Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Kind kein Schaden — trotzdem Anspruch auf Schadenersatz?!

Kasuistik

Bei einer 41-jährigen Patientin war als eine Besonderheit bei ihrer ersten Geburt ein Uterus duplex und ein Scheidenseptum festgestellt worden. Die betreuende Gynäkologin wurde darüber durch den Arztbrief der Klinik informiert. Es bestanden außerdem noch Fehlbildungen der ableitenden Harnwege.

Nach ihrem zweiten Kind entschied sich die Patientin aufgrund der finanziellen Situation für eine Empfängnisverhütung mit der Hormonspirale Mirena. Es erfolgte zur Vorbereitung eine Sonografie, bei der die Gynäkologin keine Auffälligkeiten, insbesondere keinen Uterus duplex, feststellte. Die Einlage wurde komplikationslos vorgenommen. Die Patientin wurde erneut schwanger. Im Entlassungsbrief zur dritten Geburt ist notiert: „Uterus duplex mit Mirena im nicht-graviden Horn.“

Die Patientin wechselte daraufhin die Gynäkologin. In der Kartei ist dort vermerkt: „Partner ist sterilisiert“. Auf einem Ultraschallbild ist eindeutig ein Uterus duplex zu erkennen.

Die Hormonspirale sei für die Empfängnisverhütung gänzlich ungeeignet gewesen. Die erstbetreuende Gynäkologin habe dies gewusst.

Stellungnahme der in Anspruch genommenen Ärztin

Die Gynäkologin trägt vor, dass in dem Arztbrief zur ersten Geburt nur die Rede davon gewesen sei, dass eine Verletzung der Scheide unter dem Verdacht eines Scheidenseptums und eines Uterus duplex aufgetreten sei. Dies habe sich bei den Nachuntersuchungen nicht bestätigt, zu keinem Zeitpunkt sei eine zweite Zervix festgestellt worden.

Gutachten

Der Entlassungsbericht zur ersten Geburt beschreibe explizit eine doppelte Anlage der Gebärmutter und der Scheide. Dies werde auch im Operationsbericht detailliert beschrieben, die Diagnose müsse als gesichert gelten.

Alle vorliegenden Ultraschallbilder der Gynäkologin zeigten eine Darstellung des Uterus im Längsschnitt. Eine Aufnahme im Frontalschnitt liege bei den 28 Vaginalsonografien nicht vor. Eine Untersuchung der Gebärmutter in zwei Ebenen sei eindeutig Standard, um Auffälligkeiten wie die hier Vorliegende, zu entdecken. Wenn dieser Standard eingehalten worden wäre, wäre bei der Vielzahl von Vaginalsonografien im Laufe der Zeit die Doppelbildung aufgefallen. Auf dem Bild im Frontalschnitt, das von der nach der dritten Geburt weiter behandelnden Gynäkologin angefertigt worden sei, sei der Uterus duplex eindeutig zu erkennen.

In Falle einer solchen Fehlbildung dürfe keine intrauterine Verhütung angewendet werden. Bei angeborenen Nierenfehlbildungen komme es häufig zu parallelen Fehlbildungen des inneren Genitale. Daher hätte bei den gynäkologischen Untersuchungen darauf besonderes Augenmerk gelegt werden müssen.

In Kenntnis der Diagnose „Uterus duplex“ hätte kein Intrauterinpessar eingesetzt werden dürfen. Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose eines Uterus duplex hätten spätestens vor Einsetzen des IUP ausgeräumt werden müssen.

Entscheidung der Schlichtungsstelle

Die Schlichtungsstelle schloss sich dem Gutachten an. Bei korrektem Vorgehen — alternative Kontrazeption anstelle des IUP — wäre es mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht zu einer weiteren Schwangerschaft gekommen. Allein fehlerbedingt ist nochmals eine dritte Schwangerschaft eingetreten.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sind die mit der Geburt eines nicht gewollten Kindes für die Eltern verbundenen wirtschaftlichen Belastungen, insbesondere die Aufwendungen für dessen Unterhalt, nur dann als ersatzpflichtiger Schaden auszugleichen, wenn der Schutz vor solchen Belastungen Gegenstand des jeweiligen Behandlungsvertrages war. Dies war hier der Fall.

Fazit

Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Urteil (BVerfG, Urteil v. 28. Mai 1993, Az.: 2 BVF 2/90) festgestellt, dass die Würde des Menschen (Art. 1 GG) es verbietet, das Kind als Schadensposten einzuordnen. Der Bundesgerichtshof hat dies dann insofern eingeschränkt, dass Unterhaltskosten eines nicht geplanten Kindes einen ersatzfähigen Schaden darstellen, da lediglich nach § 249 BGB zwei Vermögenslagen miteinander verglichen werden. (BGH, Urteil vom 28. März 1995, Az. VI ZR 356/93) Das Bundesverfassungsgericht hat dem zugestimmt (BVerfG, NJW 1998, 519). Voraussetzung ist aber, dass der Behandlungsvertrag zum Zweck der Schwangerschaftsverhütung geschlossen wurde. Als die Gynäkologin die Spirale als Verhütungsmethode anbot und die Patientin dieses Angebot annahm, kam ein solcher Vertrag zustande.

Autoren:

Prof. Dr. med. Wolfgang Heidenreich

Facharzt für Frauenheilkunde
Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover

Christine Wohlers, Rechtsanwältin

Juristin in der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover

Schaffartzik

Prof. Dr. med. Walter Schaffartzik

Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie
Vorsitzender der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover