Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Grenzen der Therapiefreiheit

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 7/2015

Kasuistik

Die linkshändige Patientin, zum Zeitpunkt der Behandlung 65-jährig, wurde im Januar 2010 wegen einer ausgeprägten Daumensattelgelenksarthrose in einer chirurgischen Gemeinschaftspraxis mit einer Implantation einer Daumensattelgelenksprothese operativ behandelt. Es entwickelte sich eine Lockerung der Pfanne, die im Juni 2010 zu einem Pfannenwechsel zwang, bei der die Pfanne ausgewechselt und einzementiert wurde. Zwei Wochen später kam es zu einer Prothesenluxation, die im Juli 2010 offen reponiert wurde. Im weiteren Verlauf trat eine zunehmende Bewegungseinschränkung der linken Hand und des Daumens auf, so dass im Februar 2011 im Krankenhaus die Prothese entfernt und eine Sehneninterpositionsplastik vorgenommen wurde, wodurch die Beweglichkeit des Daumens gebessert werden konnte.

Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen

Die Patientin äußerte erhebliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit des prothetischen Gelenkersatzes. Die Chirurgen wiesen den Vorwurf zurück. Bei der Implantation einer Totalendoprothese (TEP) des Daumensattelgelenkes habe es sich um ein adäquates Therapieverfahren gehandelt. Über mögliche Prothesenlockerung und TEP-Luxation sei die Patientin aufgeklärt worden.

Gutachten

Der Gutachter ist der Auffassung, unter Berücksichtigung der Beschwerden, des röntgenologischen Befundes einer ausgeprägten Daumensattelgelenksarthrose und einer nicht erfolgreichen konservativen Therapie habe eine Indikation zu einer operativen Behandlung bestanden. Denn eine Prothesenimplantation bewirkt zum einen den Erhalt der Länge des Daumens und zum anderen dessen Kraft. Prothesenimplantation sowie Pfannenwechsel seien fachgerecht durchgeführt worden. Die jeweiligen postoperativen Therapiemaßnahmen seien nicht zu beanstanden. Jedoch sei die ausschließliche Entscheidung für einen prothetischen Ersatz des Daumensattelgelenkes ohne aufklärende Hinweise auf alternative bewährte operative Behandlungsmöglichkeiten, zu beanstanden. Hierbei sei vornehmlich die fehlende Information der Patientin über alternative, nicht mit einer Prothesenimplantation einhergehende operative Behandlungsmöglichkeiten, die mit höchster Wahrscheinlichkeit zu einer wesentlich kürzeren Behandlungsdauer und zu einem besseren funktionellen Ergebnis geführt hätten, zu kritisieren.

Stellungnahmen zum Gutachten

Hierzu erklärten die Chirurgen, dass mit der Patientin „selbstverständlich“ alle möglichen Alternativen der operativen Therapie besprochen worden seien und sich die Patientin angesichts der geschilderten Vorteile für die Daumensattelgelenksprothese entschieden habe. Die Patientin übersandte eine Stellungnahme des Hausarztes, der ihre Beeinträchtigungen beschreibt. Als Linkshänderin belaste die völlig eingeschränkte Beweglichkeit des Daumensattelgelenks die Patientin massiv.

Entscheidung der Schlichtungsstelle

Die Schlichtungsstelle stimmte dem Gutachten vollinhaltlich zu. Zu dem – auch nach Beurteilung der Schlichtungsstelle – nicht überzeugenden Argument eines Kraftverlustes nach einer Resektions-Suspensions-Arthroplastik dürfte ein solcher als Begründung einer Prothesenimplantation bei einer 65-jährigen Patientin nicht von wesentlicher Bedeutung für die Wahl eines prothetischen Daumensattelgelenkersatzes sein. Aktuelle Publikationen, die eine Überlegenheit des neuen Prothesenmodells gegenüber den bewährten, nicht prothetischen Operationsverfahren nachweisen, sind nicht bekannt und wurden weder vom Gutachter noch von den in Anspruch genommenen Ärzten zitiert.

Zusammenfassend hätte bei der in der entsprechenden Literatur angegeben Erfolgsquote von 70 bis 90 Prozent bei einer Trapeziumexstirpation mit Sehneninterposition oder -suspension der Metakarpalbasis I gegenüber der erhöhten Komplikationsrate bei prothetischem Gelenkersatz die Patientin auf jeden Fall über die operativen Alternativen zum prothetischen Gelenkersatz aufgeklärt werden müssen, um ihr eine realistische Wahlmöglichkeit zu geben. Dies ist nach den vorliegenden Unterlagen nicht geschehen, so dass die Schlichtungsstelle von einer fehlerhaften Aufklärung vor dem prothetischen Gelenkersatz ausgeht.

In den vorliegenden medizinischen Unterlagen über die Behandlung in der chirurgischen Gemeinschaftspraxis sind im Rahmen der Aufklärung keinerlei Hinweise auf mögliche alternative Behandlungsmaßnahmen erkennbar. Nach Aktenlage wurde der prothetische Daumensattelgelenksersatz als alternativlose Behandlungsmöglichkeit der bestehenden Daumensattelgelenksarthrose der Patientin vorgeschlagen. Bei den im Gutachten ausführlich beschriebenen Komplikationsmöglichkeiten der Implantation einer Daumensattelgelenksprothese muss die präoperative Aufklärung nach Aktenlage als unzureichend beurteilt werden. Eine Wahlmöglichkeit mit Entscheidung für eine weniger komplikationsreiche operative Vorgehensweise war der Patientin damit genommen. In Anbetracht der guten Erfolgsaussichten der alternativen Operationsmethoden ist ein Entscheidungskonflikt plausibel.

Gesundheitsschaden

Die mit dem Eingriff im Januar 2010 verbundenen Beeinträchtigungen der Pfannenlockerung und Pfannenwechsel, Prothesenluxation und Re-Operation, Sehneninterpositionsplastik, verbliebene, nahezu völlige Einschränkung der Beweglichkeit des linken Daumensattelgelenks und Reduktion der groben Kraft beim Faustschluss und Pinzettengriff auf ein Viertel im Vergleich zur rechten Hand waren daher als fehlerbedingter Gesundheitsschaden festzustellen.

Fazit

Die Therapiefreiheit befreit den Arzt nicht von seiner Aufklärungspflicht. Die Beweislast für das Aufklärungsgespräch trägt der Arzt. Über echte Behandlungsalternativen ist der Patient im Gespräch aufzuklären.

§ 630e BGB Aufklärungspflichten
(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.

Autoren:

Kerstin Kols, Ass. jur.

Dr. med. Michael Schönberger

Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie, Handchirurgie, Skelettradiologie
Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover