Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Haftung Gefäßverletzung bei diagnostischer Laparoskopie

Vascular Lesions in Diagnostic Laparoscopy

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 07/2004

Kasuistik

Eine 20-jährige schlanke Patientin wurde wegen des Verdachts auf ein akutes Abdomen in eine Chirurgische Klinik eingeliefert. Die klinischen Befunde als auch einige Laborparameter sprachen für eine akute Appendizitis, so daß nach entsprechender Aufklärung die Indikation zur diagnostischen Laparoskopie gestellt wurde. Über eine Veress-Nadel kam es zum Aufbau des Pneumoperitoneums, was laut OP-Bericht ohne Besonderheiten verlief. Nach Einführen eines 10 mm Einmaltrokars für die Positionierung der Optik im Nabelbereich und zwei weitere 5 mm Arbeitstrokare wurde das Abdomen visuell exploriert. Dabei fand sich ein ausgedehnte retroperitoneales Hämatom, das zum Verfahrenswechsel mit Eröffnung des Abdomens durch Laparotomie führte. Weiterhin fanden sich Verletzungen im Serosabereich des Dünndarmes als auch im Bereich des Mesenteriums. Nach Spaltung des Retroperitoneums war das Ausmaß der Gefäßverletzung festzustellen. Im Bereich der Bifurkation am Abgang der Arteriae iliaca communis externa fand sich ein 1 cm langer Einriß, aus dem sich massiv Blut entleerte. Durch Kompression wurde zunächst die Blutstillung versucht. Eine hinzugezogene Gefäßchirurgin versuchte, den Defekt mit einem Dacron-Patch zu verschließen. Nach Verschluß des Defektes waren keine Leistenpulse tastbar, so daß der Patch noch einmal entfernt und das Gefäß lumenrevidiert werden mußte. Nach nochmaligem Verschluß des Defektes mittels Patch waren wieder keine Pulse zu tasten. Der Befund wurde aber zunächst so belassen, da sich die Patientin inzwischen in einem Volumenmangelschock befand. Auf der Intensivstation zeigte sich postoperativ, daß beide Füße weiß waren und jegliche Durchblutung fehlte. Nach kurzer Zeit zeigte sich jedoch eine kapilläre Durchblutung und eine Erwärmung der Füße. Es gelang, die Kreislaufverhältnisse auf der Intensivstation zu stabilisieren. Am nächsten Tag waren die Füße und Beine oberhalb beider Kniegelenke wechselnd kühl und warm. Femoralispulse waren jedoch nicht tastbar. Gegen 13.30 Uhr des 1. postoperativen Tages waren an beiden Beinen keine Pulse zu ertasten. Am 2. postoperativen Tag morgens ergab eine Angiographie einen völligen Verschluß der Bauchschlagader und ihrer Aufzweigungen mit Verschlüssen beider Beckenarterien ergab. Am gleichen Tage, um 10.30 Uhr, gelang es, dank einer Bifurkationsprothese die Wiederdurchblutung beider Beine zu erreichen. Gegen 16.50 Uhr des gleichen Tages wurde dann eine weitere Operation erforderlich, da es im Bereich des rechten Beines zu einem ausgedehnten nerven- und muskelschädigenden Kompartmentsyndrom gekommen war. Als Folge war eine Fasziotomie durchzuführen. Bei der Patientin besteht heute eine permanente nicht reversible Fußheberlähmung mit Spitzfußstellung rechts.

Der zuerst beauftragte chirurgische Gutachter geht ausführlich auf die Diagnostik des akuten Abdomens bei jungen Frauen ein und kommt zu dem Ergebnis, daß die Indikation zur diagnostischen Laparoskopie korrekt war. Es setzt sich weiterhin mit den unterschiedlichen Möglichkeiten des Einbringens der Veress-Nadel in das Abdomen auseinander und richtet dabei sein Augenmerk besonders auf das offene Vorgehen. Anhand eines ausführlichen Literaturstudiums und den geschilderten Komplikationsmöglichkeiten stellt der Gutachter fest, daß der operative Eingriff korrekt war und nach den Regeln der ärztlichen Heilkunde durchgeführt wurde. Eine Gefäßverletzung durch die Veress-Nadel oder dem ersten Trokar ist eine typische aber seltene Verletzung. Sie ist eine bekannte Komplikation, die trotz aller Sorgfalt nicht immer zu vermeiden ist. Die Ursache dafür liegt in der Einführung beider Instrumente in den Bauchraum ohne Sichtkontrolle. Der Gutachter geht in keiner Weise auf die Art der Gefäßversorgung sowie auf die Kontrolle nach den ersten Gefäßversorgungen ein. Er hält dies im vorliegenden Fall für unerheblich. Die Gutachter der Schlichtungsstelle hingegen folgten der Beurteilung des Erstgutachters nur teilweise. Es wurde deshalb ein zweiter, in diesem Fall gefäßchirurgischer Gutachter bestellt, der sich ausschließlich mit den Fragen der Gefäßversorgung auseinanderzusetzen hatte. Der Gutachter setzte sich detailliert mit der Art der Gefäßoperation und deren zeitlichen Ablauf auseinander. Die operative Wiederherstellung der Durchblutung durch Patch-Plastik ist eine gängige und empfohlene Technik. Die postoperative gefäßchirurgische Kontrolle war jedoch mangelhaft, zumal auch die zweite gefäßchirurgische Operation zu spät erfolgte und nicht gleichzeitig eine Fasziotomie durchgeführt wurde, obwohl viele klinische Zeichen auf eine protrahierte Ischämie hinwiesen. Aufgrund der fehlerbedingten vielstündigen protrahierten Ischämie, der verzögerten zweiten Gefäßoperation und der nicht gleichzeitig erfolgten Fasziotomie ist es zu einer irreversiblen Schädigung des Fußhebers und der dazugehörigen Muskeln mit permanenter Spitzfußstellung gekommen.

Die Schlichtungsstelle schließt sich der Beurteilung des gefäßchirurgischen Gutachters an und führt darüber hinaus aus, daß eine frühzeitige Diagnostik und zeitgerechte operative Revision den Schweregrad des entstandenen Schadens möglicherweise positiv beeinflußt hätte. Das Ausmaß der eingetretenen Muskelschädigung und die damit verbundene Beinverschmächtigung hätte durch eine zeitgerechte Therapie vermieden werden können. Aufgrund der vielstündigen Ischämie und der zu spät erfolgten Fasziotomie ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine permanente nicht reversible Fußheberlähmung mit Spitzfußstellung entstanden. Aufgrund des eingetretenen Schadens ist die Patientin sowohl privat als auch beruflich in ihrer Lebensweise erheblich eingeschränkt, ganz abgesehen davon, daß auch das Einbringen einer Bifurkationsprothese bei einem jungen Menschen von 20 Jahren eine erhebliche Belastung bedeutet und darüber hinaus mit weiteren Komplikationen zu rechnen ist.

Die Schlichtungsstelle hielt Schadenersatzansprüche für begründet und empfahl die Frage einer außergerichtlichen Regulierung zu prüfen.

Autoren:

HR

Prof. Dr. med. Hans Richter

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover