolgten in einer Unfallchirurgischen Klinik eines Städtischen Krankenhauses. Die Fraktur wurde kurz nach Klinikaufnahme im Bereitschaftsdienst geschlossen reponiert. Am folgenden Tage wurde festgestellt, daß das Repositionsergebnis ungenügend war. Es wurde eine offene Reposition mit Frakturstabilisierung durch zwei gekreuzte Kirschnerdrähte durchgeführt. Die am darauf folgenden Tag angefertigten Röntgenaufnahmen des Ellenbogens zeigten kein ideales, aber ein akzeptables Repositionsergebnis. Der Junge wurde ohne weitere Röntgenkontrollen am elften Behandlungstag entlassen. Am 24. Behandlungstag erfolgte eine einmalige Untersuchung in der Klinikambulanz. Es wurde ein intakter Gipsverband festgestellt, eine Röntgenkontrolle erfolgte auch jetzt nicht. Die Entfernung des Gipsverbandes wurde durch einen auswärtigen Chirurgen knapp sechs Wochen nach dem Unfall vorgenommen. Der Chirurg stellte eine Bohrkanalinfektion an einem der Kirschnerdrähte fest und entfernte diesen. Der zweite Draht wurde wenig später in wiederum einer anderen Behandlungsstelle entfernt. Bei dieser Gelegenheit wurden erstmalig Röntgenaufnahmen des Ellenbogens angefertigt. Diese ergaben eine Frakturkonsolidierung in erheblicher Fehlstellung. Im weiteren Verlauf verblieben neben einer starken Deformierung der Ellenbogenkonturen eine erhebliche Einschränkung sowohl der Streckung als auch der Beugung (0/20/110) bei freier Drehbewegung. Röntgenologisch zeigte sich eine dorsale Achsabweichung von 50 Grad. Die Bohrkanalinfektion war folgenlos ausgeheilt.

Die Eltern des Kindes vermuteten, daß dem unbefriedigenden Behandlungsergebnis Fehler zugrunde lagen, die sie der erstbehandelnden Einrichtung anlasteten.

Die Meinung des Gutachters…

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter untersuchte den Jungen zweieinhalb Jahre nach dem Unfall. Nach Auswertung der Behandlungsunterlagen, der ihm vorliegenden Röntgenaufnahmen aus dem Behandlungszeitraum, aktuellen Röntgenaufnahmen und aufgrund seines klinischen Untersuchungsbefundes kam der Gutachter zu dem Ergebnis, daß mehrere Behandlungsfehler vorlagen:

  • Die Frakturdiagnostik war ungenügend, da primär keine exakte Röntgendiagnostik durchgeführt wurde (eine Röntgenaufnahme in einer schrägen Ebene).
  • Bei dem geschlossenen Repositionsversuch hätte man sofort feststellen müssen, daß keine ausreichende Frakturstellung und Stabilisierung zu erreichen war. Es hätte sofort, in gleicher Narkose, die offene Reposition mit ausreichender Frakturstabilisierung angeschlossen werden müssen.
  • Die offene Reposition ergab zunächst eine befriedigende Fragmentstellung. Die Stabilisierung war jedoch ungenügend, weil ein Draht das distale Fragment gar nicht erfaßt hatte. Dies wiesen die am Tage nach offener Reposition angefertigten Röntgenaufnahmen eindeutig aus. Somit war die Fraktur definitiv nicht stabilisiert. Dies hätte man bei der Operation feststellen und sofort korrigieren müssen. Wenn man es aber bei diesem eindeutig instabilen Zustand vorerst hätte belassen wollen, so hätte man in kurzfristigen Abständen Röntgenkontrollen anfertigen müssen.
  • Da weitere Röntgenkontrollen unterlassen wurden, wurde die zu erwartende Dislokation nicht bemerkt. Die Fraktur konsolidierte in nicht tolerierbarer Fehlstellung mit Beeinträchtigung der Ellenbogenfunktion.

… und der Schlichtungsstelle

Die Schlichtungsstelle schloß sich in der Beurteilung der Behandlungsfehler den Wertungen des Gutachters an. Bezüglich der aus den Folgen der Behandlungsfehler resultierenden Ansprüche war das Gutachten durch die Schlichtungsstelle zu ergänzen:

Der anatomische und funktionelle Defektzustand des betroffenen Ellenbogengelenkes ist ausschließlich Folge der Behandlungsfehler. Die Funktionsbeeinträchtigung des linken Ellenbogens führt im privaten Bereich zu Beeinträchtigungen, etwa bei Beschäftigungen, die das normale Bewegungsausmaß des Ellenbogengelenkes verlangen. Im übrigen werden diese Defizite von Kindern sehr gut kompensiert. Im schulischen Bereich ist von einer Einschränkung im Schulsport mit Vermeidung von ellenbogenbelastenden Übungen auszugehen. Das betroffene Ellenbogengelenk ist erheblich deformiert, mit auffälliger Betonung des Epicondylus radialis. Dies entspricht einer auffälligen ästhetischen Entstellung.

Im Hinblick auf die spätere Berufswahl ist derzeit von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 15 Prozent auszugehen, auch unter Hinweis auf die Kompensationsfähigkeit im Kindesalter. Es wurde jedoch nachdrücklich empfohlen, den Jungen vor Festlegung der Berufswahl im Hinblick auf die durch die Funktionsbehinderung des linken Ellenbogens bedingte Einschränkung der Berufswahlmöglichkeiten noch einmal unfallchirurgisch untersuchen zu lassen. Die dann festgestellte Einschränkung wäre ausschließlich als Folge der oben bezeichneten Behandlungsfehler zu sehen.

Die Schlichtungsstelle hielt Schadenersatzansprüche in dem vorstehend beschriebenen Rahmen für begründet und empfahl eine entsprechende außergerichtliche Regulierung.

Autoren:

HV

Prof. Dr. med. Heinrich Vinz

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover