Complications After an Endoscopic Retrograde Cholangiopancreatography (ERCP) without Medical Indication
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 03/2008
Kasuistik
Bei einer 62-jährigen Patientin war fünf Jahre zuvor aufgrund von kolikartigen Bauchschmerzen eine laparoskopische Cholezystektomie vorgenommen worden. Die kolikartigen Beschwerden setzten jedoch kurz nach der Operation wieder ein, so dass noch mehrfach stationäre Untersuchungen folgten.
Als wegen erneuter heftiger Koliken wiederum eine stationäre Behandlung im betroffenen Kreiskrankenhaus erforderlich wurde, zeigten die bei der Aufnahme erhobenen Laborparameter keinen pathologischen Befund. Es lagen weder Anämie, Entzündungsparameter noch Hinweise auf einen Gallenstau oder auf eine Lebererkrankung vor.
Aufgrund eines ambulant festgestellten Blutnachweises im Stuhl wurde zunächst vier Tage nach der Aufnahme eine Koloskopie durchgeführt, die keinen pathologischen Befund ergab. Am siebten Tag nach Aufnahme entschloss man sich zu einer ERCP, obwohl sich gleichzeitig in der Kurve eine Notiz findet, dass eine ERCP nicht indiziert sei. In einer späteren Stellungnahme wurde als Indikation für die ERCP der Verdacht auf eine Papillenstenose angegeben, außerdem habe die Patientin die Untersuchung gewünscht. Nach Prämedikation mit Pethidin, Midazolam und Butylscopolamin erfolgte die Pankreatikographie, bei der vier Röntgenaufnahmen mit Darstellung des Pankreas- und Gallenganges bei intraduktal liegendem Führungsdraht angefertigt wurden.
Vier Stunden nach der ERCP wurde die Verabreichung von Spasmolytika, Sedativa und Infusionen dokumentiert. Abendliche Laboruntersuchungen zeigten deutlich erhöhte Pankreasenzyme und einen GOT-Anstieg. Im weiteren Verlauf kamen Entzündungsparameter hinzu. Die Sonographie wies einen zarten Flüssigkeitssaum um den Pankreaskopf und -körper nach, wobei außerdem eine deutliche Abwehrspannung dokumentiert wurde. Nach zusätzlichem Temperaturanstieg erfolgte die weitere Betreuung auf der Intensivstation. Ein chirurgisches Konsil konstatierte eine reaktive Bauchspeicheldrüsenentzündung nach ERCP ohne derzeitige Operationsindikation. Während der 14-tägigen intensivmedizinischen Behandlung wurde bei Analgesie, Antibiose und medikamentöser Magensäureblockade parenteral ernährt. Darunter waren die Kreislaufverhältnisse stabil und die Patientin entfieberte. Ein Computertomogramm zeigte dann aber im weiteren Verlauf vorübergehend Pleuraergüsse und Flüssigkeitseinlagerungen im Pankreasbereich, später auch Nekrosezeichen. Eine Anämie wurde mit zwei Bluttransfusionen behandelt. Nach klinischer Besserung konnte die Behandlung auf einer Normalstation fortgesetzt werden, wo wegen erneuten Fiebers die Antibiose geändert wurde. Zusätzlich wurden Antimykotika verabreicht. Nach nur langsamer Besserung erfolgte 43 Tage nach der ERCP die Entlassung in eine Anschlussheilhandlung.
Die Patientin wirft den behandelnden Krankenhausärzten Ärzten vor, die ERCP sei nicht nötig gewesen. Bereits während der Koloskopie habe sie darauf hingewiesen, daß dabei die typische Schmerzattacke ausgelöst worden sei und zwar durch eine schwierige Passage der rechten Kolonflexur. Die ERCP habe zu den Komplikationen geführt, die bezüglich der Nahrungsaufnahme ihr ganzes Leben verändert hätten. Das Ausmaß bleibender Schäden sei noch nicht abzusehen.
Gutacher: Alternative Diagnostik wurde nicht beachtet
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter schätzte die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung als sehr gering ein. Alarmsymptome für eine bösartige Erkrankung, wie eine ungewollte Gewichtsabnahme, eine Blutarmut oder persistierend hohe Entzündungszeichen hätten sich über Jahre hinweg nicht eingestellt. Es habe keine Notfallsituation bestanden. Vielmehr seien die Laborwertanalysen unauffällig gewesen. Auch die Kriterien einer Papillenstenose hätten nicht vorgelegen. Es bleibe daher unverständlich, warum der Verdacht auf eine Papillenstenose die Indikation für eine diagnostische ERCP ohne gleichzeitige Manometrie begründet habe. Die Vortestwahrscheinlichkeit, mit einer ERCP ein Krankheitsbild zu diagnostizieren, das für die Patientin therapeutische oder prognostische Implikationen erbracht hätte, sei äußerst gering gewesen. Eine zwingende Indikation zur ERCP habe nicht bestanden.
Für eine Gallenwegsdiagnostik wären außerdem als risikoärmere Verfahren, die Endosonographie oder die Magnetresonanz-Cholangiopankreaktikographie (MRCP), in Frage gekommen. ERCP-Untersuchungen würden vielfach nur noch dann durchgeführt, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch sei, mittels ERCP auch therapeutisch an den Gallengängen oder an der Bauchspeicheldrüse tätig werden zu müssen. Außerdem führe die Patientin aus, daß die Herkunft Ihrer Beschwerden bereits durch ihr Schmerzempfinden während der Koloskopie geklärt gewesen sei. Letztendlich unverständlich sei die Durchführung der ERCP dadurch, dass sie ärztlicherseits als nicht indiziert dokumentiert worden war.
Als Auslösungsreiz für eine schwere Pankreatitis reiche allein die Vornahme einer ERCP aus mit der dazu gehörigen Manipulation an der Papille, ohne dass ein Untersuchungsfehler vorliegen müsse. In den Richtlinien der amerikanischen Fachgesellschaft für gastrointestinale Endoskopie sei deshalb als effektivste Methode zur Verhinderung einer post-ERCP-Pankreatitis die Vermeidung unnötiger ERCP-Untersuchungen angegeben.
Strenge Indikationsstellung unerlässlich
Die Schlichtungsstelle hat sich dieser Beurteilung angeschlossen und dabei nochmals betont, dass Ärzte eine Untersuchung selbst auf ausdrücklichen Wunsch von Patienten hin dann nicht durchführen dürfen, wenn sie dafür keine Indikation sehen. Dies gilt vor allem dann, wenn diese Untersuchung naturgemäß mit erheblichen Risiken verbunden ist. Dass nur durch Vermeidung unnötiger ERCP-Untersuchungen die Häufigkeit der post-ERCP-Pankreatitis zu reduzieren ist, gehöre zum Standardwissen endoskopierender Ärzte. Einerseits war den Ärzten nach der partiellen Koloskopie die von der Patientin vermutete Schmerzursache bekannt, andererseits sprach das Fehlen von Fieber, Entzündungsparametern und pathologischen Leberenzymen gegen das Vorliegen einer chronischen Gallenwegserkrankung oder einer Sphincterstenose. Selbst für den alternativen Einsatz der risikoärmeren MRCP oder Endosonographie bestand keine zwingende Indikation.
Die Durchführung einer ERCP ohne Indikation stellt einen ärztlichen Behandlungsfehler dar, dem die durch diese Untersuchung verursachten Schäden anzulasten sind. Es wurde eine außergerichtliche Regulierung von Haftungsansprüchen empfohlen.