Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Keine Sitzwache – deshalb Nasenbeinfraktur

Kasuistik

Es war die Behandlung durch die Ärzte einer Medizinischen Klinik und einer Klinik für Traumatologie und Orthopädie zu prüfen.

Eine 54-jährige Patientin war über Jahre hinweg trockene Alkoholikerin. Nach einem Rückfall wurde sie von ihrer Hausärztin nach einem Sturz in der häuslichen Umgebung in die Klinik eingewiesen. Die erste Untersuchung erfolgte durch die Unfallchirurgie, da es sich um einen Sturz auf den Kopf und das Handgelenk handelte. Bei der klinischen Aufnahmeuntersuchung zeigten sich ein Monokelhämatom links sowie ein Hämatom an der linken Hand. Die Patientin war sehr verwirrt, nicht kooperativ und zum Teil auch aggressiv, wie aus dem Arztbrief der Unfallchirurgie hervorgeht. Es erfolgten zunächst eine Computertomographie des Schädels, der NNH (Nasennebenhöhlen) sowie eine Röntgenuntersuchung der linken Hand in zwei Ebenen. Hinweise für eine frische Verletzung sowohl knöchern als auch intrazerebral ergaben sich nicht. Bei bekannter Alkoholkrankheit mit momentanem Rückfall nach jahrelanger Abstinenz wurde die Patientin initial in der Medizinischen Klinik mit Verdacht auf Alkoholentzugssymptome aufgenommen. Aus dem Pflegebericht der Station geht hervor, dass die Patientin nach einem Sturz in der Häuslichkeit aufgenommen wurde. Die Patientin konnte nicht befragt werden, da sie sich im Entzug befand und „nur vor sich hin lallte“.

Hier ein Auszug aus der Dokumentation des Krankenhauses: „22.50 Uhr: Patientin stieg über Bettgitter, orientierungslos, Platzwunde am Nasenbein nach Sturz, AVD (Arzt vom Dienst, Anm. d. Red.) informiert, Patientin wurde auf den Fußboden auf eine Matratze gelegt. Patientin robbte durch das Zimmer, Platzwunde am Nasenbein wieder blutend, AVD nochmals informiert. 00.20 Uhr: Eine Ampulle Faustan i.v. erhalten, Patientin um 00.50 Uhr zur ITS (Intensivstation, Anm. d. Red.) verlegt.“

Am 18. November um 00.50 Uhr wurde die Patientin auf die Intensivstation verlegt und um 11.05 Uhr wurde ein Schädel-CT durchgeführt, das eine eingestauchte Fraktur des Os nasale ergab. Es lagen keine frischen intrazerebralen Blutungen vor. Auf der Intensivstation wurde eine antidelirante Behandlung durchgeführt, die jedoch zügig reduziert werden konnte. Die Patientin war dann unauffällig, orientiert und freundlich zugewandt, sodass sie zur weiteren Behandlung am 21. November auf eine Normalstation verlegt werden konnte. Am 23. November wurde die Patientin in die ambulante Weiterbehandlung entlassen

Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen

Der Verfahrensbevollmächtigte der Patientin trägt vor, seine Mandantin sei „trockene“ Alkoholikerin, welche einen Rückfall gehabt habe und im Delirium gestürzt sei. Dabei seien die linke Hand und der linke Wangenknochen stark geprellt worden. Auf Station sei sie nicht behandelt oder beobachtet worden, obwohl die Ärzte über das Delirium informiert gewesen seien. In der Nacht sei die Mandantin dann aus dem Bett gefallen, weil keinerlei Sicherungsmaßnahmen (Gitter et cetera) vorgenommen worden seien. Das Resultat dieser Nacht sei ein Nasenbruch der Mandantin. Eine Verlegung in eine HNO-Abteilung sei nicht erfolgt. Zwei Tage nach der Entlassung aus der stationären Behandlung habe die Mandantin derart starke Nasenblutungen bekommen, dass sie erneut ins Krankenhaus gebracht worden sei. Die Art und Weise der Behandlung für einen Transport in die nächste HNO-Klinik sei für die Mandantin unzumutbar gewesen. Im Vordergrund stehe, dass aufgrund des Zustands der Mandantin diese nicht besser beobachtet worden sei, da bereits die Tatsache, dass die Mandantin aus dem Bett fallen konnte, dafür spreche, dass die Beobachtung beziehungsweise Beaufsichtigung durch das Pflegepersonal nicht dem Zustand der Mandantin entsprechend ausgerichtet gewesen sei.

Stellungnahme Krankenhaus

Der Vorwurf, dass die Patientin auf die Station gebracht worden sei, ohne dort behandelt oder beobachtet worden zu sein, könne nicht nachvollzogen werden. Im Arztbrief an die Hausärztin seien mehrere CT-Aufnahmen beschrieben und die Notwendigkeit der Verlegung auf die Intensivstation erläutert worden. Die besondere Beaufsichtigung durch das Pflegepersonal sei in der Patientenakte dokumentiert. Nachdem die Beschwerden rückläufig gewesen seien und die behandelnden Ärzte einen Termin zur ambulanten Behandlung in der HNO-Praxis vereinbart hätten, habe die Entlassung in die ambulante Weiterbehandlung erfolgen können. Diesen Termin habe die Patientin nicht wahrgenommen.

In der weiteren Zeit habe sich die Patientin mit Nasenblutungen erneut vorgestellt. Es sei die Kontaktaufnahme zu umliegenden Kliniken, in denen eine HNO-Abteilung vorhanden sei, erfolgt. Letztlich sei der Transport mit einem Krankenwagen durchgeführt worden.

Der Vorwurf einer verzögerten Behandlung in der Rettungsstelle werde zurückgewiesen. Die Behandlung der akuten Alkoholintoxikation sowie des schweren Deliriums habe im Vordergrund gestanden. Deswegen sei die intensivmedizinische Behandlung erforderlich gewesen. Die Behandlung der gebrochenen Nase sei erst nach Abwarten der Ödemphase möglich gewesen. Hierzu sei eine Vereinbarung des ambulanten Termins in einer HNO-Praxis erfolgt.

Entscheidung der Schlichtungsstelle

Bei Aufnahme der Patientin befand sich diese durch einen Rückfall bei Alkoholkrankheit in einem Delirium. Aus den dokumentierten Akten geht hervor, dass sie sehr verwirrt war, nicht kooperativ, zum Teil aggressiv und die Untersuchungen kaum zugelassen habe. Sie habe sich in dieser Situation in einem Zustand befunden, in dem man sie unter eine besondere Beaufsichtigung stellen musste, um weitere Selbstgefährdungen zu vermeiden. Aus dem Pflegebericht geht hervor, dass die Patientin über das Bettgitter gestiegen und orientierungslos war, stürzte und sich dabei eine Platzwunde am Nasenbein zugezogen hatte. Dies ist der einzige Hinweis aus der Krankenakte, in dem von Bettgittern gesprochen wird. Ansonsten findet sich kein Hinweis auf Fixierung oder anderweitige Maßnahmen, in der Akte finden sich ebenfalls kein Fixierungsprotokoll und auch kein Sturzprotokoll. Auch ist in der Akte nicht vermerkt, ob eine Extrawache für die Patientin zur ständigen Beobachtung eingeteilt gewesen ist.

Nach dem Sturz sind die Verlegung auf die Intensivstation und die weitere antidelirante Behandlung sach- und fachgerecht durchgeführt worden. Auch die weitere Diagnostik mittels CT und Erkennung der Nasenbeinfraktur sei korrekt gewesen. Eine sofortige Versorgung in diesem Fall war nicht erforderlich, da erst nach Abschwellung im Nasenbereich eine operative Korrektur möglich ist. Den ihr mitgeteilten Termin zur Vorstellung bei einem HNO-Arzt hat die Patientin nicht wahrgenommen. Nach Vorstellung am 25. November hat man zur Notfallversorgung eine Nasentamponade angelegt, was situationsgerecht war. Die Verlegung in die HNO-Klinik war ebenso sachgerecht.

Die unzureichende Überwachung in der Nacht vom 17. zum 18. November muss jedoch als fehlerhaft angesehen werden. Die behandelnden Ärzte und das beteiligte Pflegepersonal haben nach dem Standard die Patientin zu überwachen und vor krankheitsbedingten Selbstgefährdungen und Selbstschädigungen zu schützen. Hierzu reicht die alleinige Sicherung durch hochgestellte Bettgitter bei einer erkennbar hohen Sturzgefährdung wie hier ohne Fixierung beziehungsweise ohne Aufsicht nicht aus. Bei den Verwirrtheitszuständen der deliranten Patientin hätte eine Intensivstation oder Wachstation bei kontinuierlicher Möglichkeit der Beobachtung durch Fachpersonal und gegebenenfalls Fixierung erfolgen müssen – zunächst ohne, dann schnellstmöglich mit richterlicher Genehmigung. Bei einer Unterbringung ohne Überwachung und ohne Fixierung droht bei hochgezogenen Bettgittern ex ante infolge der erhöhten Fallhöhe eine schwerwiegende Selbstgefährdung bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen. Das nach Aktenlage alleinige Anbringen von hochgeschobenen Bettgittern zum Selbstschutz (hier gibt es nur einen Eintrag im Pflegebericht) und zur Sturzprophylaxe reicht bei einer verwirrten Patientin nicht aus und ist somit fehlerhaft. Bei fachgerechter Überwachung und Kontrolle beziehungsweise Sicherung der Patientin auf der Intensivstation hätte der Sturz mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vermieden werden können.

Gesundheitsschaden

Die Nasenbeinfraktur und die damit verbundenen Schmerzen und das Nasenbluten sowie die Operation der Nase sind als fehlerbedingt zu werten. Bei richtiger Durchführung der Überwachungsmaßnahmen wäre es nicht zu diesem Gesundheitsschaden gekommen.

Fazit

Patienten, die keine Kontrolle über ihren Zustand haben, sind so stationär unterzubringen, dass eine erkennbare Selbstgefährdung wirksam verhindert wird.

Autoren:

Prof. Dr. med. Winfried Berner

Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
Ärztliches Mitglied
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover

Kerstin Kols, Ass. jur.