Kasuistik
Eine 64-jährige Frau rutschte auf regennassem Boden aus, fiel auf die linke Körperseite und verspürte starke Schmerzen im linken Schultergelenk. In einer Klinik wurde durch Röntgenaufnahmen eine mehrfragmentäre Oberarmkopffraktur links diagnostiziert. Mit einer CT-Untersuchung am gleichen Tag wurde das Ausmaß der Fraktur präzisiert und aufgrund des schalenförmigen Kalottenfragments, das von jeglicher Durchblutung abgetrennt war, die Indikation zur Implantation einer Oberarmkopftraumaprothese gestellt.
Die Operation wurde zwei Tage nach dem Unfall durchgeführt. Nach Entfernung des Kalottenfragmentes wurde eine Oberarmkopftraumaprothese zementfrei eingesetzt. Postoperative Röntgenaufnahmen wurden drei Tage später angefertigt und ergaben laut radiologischem Befund, dass die Oberarmkopfprothese mit regelrechter Gelenkartikulation und einiger im Subakromialraum verbliebener schaliger Fragmente implantiert wurde.
Wegen einer fortbestehenden, erheblich eingeschränkten Funktion des linken Schultergelenks wurde zunächst im weiteren Verlauf eine Axillarisparese sowie die Läsion weiterer Äste des Armplexus vermutet. Mit einer EMG-Untersuchung wurden jedoch Nervenläsionen ausgeschlossen.
Bei weiteren Untersuchungen war der Deltamuskel bei isometrischer Testung in allen Teilen angesprungen. Sonografisch wurde eine vordere Subluxation der Prothese diagnostiziert, eine Rotatorenmanschette war nicht nachweisbar. Röntgenaufnahmen der linken Schulter in drei Ebenen ergaben eine ventrale Subluxation der Prothese. Empfohlen wurde ein Prothesenwechsel auf eine inverse Schulterprothese. Die Operation wurde zwei Monate später in einer Facharztklinik durchgeführt. Eine Rotatorenmanschette konnte nicht mehr nachgewiesen werden, die Tubercula waren bis auf mobile Reste im hinteren Bereich vollständig resorbiert. Nach Darstellung der Prothese wurde eine Version nach vorne von 70 Grad festgestellt. Nach Entfernung der schalenförmigen Knochenreste wurde die Traumaprothese komplett entfernt, da wegen der pathologischen Drehung nach vorne eine einfache Umwandlung der modularen Prothese in eine inverse Prothese nicht möglich war. Anschließend wurde zunächst der pfannenseitige und danach der schaftseitige Prothesenanteil mit einer Drehung nach hinten von 10 Grad mit Zement implantiert. Röntgenaufnahmen der linken Schulter ergaben einen korrekten Sitz und Artikulation der inversen Prothese.
Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Nachdem in der Folge der ersten Operation bei der krankengymnastischen Behandlung keine Fortschritte erreicht worden seien, habe sich die Patientin bei einem Schulterspezialisten vorgestellt. Dieser habe festgestellt, dass eine falsche Prothesenart eingesetzt worden sei. Der Operationsschnitt sei ebenfalls falsch gewesen. Die Rehabilitation sowie die Krankengymnastik, der Einsatz einer Bewegungsschiene und die erlittenen Schmerzen seien vergeblich gewesen.
Gutachten
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter kam zu der Bewertung, dass bei der operativen Versorgung der komplexen Mehrfragmentfraktur eine Erhaltung des Oberarmkopfes durch Osteosynthese nicht möglich gewesen wäre. Die Indikation zur Implantation einer Frakturprothese sei nicht zu beanstanden. Die kurz nach der Operation angefertigten Röntgenaufnahmen der linken Schulter würden eine nicht korrekt im Gelenk stehende Schulterprothese darstellen. In der seitlichen Aufnahme stehe der Oberarmkopf deutlich vor der Schultergelenkspfanne beziehungsweise berühre diese nur im Randbereich. Da eine Röntgenaufnahme in deutlicher Außendrehstellung sehr ungewöhnlich wäre und die Aufnahmen üblicherweise in leichter Innenrotation durchgeführt würden, müsse man von einer groben Fehlstellung der Prothese ausgehen. Standardmäßig werde die Prothese in etwa 20 Grad Drehung nach hinten implantiert. Da sich bei der Revisionsoperation eine Drehung nach vorne von 70 Grad ergeben habe, sei insgesamt von einer Fehlrotation von 90 Grad auszugehen.
Die Fehlrotation der Schulterprothese im vorliegenden Fall um etwa 90 Grad stelle eine schwerwiegende mechanische Störung des Schultergelenks dar, sodass die von allen Nachbehandlern dokumentierte nahezu vollständige Pseudoparalyse der linken Schulter als weitgehende Folge der Fehlpositionierung der Prothese angesehen werden müsse.
Entscheidung der Schlichtungsstelle
Die Schlichtungsstelle schloss sich dem Gutachten im Ergebnis an. Die Versorgung der Oberarmkopffraktur mit einer Frakturprothese war aufgrund des mit CT nachgewiesenen Ausmaßes der Fraktur gerechtfertigt. Die postoperativen Röntgenaufnahmen stellten eine nach vorne gedrehte Kopfkalotte dar, die subtotal vor der Gelenkpfanne stand. Aufgrund der vorliegenden Aufnahmen musste davon ausgegangen werden, dass eine erhebliche Rotationsfehlstellung bestand. Hinsichtlich des Ausmaßes ist davon auszugehen, dass dies intraoperativ hätte erkannt und korrigiert werden müssen. Spätestens die postoperativen Röntgenaufnahmen wären ein dringender Anlass zu einer zeitnahen Revisionsoperation gewesen, um die Fehlstellung zu beheben.
Aus den weiteren Röntgenaufnahmen geht hervor, dass eine regelrechte Artikulation nicht möglich war und somit eine chronische Luxation vorlag. Eine krankengymnastische Nachbehandlung und Rehabilitation führten daher im vorliegenden Fall zu erheblichen Schmerzen und konnten keine Erfolge erzielen.
Bei fachgerechtem ärztlichem Handeln wäre intraoperativ die Fehlstellung erkannt und eine Korrektur vorgenommen worden. Aufgrund der hohen Rate an sekundärer Rotatorenmanschetteninsuffizienz durch Nichteinheilen oder Resorption der Tubercula von mindestens 50 Prozent hätte sich im vorliegenden Fall ebenfalls im weiteren Verlauf mit hoher Wahrscheinlichkeit die Notwendigkeit zu einem Prothesenwechsel auf eine inverse Schulterprothese ergeben.
Als fehlerbedingt ist daher zwar die längerfristige frustrane Nachbehandlung mit Krankengymnastik und Rehabilitation bei chronischer Luxation des Schultergelenks mit einhergehenden Beschwerden bis zur Revisionsoperation zu bewerten. Die Revisionsoperation selbst wäre auch bei fachgerechtem Vorgehen nicht hinreichend wahrscheinlich vermieden worden. Der Verlauf mit dem zu erwartenden Eintritt eines Dauerschadens wäre auch – einschließlich der Notwendigkeit eines Prothesenwechsels auf eine inverse Prothese – bei fachgerechter Behandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen.
Fazit
Bei nicht möglicher oder nicht erfolgversprechender Osteosynthese bei komplexen Oberarmkopffrakturen ergibt sich die Indikation zur Implantation einer Oberarmkopffrakturprothese. Dabei muss auf die korrekte Rotation von etwa 10 bis 20 Grad Retroversion geachtet werden.
Schließlich zeigt dieser Fall, dass zur Begutachtung von Behandlungsfehlervorwürfen eine umfassende Prüfung der Krankenunterlagen notwendig ist. Nur mit dem Operationsbericht und den schriftlichen Röntgenbefunden wäre der Fehler möglicherweise nicht festgestellt worden.