Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Knick-/Sturzverletzungen – „kein MRT vor OP“ trotz unklarer Sonographien

Erschienen im Nds. Ärzteblatt 12/2014

Kasuistik

Eine 57-Jährige knickte auf einer Stufe weg und zog sich eine Verdrehung des rechten Kniegelenkes mit Zerrung der das Kniegelenk begleitenden Weichgewebe zu. Zwei Tage später führten zunehmende Schmerzen und Streckschwäche im rechten Kniegelenk zur ambulanten Vorstellung im Krankenhaus. Hier fanden sich eine Ergussbildung im Kniegelenk, Bluterguss, Verfärbung vor der Kniescheibe sowie eine gestörte Streckfähigkeit. Eine leichte Dellenbildung im Verlauf des Kniescheibensehnenbandes (Ligamentum patellae) wurde als verdächtig auf eine Sehneneinrissverletzung angesehen. Eine sonographische Untersuchung ließ Unregelmäßigkeiten im Sehnengewebe erkennen. Der Patientin wurde eine operative Revision empfohlen, welche noch am gleichen Tag in Spinalanästhesie erfolgte. Über einen sechs Zentimeter langen zentralen Operationsschnitt wurde das Ligamentum patellae revidiert, es fanden sich zwar Bluteinlagerungen im Subkutangewebe, eine Sehnenrissverletzung konnte jedoch nicht zur Darstellung gebracht werden. Die abschließende Kniegelenkspunktion ließ kleinere Mengen älteren Blutes entleeren. Am selben Tag erfolgte postoperativ eine MRT-Untersuchung, die ebenfalls einen Riss des Ligamentums patellae ausschloss. Es wurde der Verdacht auf eine Außenmeniskusvorderhornverletzung sowie eine Knorpelschädigung im Schienbein-Oberschenkelrollengelenk beschrieben. Die Patientin wurde nach drei Tagen in ambulante Behandlung entlassen. Die Hausärztin verordnete eine krankengymnastische Nachbehandlung.

Es wurden unzureichende diagnostische Maßnahmen bei Vorabklärung des Verdachtes auf eine Strecksehnenverletzung bemängelt, die zu einer unnötigen Operation mit nachfolgenden Beeinträchtigungen geführt hätten. Das Krankenhaus trug vor, dass anfänglich mit Streckhemmung, Blutergussverfärbung vor dem Kniescheibensehnenband und des Verdachts auf eine Eindellung im Verlauf der Sehne sowie sonographischer Untersuchung der dringende Verdacht auf eine Strecksehnenverletzung vorgelegen hätte. Diese hätte sich intraoperativ und bei späterer MRT-Untersuchung nicht bestätigen lassen. Aus Sicht ex post müsse eingeräumt werden, dass eine präoperative MRT-Untersuchung zur Unterlassung der Operation geführt hätte.

Gutachten

Der Gutachter gelangte zu der Auffassung, dass, auch wenn bei der Aufnahmeuntersuchung eine Strecksehnenverletzung nicht ausschließbar war, eine Ausweitung bildgebender Abklärung mit MRT der Patientin den Eingriff am Aufnahmetag hätte ersparen können. Die Unwägbarkeiten des sonographischen Befundes hätten zur Entscheidung führen müssen, präoperativ ein MRT anfertigen zu lassen. Diese Unterlassung müsse als fehlerhaft angesehen werden. Die Unannehmlichkeiten eines operativen Eingriffes hätten der Patientin somit erspart bleiben können.

Entscheidung der Schlichtungsstelle

Es war davon auszugehen, dass die Patientin eine Verwindung, aber auch eine Prellung an der Vorderseite des linken Kniegelenkes erlitt. Hierfür sprachen der vor der Kniescheibe liegende Bluterguss und die deutlich eingeschränkte Streckfähigkeit im Kniegelenk. Die Sonographieaufnahmen zeigen diskrete Unregelmäßigkeiten im Verlauf des Ligamentum patellae, erlauben aber keine Aussage über eine operationspflichtige Rissverletzung. Aufgrund dieser Unsicherheit hätte vor einer Operation zwingend eine weitere Abklärung in Form der MRT-Untersuchung als deutlich minimalinvasiverer Eingriff erfolgen müssen. Eine solche MRT-Untersuchung erfolgte aber erst postoperativ und ließ keine operationspflichtige Verletzung des Ligamentum patellae erkennen. Der operative Eingriff war daher vermeidbar.

Fazit

Vorsicht bei OP-Indikation aufgrund von unklaren Sonographien von Sehnen!

Autoren:

Kerstin Kols, Ass. jur.

Dr. med. W.-D. Schellmann

Facharzt für Unfallchirurgie
Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover