Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Hautläsion nach OP – ein voll beherrschbares Risiko?

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 11/2013

Kasuistik

Der 70-jährige Patient stellte sich bei einem Facharzt für Unfallchirurgie vor und klagte über Schmerzen im rechten Schultergelenk, nachdem er über eine Treppenstufe gefallen war. Der Unfallchirurg erhob den Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur und veranlasste eine Kernspintomographie. Diese ergab Veränderungen an der Supra- und Infraspinatussehne, eine Arthrose im Schultereckgelenk, Zeichen einer Einengung des Gleitraumes für die Sehnen der Rotatorenmanschette sowie einen Erguss im Schultergelenk und um die lange Bizepssehne herum. Bei anhaltenden Beschwerden trotz intensiver konservativer Behandlungsmaßnahmen wurde drei Monate später eine arthroskopische Operation durchgeführt. Nach Rückverlegung aus dem Aufwachraum auf die Station bemerkte der Patient ein starkes Jucken an der Innenseite des Oberarmes. Er führte die Beschwerden zunächst auf das Abduktionskissen zurück, auf dem sein Arm gelagert war. Die diensthabende Pflegekraftstellte eine Blasenbildung fest und informierte den diensthabenden Arzt, der einen speziellen Pflasterverband verordnete.

Auf einer Fotodokumentation vom vierten postoperativen Tag findet sich an der Innenseite des rechten Oberarmes des Patienten eine streifenförmige Hautläsion, die bogenförmig von der Achselhöhle bis zur Innenseite des Ellenbogengelenkes verläuft und sich dort auf etwa drei Zentimeter verbreitert. Eine weitere Fotodokumentation zeigt zehn Tage später einen im Wesentlichen unveränderten Befund. Nach insgesamt dreimonatiger Wundbehandlung war die ehemalige Operationswunde mit einer breiten Keloidnarbe verheilt.

Der Patient führt die stark juckende und brennende Hautwunde mit Blasenbildung an der Innenseite seines rechten Oberarmes bis zur Innenseite des Ellenbogengelenkes verlaufend auf fehlerhaftes Vorgehen zurück.

Der Operateur argumentiert, dass Lagerung und Abdeckung korrekt vorgenommen worden seien, die Blasenbildung im Bereich des rechten Armes könne bei Verwendung von bipolaren Ablationselektroden nicht intraoperativ entstanden sein. Bei der Entfernung des Abdeckungsmaterials hätten keine entsprechenden Hautveränderungen bestanden.

Entscheidung der Schlichtungsstelle

Intraoperativ entstandene Hautläsionen können prinzipiell folgende Ursachen haben:
1| Längere Einwirkung aggressiver Flüssigkeiten (zum Beispiel Desinfektionsmittel),
2| Verbrennung durch Strom außerhalb der Elektroden oder ungewollte Kontakte (Kriechströme, feuchte Abdecktücher, Ableitung über Messsonden und andere),
3| elektrische Verbrennung durch fehlerhafte Elektrodenlage,
4| Verbrennung durch funktionsgestörtes Elektrochirurgiegerät,
5| Druckschäden durch unsachgemäße Lagerung und Polsterung.

Die Hautläsion im vorliegenden Fall ist mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den unter 2. genannten Schädigungsmechanismus verursacht worden, jedoch sind auch andere Ursachen nicht vollständig auszuschließen. Das Risiko, das sich im vorliegenden Fall verwirklicht hat, ist aber auf jeden Fall nicht vorrangig aus der Eigenheit des menschliches Organismus erwachsen, sondern durch den Klinikbetrieb gesetzt worden. Durch angemessene Organisation und Koordination des Behandlungsgeschehens und ordnungsgemäßen Zustand der benötigten Geräte und Materialen muss ein solches Risiko voll beherrscht werden können. Bei der Verwirklichung von voll beherrschbaren Risiken liegt die Darstellungs- und Beweislast für die Verschuldensfreiheit bei der Behandlungsseite. Dass am Ende der Operation noch keine Blasenbildung erkennbar war, spricht nicht gegen eine intraoperative Entstehung.

Von einem voll beherrschbaren Risiko ist nur dann nicht auszugehen, wenn Umstände vorliegen, die für das ärztliche und pflegerische Personal objektiv nicht zu beherrschen sind, zum Beispiel:

  • Hochgradige Abmagerung bei schweren neurologischen Ausfällen und Gelenkkontrakturen sowie atrophische Hauterkrankungen,
  • Operationen, die notwendigerweise über mehrere Stunden gehen beziehungsweise übermäßig verlängerte Operation infolge unverschuldeter intraoperativer Komplikationen,
  • langfristig unverschuldete Kreislaufdepression,

  • abnormale Schweißabsonderung,

  • Funktionsstörung des ordnungsgemäß gewarteten und korrekt benutzten Elektrogerätes.

Im vorliegenden Fall war der medizinischen Dokumentation nicht zu entnehmen, dass die Hautschädigung durch vorgenannte besondere Umstände begünstigt wurde. Da der Operateur für die angemessene Organisation und Koordination den ordnungsgemäßen Zustand der benötigten Geräte und Materialen sowie die richtige Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch verantwortlich ist, ging die Schlichtungsstelle von einem vermeidbaren Behandlungsfehler aus.

Als fehlerbedingter Gesundheitsschaden waren die postoperativ aufgetretenen Schmerzen, eine notwendige dreimonatige Wundbehandlung bei sekundärer Wundheilung sowie die Ausbildung einer breiten Keloidnarbe anzusehen.

Fazit

Bei sogenannten „voll beherrschbaren Risiken“ wird ein Fehler des Arztes vermutet, wenn der Gesundheitsschaden des Patienten aus einer Gefahr herrührt, die dem Herrschafts- und Organisationsbereich des Behandelnden zuzuordnen ist, soweit der Behandelnde die Gefahren aus diesem Bereich objektiv voll beherrschen kann (§630 h Abs. 1 BGB). Das voll beherrschbare Risiko ist damit eng mit einer Haftungsgefahr für den Arzt verbunden. Der Arzt hat die Vermutung eines Fehlers zu widerlegen und muss dies auch beweisen können.

Autoren:

JN

Dr. Johann Neu, Rechtsanwalt

ehemaliger Geschäftsführer der Schlichtungsstelle
für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover