Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Fehlinterpretation von Fußwurzelknochenbrüchen, übersehene Luxation

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 11/2003

Kasuistik

Die damals 24-jährige Patientin hatte sich bei einem Motorradunfall schwere Verletzungen der rechten Fußwurzel zugezogen. Sie wurde noch am gleichen Tag in das in Anspruch genommene Kreiskrankenhaus aufgenommen. Dort wurden aufgrund konventioneller Röntgenaufnahmen eine basisnahe Fraktur des 4. Mittelfußknochens, ein Stückbruch des Kahnbeines und ein Würfelbeinbruch nachweisen. Die Behandlung bestand in der Lagerung auf einer Braun’schen Schiene und Einleitung abschwellender Maßnahmen. Durch massive und verletzungsbedingte Schwellung kam es während des stationären Aufenthaltes zu Hautnekrosen über dem Innenknöchel, die operativ entfernt wurden. Bei Entlassung nach 3 ½ Wochen war die Schwellung rückläufig, die Beweglichkeit in den Fußgelenken noch deutlich herabgesetzt, die Patientin war mit Unterarmgehstöcken versorgt worden.

Bei einer ambulanten Vorstellung nach weiteren 2 Wochen wurde aufbauende Belastung angeordnet. Es verblieben erhebliche Beschwerden und Schwellungen. Bei einer Untersuchung ½ Jahr nach dem Unfall wurde eine erhebliche Entkalkung der Fußwurzel festgestellt. Eine MRT-Untersuchung nach weiteren 6 Wochen ließ eine schwere Deformation des Kahnbeines und eine Luxationsstellung in der Fußwurzel bei ausgeprägter Arthrose der Gelenkflächen des Sprungbeines und Kahnbeines nachweisen. 2 ½ Jahres später wurde in einer Unfallchirurgischen Universitätsklinik eine Versteifungsoperation vorgenommen.

Die Patientin moniert eine fehlerhafte Auswertung der primär gefertigten Röntgenaufnahmen und macht dies für die unzureichende Behandlung mit der Folge einer langen Behandlungsbedürftigkeit und schwerwiegender Verformung der Fußwurzel verantwortlich.

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter stellt fest: Auf den Unfallaufnahmen waren die verschobenen Frakturen des 4. Mittelfußknochens sowie des Kahnbeins und Würfelbeins, insbesondere aber auch die Luxationsstellung im Chopardgelenk eindeutig erkennbar. Dieses Verletzungsmuster stellte eine zwingende Operationsindikation dar. Ein vorzeitiger Belastungsaufbau habe zu einer weiteren Deformierung in der körpernahen Fußwurzelreihe (Chopart-Gelenk) geführt. Es sei deshalb eine Arthrodese erforderlich gewesen.

Als Folge fehlerhafter Einschätzung der Verletzung müsse ein dadurch entstandener erheblicher Zeitverlust und ein wesentlicher Teil heute bestehender Beschwerden angesehen werden.

Den medizinischen Wertungen des Gutachters war zuzustimmen.

In Kenntnis des Gutachtens wendete das in Anspruch genommene Krankenhaus ein, daß bei dieser Art der Verletzung eine abwartende konservative Therapie angezeigt gewesen sei. Nach Ausbildung der Hautnekrose wäre ohnehin keine operative Behandlung mehr möglich gewesen. Es müsse von einem schicksalhaften Verlauf ausgegangen werden.

Hierzu ist festzustellen, daß ausweislich der primär gefertigten Röntgenaufnahmen nicht nur ein Trümmerbruch des Kahnbeines und des Würfelbeines, sondern auch eine Verrenkungsstellung im Chopart-Gelenk vorlagen. Unabhängig von der zu erwartenden Spätarthrose war nach Sachlage der Versuch einer Rekonstruktion mit dem Ziel bestmöglicher Erhaltung der fußgewölbebildendenden Strukturen angezeigt gewesen. Ausweislich der Krankenblattaufzeichnungen ist der Schweregrad der Verletzung unterschätzt worden. Die Alternative einer vorübergehenden Immobilisation wurde aus diesem Grunde ebenfalls nicht erwogen.

Durch die Unterlassung geeigneter Maßnahmen war spätestens nach vier Wochen die Prognose für die betroffene Fußwurzelregion wesentlich verschlechtert worden. Interventionell war ab diesem Zeitpunkt nur noch eine Arthrodese möglich, diese wurde dann mit erheblicher Verzögerung 2 ½ Jahre später vorgenommen. Auch bei primär sachgerecht eingeleiteter Behandlung wäre in Anbetracht des Schweregrades der Verletzung eine posttraumatische Arthrose, u. a. sogar ein partieller Knochengewebsuntergang, nicht sicher zu verhindern gewesen. Das Ausmaß der Deformation des Fußgewölbes, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Verlängerung der Behandlungsbedürftigkeit, wären dagegen vermeidbar gewesen. Ein Teil der fortbestehenden Beschwerden und eine Verlängerung der Behandlungsbedürftigkeit sind als Folgen der unsachgemäßen Behandlung anzusehen.

Die Schlichtungsstelle hielt Schadenersatzansprüche für begründet und empfahl die Frage einer außergerichtlichen Regulierung zu prüfen.

Fazit

Komplexe Fußwurzelverletzungen bergen grundsätzlich das Risiko von Fehldeutungen des Verletzungsausmaßes. Dieser Tatsache muß durch Einsatz weitergehender bildgebender Verfahren (CT, MRT) Rechnung getragen werden. Bei Unterlassung ist das Übersehen von Frakturen oder Luxationen als Fehler anzusehen.

Autoren:

WDS

Dr. med. W.-D. Schellmann

Facharzt für Unfallchirurgie
Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover