Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Harnleiterverletzung bei Adnexentfernung

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 03/2007

Einleitung
Durch die engen Lagebeziehungen zwischen Genitalorganen und ableitenden Harnwegen besteht bei Eingriffen im kleinen Becken der Frau eine potentielle Verletzungsgefahr von Harnleiter und Blase. Da die Operationsebene oftmals nur wenige Millimeter vom Harntrakt entfernt liegt, muß sich der chirurgisch tätige Gynäkologe des Risikos einer Läsion ständig bewußt sein und ggf. den Harnleiterverlauf darstellen.

Bei einfachen und unkomplizierten gynäkologischen Eingriffen ist eine Freilegung der Harnleiter nicht erforderlich.

Eine völlig andere Situation ergibt sich unter erschwerten bzw. problembehafteten Operationsbedingungen. So z. B. bei Ovarialtumoren, entzündlichen Adnexprozessen, großen intraligamentären Myomen, Endometriosen, Genitalmißbildungen und ausgedehnten Verwachsungen. Hier ist mit einer veränderten Topographie des Ureterverlaufs zu rechnen. Deshalb ist in diesen Fällen eine präventive Freilegung des Harnleiters der jeweiligen Seite mit Distanzierung während der Präparation und vor dem Absetzen von Strukturen zwingend geboten. Nur durch diese Maßnahme kann sich der Operateur vom Vorwurf sorgfaltswidrigen Operierens entlasten.

Kasuistik

Eine 73-jährige Patientin unterzog sich in einem Kreiskrankenhaus einer laparoskopischen Entfernung der rechten Adnexe. Anlaß war ein zystischer Eierstocktumor. Die Gebärmutter war bereits vor über 25 Jahren exstirpiert worden.

In situ fanden sich ausgedehnte Verwachsungen als Folge der vorausgegangenen Hysterektomie. Der mehrkammrige zystische Tumor wurde aus den Adhäsionen gelöst, scharf mittels bipolarer Elektrokoagulation von der Beckenwand abpräpariert und extrem knapp an der Tumorwand abgesetzt. Der relativ nahe am Operationsgebiet liegende Ureter war durch das Bauchfell sichtbar und erschien dem Operateur unverletzt. Das Präparat wurde über eine Bergetrokar im rechten Unterbauch entfernt und erwies sich feingeweblich als gutartig.

Die ersten 24 Stunden nach dem Eingriff verliefen unauffällig. Allerdings fiel bei der Entfernung der Drainageschläuche auf, daß sich bereits 500 ml Flüssigkeit im Auffangbeutel gesammelt hatten. Eine Nephrosonographie zeigte ungestaute Hohlsysteme. Lediglich die Leukozytenwerte waren eleviert.

Am 2. postoperativen Tag klagte die Antragstellerin bei geblähtem Abdomen über Leibschmerzen, die auch nach der Darmentleerung persistierten.

Weitere zwei Tage später fand sich sonographisch reichlich Flüssigkeit im Bauchraum, die als „Aszites“ qualifiziert wurde. Es erfolgte die Einlage eines Zystofixsystems zur Drainage.

Bei anhaltend hohen Flüssigkeitsspiegel in der Bauchhöhle während der beiden folgenden Tage wurden die ableitenden Harnwege untersucht. Zunächst schloß man durch Farbstoffinstillation eine Leckage der Blase aus. Schließlich konnte am 6. postoperativen Tag durch Urographie eine Läsion des rechten Harnleiters gesichert werden. Nach Verlegung in eine urologische Fachabteilung wurde die Verletzung des Harnleiters in Höhe der rechten Ileosakralfuge lokalisiert und zunächst durch einen Doppel-J-Stent geschient. Da sich keine Spontanheilung mit Erhalt der Urinpassage erzielen ließ, mußte schließlich das stenosierte Segment des Ureters im April 2002 reseziert werden. Die Wiederherstellung der Kontinuität erfolgte über End-zu-End-Anastomose.

Die Patientin sah die Harnleiterverletzung als fehlerbedingt an und wandte sich an die Schlichtungsstelle.

Der Chefarzt der in Anspruch genommenen Klinik machte in seiner Stellungnahme geltend, daß der laparoskopische Eingriff durch erhebliche Verwachsungen im Bauchraum erschwert gewesen sei. Trotz sorgfältiger Vorgehensweise und Beachtung des Ureterverlaufs wäre es zur thermischen Läsion des Harnleiters gekommen. Die Verletzung habe man durch sorgfältige postoperative Kontrollen erkannt und adäquater Behandlung zugeführt.

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte gynäkologische Gutachter kam zu folgender Bewertung des Sachverhalts:
Ausgedehnte Thermo- bzw. Elektrokoagulationen seien bei verwachsenen Adnextumoren die häufigste Ursache iatrogener Ureterschäden. Grundsätzlich gelte, daß bei derartigen Befunden der Ureterverlauf eindeutig dargestellt, d. h. nach Spaltung des Bauchfells seitlich des Ovarialstiels mit den Gefäßen am medianen Blatt sicher in seinem Verlauf identifiziert werden müsse. Erst dann dürften Präparation bzw. Absetzen der Gefäß- und Bandstrukturen an den Adnexen erfolgen. Die bloße „transperitoneale“ Darstellung, die lediglich einer Visualisierung entspricht, sei nicht ausreichend. Beim laparoskopischen Operieren würden grundsätzlich die gleichen präventiven Maßnahmen zur Vermeidung von Ureterläsionen gelten, wie im Falle offen chirurgischen Vorgehens.

Wenn der Operateur unter erschwerten Bedingungen ohne besondere Identifikation bzw. Freilegung des Ureters präpariert bzw. reseziert, würden Läsionen immer zu seinen Lasten gehen. Somit müsse die Verletzung des rechten Harnleiters bei der Antragstellerin als vermeidbar fehlerhaft angesehen werden.

Erster Hinweis auf die Komplikation wäre die erhebliche Flüssigkeitsabsonderung in den Bauchraum gewesen. Spätestens hätte am 4. postoperativen Tag in Anbetracht von „reichlich Aszites“ im Bauchraum eine suffiziente Diagnostik erfolgen müssen. Sachgerecht wäre schon zu diesem Zeitpunkt eine Urographie gewesen. Das Einbringen von Farbstofflösung habe in diesem Fall nicht die notwendige Klarheit gebracht. Insgesamt könne man von einer Verzögerung sachgerechter Diagnostik von 3 – 4 Tagen ausgehen.

Die Schlichtungsstelle folgte der Einschätzung des Gutachters, aufgrund der unterlassenen Freilegung des rechten Ureters unter erschwerten Operationsbedingungen die Läsion als vermeidbar fehlerbedingt zu bewerten. Bezüglich der nicht zeitgerechten Diagnostik der Verletzung erkannte sie jedoch nur eine Verzögerung von 2 Tagen.

Die außergerichtliche Regulierung des Schadens wurde empfohlen.

Autoren:

HDM

Prof. Dr. med. H. D. Methfessel

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover