Liability for Inguinal Hernia Recurrences Based on Lack of Informed Consent, Disclosure of Risks and Alternative Operative Treatment
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 06/2004
Kasuistik
Ein 61-jähriger Patient ließ sich gleichzeitig beidseitige direkte Leistenhernien operieren. Die Operation erfolgte unter stationären Bedingungen durch einen chirurgischen Belegarzt. Die Bruchpforten wurden durch Implantation von Kunststoffnetzplomben (Plug-Repair) verschlossen. Die Wundheilung verlief ungestört. Etwa 5 Monate später stellte sich der Patient wegen erneuter Beschwerden wieder bei einem Chirurgen vor. Dieser stellte beidseits Leistenbruchrezidive fest. Die Rezidivhernien wurden 7 Monate nach dem Ersteingriff laparoskopisch transperitoneal simultan operiert. Die Plugs wurden bei dieser Gelegenheit wieder entfernt. Der postoperative Verlauf war ungestört. Erneute Hernienrezidive waren ein Jahr nach den Revisionsoperationen nicht aufgetreten.
Der Patient warf dem erstbehandelnden Chirurgen vor, die Leistenbruchoperationen nicht korrekt ausgeführt zu haben. Dadurch seien die Brüche erneut aufgetreten.
Der in Anspruch genommene Arzt argumentiert, er habe die Operation nach einem anerkannten Verfahren korrekt durchgeführt. Das Auftreten von Rezidiven läge im natürlichen Risiko einer jeden Leistenbruchoperation.
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte chirurgische Gutachter stellt fest
In der Behandlungsdokumentation fehle der Nachweis einer präoperativen Risiko- und Therapieaufklärung. Das im vorliegenden Falle angewandte Operationsverfahren habe zwar den Vorteil einer eingeschränkten Präparation, gleichbedeutend mit einer geringeren Wundsetzung, sei aber bekanntermaßen mit einer hohen Rezidivrate belastet. Daher werde dieses Verfahren in Deutschland nur von wenigen Operateuren benutzt, auch sei es wegen der Rezidivhäufigkeit üblich, zusätzlich zur Plug-Implantation die Hinterwand des Leistenkanals durch ein weiteres Netzimplantat zu verstärken. Dies sei im vorliegenden Falle ausweislich des Operationsberichtes nicht geschehen. Wenn der Chirurg seinem Patienten dieses Operationsverfahren vorgeschlagen habe, so hätte er ihn wegen der bekannten Rezidivhäufigkeit auf alternative Operationsverfahren mit geringerem Rezidivrisiko hinweisen müssen. Wenn er dies nicht getan habe, so müsse erwogen werden, die Haftungsfrage vor dem Hintergrund der unterlassenen Aufklärung über alternative Therapiemöglichkeiten zu beurteilen.
Der den Patienten vertretende Rechtsanwalt griff diese Betrachtungsweise des Gutachters auf: Sein Mandant sei über das Operationsverfahren nicht aufgeklärt worden. Wäre er vor der Operation über die im Gutachten festgestellten Mängel des bei ihm angewandten Operationsverfahrens informiert worden, so hätte er sich auf diese Operation nicht eingelassen
Die Schlichtungsstelle gelangt zu folgender Bewertung
Angesichts der bekannten Nachteile des bei dem Patienten durchgeführten Bruchpfortenverschlusses durch einfache Plug-Repair ohne Zusatzmaßnahmen hätte der Patient über andere, hinsichtlich der Rezidivgefahr weniger risikobehaftete Verfahren informiert werden müssen. Da überhaupt keine Dokumentation über eine präoperative Aufklärung vorlag, war nach Aktenlage davon auszugehen, daß die Leistenbruchoperationen nicht durch eine rechtskräftige Einwilligung des Patienten gedeckt waren.
Als Folgen des Aufklärungsmangels waren festzustellen: Die simultan ausgeführten Operationen der Leistenbruchrezidive einschließlich der hiermit verbundenen stationären und ambulanten Behandlung sowie die hierdurch bedingten Einschränkungen im privaten und beruflichen Bereich.
Die Prüfung der Aufklärungsproblematik ist für die Schlichtungsstelle generell nur in eingeschränktem Maße möglich, da sie sich ausschließlich an der seinerzeit aktuell erstellten ärztlichen Dokumentation orientieren kann. Weitere Beweiserhebungen, wie z. B. Zeugenvernehmungen, sind im Rahmen des Schlichtungsverfahrens nicht möglich. Sie sind den ordentlichen Gerichten vorbehalten. Wie die Haftungsfrage insoweit nach Durchführung etwaiger Zeugenvernehmungen zu beurteilen wäre, muß deshalb im Rahmen des Schlichtungsverfahrens grundsätzlich offenbleiben. Die Bewertung stützt sich ausschließlich auf die Aktenlage.