Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Fersenbeintrümmerfraktur – operative Versorgung bei vorbestehender arterieller Verschlußkrankheit, schwerste Infektkomplikationen

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 05/2002

Einleitung
Die Fersenbeintrümmerfraktur gilt trotz Verbesserungen der Therapiekonzepte nach wie vor als Problemafraktur. Seit Lorenz-Böhler sind zahlreiche Methoden für operative Behandlung dieser Fraktur vorgeschlagen worden, die Ergebnisse waren zumeist nicht befriedigend. Basierend auf neueren Erkenntnissen der Osteosynthese hat sich in den letzten 15 Jahren in geeigneten Fällen mit offener Freilegung, Reposition, Spongiosaunterfütterung sowie Platten- und Schraubenosteosynthese in den meisten Fällen ein primär imponierendes röntgenologisches Ergebnis erzielen lassen. Spätarthrosen und Synterungen waren nicht immer zu verhindern, hohe Komplikationsraten haben zu der Empfehlung geführt, diese Operationen geeigneten Kliniken mit hohem Erfahrungsstand zu überlassen.

Kasuistiken

Der damals 54-jährige Patient war am 21.07.1999 von einer Leiter gestürzt und hatte sich dabei einen rechtsseitigen Fersenbeintrümmerbruch sowie einen Sprunggelenksverrenkungsbruch zugezogen. In der später in Anspruch genommenen Klinik erfolgte zunächst wegen schwerwiegender Schwellung im gesamten Fuß- und Knöchelbereich Hochlagerung und Einleitung abschwellender Maßnahmen. Bei der 10 Tage später vorgenommenen operativen Versorgung wurden die Hauptbruchstücke offen reponiert und das erzielte Ergebnis mit Spezialplatte und Schrauben fixiert. 6 Tage später wurden Rötung und zunehmende Schmerzhaftigkeit als erste Infektzeichen dokumentiert. Im weiteren Gefolge kam es zu einer Drucknekrose am Fersenbeinsporn und Hautnekrosen im Verlauf der Operationsnarbe. Am 10.09.1999 wurde dopplersonographisch eine arterielle Verschlußkrankheit nachgewiesen und sie als vorbestehend eingeordnet. Es wurde deshalb am 24.09.1999 die Gefäßchirurgische Abteilung des Krankenhauses eingeschaltet und am 27.09.1999 zur Verbesserung der Durchblutungsverhältnisse eine Bypaßoperation vorgenommen. Trotz nachweisbarer Verbesserung der Durchblutungssituation verblieb es bei Nekrosen und Wundsekretion. Am 01.10.1999 wurden die eingebrachten Implantate entfernt und ein ausgedehnte Debridement angeschlossen. Wundabstriche ließen Staphylococcus aurius nachweisen. In der Folgezeit waren weitere Wundrevisionen erforderlich. Anfang November 1999 wurde konsiliarischer Rat bei der hier ebenfalls in Anspruch genommenen chirurgischen und benachbarten Universitätsklinik eingeholt. Zur Deckung vorhandener Defekte wurde Ferntransplantation eines vaskularisierten Lappens vom Unterarm vorgeschlagen. Der Eingriff wurde am 15.11.1999 vorgenommen. Etwa 8 Tage später wurden Symptome zunehmender Durchblutungsstörung im Fußbereich dokumentiert. Bildgebende Verfahren zeigten einen erneuten Teilverschluß arterieller Gefäße und im ehemaligen Bypaß. Am 25.11.1999 war eine Thrombektomie erforderlich. Obwohl weiterhin eine ausreichende Durchblutung im transplantierten Lappen nachweisbar war, verblieben Randnekrosen. Am 10.12.1999 wurde der Patient in die Reha-Behandlung entlassen, dies bei weiter bestehenden Defektwunden und weiter bestehender Sekretion. Im April und Mai 2000 waren weitere Säuberungsoperationen erforderlich. Nach Weiterverlegung in eine Unfallchirurgische Klinik war letztlich am 27.10.2000 die Unterschenkelamputation nicht mehr zu vermeiden.

Mit Schreiben an die Schlichtungsstelle beschrieb der Patient seinen Behandlungsweg, brachte seine Enttäuschung über das Ergebnis zum Ausdruck und bat um Prüfung, ob ärztliche Behandlungsfehler für den Verlauf verantwortlich sein.

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter führte aus, daß bei dem Schweregrad der erlittenen Rückfußverletzung der Vorschlag zur operativen Rekonstruktion sachgerecht war, daß aber die Durchblutungssituation der rechten unteren Gliedmaße bei dem 54-jährigen und durch erhebliche Risikofaktoren gefährdeten Patienten nicht ausreichend beachtet wurde. Bereits bei Aufnahme seien – wie aus den Dokumentationen zu ersehen – Zweifel an der Durchblutungssituation geäußert worden. Das zur Anwendung gekommene operative Verfahren müsse zwar als heute anerkanntes Verfahren angesehen werden, es hätte aber unter Berücksichtigung des Alters des Patienten und der nicht übersehbaren individuellen Risikosituation eine gezielte Abklärung der arteriellen Durchblutung erfolgen müssen. Im Ergebnis einer solchen Untersuchung hätte eine weniger traumatisierende und gefährdende Operationsmethode oder eine ausschließlich konservative Behandlung zur Anwendung kommen können.

Nach dem verspäteten Nachweis der die Komplikation verursachenden arteriellen Verschlußkrankheit seien von der in Anspruch genommenen Klinik durch Zusammenarbeit mit der Gefäßchirurgischen Abteilung mit der Bypaßoperation zwar nicht bemängelnde Maßnahmen ergriffen worden, auch die weiteren Entscheidungen zur Implantatentfernung, mehrfachen Debridement, Antibiose und letztlich Einschaltung einer Spezialklinik seien zeitgerecht und folgerichtig eingeleitet worden, sie hätten aber letztlich nicht mehr zum befriedigenden Erfolg führen können. Die ebenfalls in Anspruch genommene Spezialabteilung der Universität habe mit dem eingeleiteten hautplastischen Maßnahmen den Schweregrad der Mangeldurchblutung unterschätzt und gefäßchirurgische Maßnahmen unterlassen, die ein besseres Ergebnis ermöglicht hätten (Aufweitung des eingeengten Gefäßsystems vor Verlagerung eines vaskularisierten Lappens).

Nur am Rande wurde vom Gutachter auf die zusätzliche Möglichkeit eines hier nicht zur Anwendung gekommenen Muskelweichteillappens hingewiesen.

Der Gutachter führte aber einschränkend aus, daß auch bei sachgerechter Behandlung einer so schwerwiegenden Verletzung die hier eingetretenen Komplikationen, einschließlich der Amputation, nicht sicher verhindert werden konnten. Er gelangte insgesamt zu der Auffassung, daß bei erfolgreicher und fehlerfreier Behandlung ein Zeitverlust von einem Jahr vermieden worden wäre.

Mit Schreiben vom 15.09.2001 erhob der Patient Widersprüche gegen die Ausführungen des Gutachtens und brachte seine Ansicht zum Ausdruck, daß die Schuldfrage in dem Gutachten nicht eindeutig dargelegt und insgesamt als zu gering eingeschätzt wurde.

Die in Anspruch genommene und primär behandelnde Klinik gab keine Stellungnahme ab. Die ebenfalls in Anspruch genommene Universitätsklinik führte in einem Schreiben vom 02.11.2001 aus, daß man sich bei Übernahme der Behandlung in einer schwierigen Situation befunden und dies gegenüber dem Patienten auch zum Ausdruck gebracht habe. Die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Durchblutungsverhältnisse an der rechten unteren Gliedmaße hätten ausreichende Gewähr für die Überlebensfähigkeit eines Ferntransplantates geboten. Die vom Gutachter diskutierten Verbesserungen der Ausgangssituation durch Aufweitung wichtiger Gefäßabschnitte seien bei dieser Sachlage nicht erforderlich bzw. kaum möglich gewesen. Das verpflanzte und vaskularisierte Transplantat habe bis auf unbedeutende Randnekrosen bis zur Amputation ausreichend Durchblutung erkennen lassen. Das dies zur Beherrschung des bei Übernahme der Behandlung bestehenden Infektes nicht ausreichte, könne nicht für eine fehlerhafte Behandlung sprechen. Schon ganz früh sei die Unwägbarkeit der gegebenen Situation erkannt und mit dem Patienten eingehend besprochen worden. Der Vorwurf verfrühter Entfernung eines zeitweise angelegten äußeren Spanners wurde damit entkräftet, daß dieser äußere Spanner nicht zur Immobilisation der Frakturzone, sondern zur Begünstigung der Haut- und Weichteilpflege diente.

Die Einwendungen der in Anspruch genommenen Universitätsklinik waren nach Ansicht der Schlichtungsstelle überzeugend. Die Ausführungen des Gutachters bezüglich der, seiner Ansicht nach verbesserungswürdigen, Ausgangsituation für die Durchblutung in Form einer Variante der Lappengestaltung waren nach Ansicht der Schlichtungsstelle als hypothetisch zu betrachten. Die Operateure der in Anspruch genommenen Universitätsklinik hatten in einer, von vornherein schwierigen Ausgangssituation, wissend um den denkbaren Mißerfolg, ultimative Maßnahmen zur Anwendung gebracht. Sie hatten mit Sorgfalt (zahlreiche Konsiliargespräche mit den jeweiligen Fachvertretern) diese Situation analysiert und Maßnahmen ergriffen, die bedauerlicherweise letztlich nicht zum Erfolg führten.

Nach Ansicht der Schlichtungsstelle war das Behandlungsregiment Anfang November 1999, mit Einschaltung der Universitätsklinik nicht zu bemängeln, bzw. der Nachweis von Versäumnissen oder Fehlern nicht zu führen.

Es blieb damit bei dem vom Gutachter formulierten Vorwurf, daß die primäre Einschätzung der Gesamtsituation durch die erstbehandelnde Klinik fehlerhaft war. Im Bescheid wurde ausgeführt, daß die Behandlung der Fersenbeintrümmerfrakturen in den letzten 30 Jahren eine äußert differente Entwicklung genommen haben. Zur Erläuterung wurde ausgeführt, daß die Behandlungen der Fersenbeintrümmerfrakturen in den letzten 30 Jahren eine äußert differente Entwicklung genommen hat. Wärhrend man bis zum Ende der 60er Jahre für diese schweren und konsequenzenreichen Verletzungen überwiegend die konservative und damit schwerwiegende Folgen hinnehmende Behandlung favorisierte, wurde Anfang der 70er Jahre, allerdings nur von einzelnen Kliniken, der operativen Behandlung und damit erhofften Verbesserung der sonst regelhaft schlechten Ergebnisse der Vorzug gegeben. So wurde u. a. mit einer sogenannten halboffenen Reposition, Stabilisation mit Kirschnerdrähten, Spongioseanlagerung und auch mit Einzelschrauben behandelt. Ende der 70er Jahre wurde über erste Ergebnisse nach operativer Freilegung des Fersenbeinknochens und Stabilisierung mit Schrauben und Platten berichtet. Die mit diesen Methoden besonders erfahrenden Kliniken mußten trotzdem hohe Komplikationsraten hinnehmen, wobei insbesondere die Infektanfälligkeit nach solchen Operationen (zum Teil bis zu 17 %) anzumerken ist. In den letzten Zweijahrzehnten hat sich, allerdings nur in der Hand besonders erfahrener Operateure die Methode offener Freilegung des zertrümmerten Fersenbeines, Reposition wesentlicher Strukturen des Fersenbeinkörpers und Stabilisation mit Platten und Schrauben sowie zusätzlicher Spongiosaplastik bewährt. Nach wie vor war bei diesen Operationen eine hohe Komplikationsrate einkalkuliert. Die Entscheidung zu diesen aufwendigen Operationen ist nach derzeitigem Kenntnisstand von der Erfahrung der jeweiligen Klinik und den grundsätzlichen Voraussetzungen des Einzelfalles abhängig zu machen.

Im Fall der hier in Anspruch genommenen Klinik war davon auszugehen, daß sie über ausreichende Erfahrungen verfügte. Es war aber dem Gutachter dahingehend zuzustimmen, daß bei der Indikationsstellung zur Operation aufklärungsbedürftige Voraussetzungen mißachtet wurden.

Bei der Indikationsstellung dieser risikobehafteten Rekonstruktion des Fersenbeintrümmerbruches mußten nach Ansicht der Schlichtungsstelle folgende Faktoren berücksichtigt werden:

  • Alter und Beruf des Patienten
  • Ausschluß von komplikationsträchtigen Begleiterkrankungen
  • Ausreichende Erfahrung der behandelnden Klinik um den verletzungsimmanenten Problemen technisch gewachsen zu sein.

Im vorliegenden Fall war die unter Punkt 3 genannte Voraussetzung nicht zu bestreiten. Die unter Punkt 1 und 2 genannten Voraussetzungen wurden im vorliegenden Fall nicht ausreichend berücksichtigt.

Als entscheidend mußte bewertet werden, daß man in der erstbehandelnden und in Anspruch genommenen Klinik die unübersehbaren Kontraindikationen für ein in diesem Alter als Ausnahme anzusehendes Operationsverfahren nicht ausreichend gewürdigt hat. Ein durch Innenknöchel- und Außenknöchelbruch zusätzlich komplizierter Fersenbeintrümmerbruch, der naturgemäß zu extremer Weichgewebsschwellung (Einblutung) und damit zur Strangulation zuführender und ernährender Gefäße führt, mußte bei dem geringsten Risiko auf vorbestehende Mangeldurchblutung als äußerst risikobehaftet eingeschätzt werden. Die primäre Dokumentation der Durchblutungssitation, die Fußpulse wurden als fraglich positiv beschrieben, sowie der Hinweis auf Nikotin- und Alkoholabusus läßt erkennen, daß eine Grenzindikation für den Vorschlag zu operativer Behandlung bestand. Es gab die Möglichkeit weniger invasiver operativer Maßnahmen oder sogar die Möglichkeit ausschließlich konservativer Behandlung mit der Option einer späteren und situationsabhängigen arthrodesen Operation vorzuschlagen. Die Entscheidung zu der gewählten operativen Behandlung bei bekanntem Vorschaden der Gesamtsituation war deshalb nach Ansicht der Schlichtungsstelle fehlerhaft.

Bei dieser Sachlage war der Vorwurf des Patienten nicht zu widerlegen, daß die in seinem Fall eingeleiteten Maßnahmen fehlerhaft und für den Ausgang mit verantwortlich waren.

Eine denkbare, halboffene operative Maßnahmen in Form gedeckter Reposition und Kirschnerdrahtspickung, aber auch die ausschließlich konservative Behandlung hätten hier zu wenig unterschiedlichem Endergebnis geführt, im äußersten Fall wäre von einer Erwerbsminderung von 30 % auszugehen gewesen. Sie war nach allgemeiner Erfahrung nach etwa acht Monaten zu erwarten. Ob der Patient im alten Tätigkeitsbereich noch einsetzbar war, mußte dabei offenbleiben.

Als Folge der genannten Fehleinschätzung ist es nach Ansicht der Schlichtungsstelle zu einer etwa einjährigen Verzögerung im Verlauf und letztlich zur Differenz zwischen dem Zustand eines Unterschenkelamputierten mit dem Zustand eines Patienten mit schmerzhafter Arthrose des unteren Sprunggelenkes gekommen. Neben dem Zeitverlust, den damit einhergehenden Beschwerden und der Notwendigkeit zahlreicher Revisionsoperationen war die fehlerbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit auf mindestens 10 % einzuschätzen. In diesem Umfang hielt die Schlichtungsstelle Ansprüche für gerechtfertigt.

Fazit

Neben Gewährleistung technischer Voraussetzungen für erfolgreiche Durchführung komplikationsträchtiger Operationen bei Behandlung des Fersenbeintrümmerbruches muß den individuellen Voraussetzungen ausreichend Rechnung getragen werden. Bei Mißachtung dieser stringenten Forderungen sind Komplikationen als Fehlerfolge anzusehen.

Autoren:

WDS

Dr. med. W.-D. Schellmann

Facharzt für Unfallchirurgie
Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover