Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Laparoskopische Cholecystektomie: Verletzung des Ductus hepato-choledochus, verzögerte Diagnostik und Therapie der Gallengangsverletzung

Injury to the Common Bile Duct

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 05/2001

Kasuistik

Bei der zum Behandlungszeitpunkt 58jährigen Patientin wurde in der Chirurgischen Abteilung eines Kreiskrankenhauses wegen einer steinhaltigen Gallenblase die laparoskopische Cholecystektomie ausgeführt. Bei dieser Operation kam es unbemerkt zu einer Verletzung des Ductus hepato-choledochus, der Hauptgallengang wurde durchtrennt, die Stümpfe wurden durch Clips verschlossen. Der postoperative Verlauf war gekennzeichnet durch anhaltende Schmerzen, Absonderung großer Mengen galliger Flüssigkeit aus der Bauchhöhlendrainage, Anstieg des Serum-Bilirubins, der Transaminasen und der alkalischen Phophatase. Am 7. postoperativen Tag wurde erstmalig eine abdominale Sonographie durchgeführt. Hierbei wurden ein 7,5 cm breiter Flüssigkeitssaum unter der Leber sowie Flüssigkeitsansammlungen im Douglas festgestellt, zu diesem Zeitpunkt bestand noch eine anhaltende Gallenabsonderung aus der Bauchdrainage. Eine zweite Sonographie erfolgte 14 Tage später mit etwa gleichlautendem Befund. Am 22. postoperativen Tag wurden durch ein abdominales CT größere Flüssigkeitsmengen in der freien Bauchhöhle bestätigt. Noch am gleichen Tage wurde laparotomiert. Es bestätigte sich ein ausgedehnter Cholaskos, eine Gallenleckage konnte nicht nachgewiesen werden. Der Eingriff wurde nach Bauchhöhlenspülung mit der erneuten Anlage einer Bauchhöhlendrainage beendet. Der postoperative Verlauf war durch die gleiche Symptomatik wie nach der laparoskopischen Cholecystektomie gekennzeichnet.

Am 49. Tag nach der laparoskopischen Cholecystektomie bzw. am 27. Tag nach der 1. Revisionslaparotomie wurde durch ERCP ein kompletter Abbruch des Hauptgallenganges in Höhe eines Clips nachgewiesen. Daraufhin wurde 2 Tage später eine erneute Revisionsoperation durchgeführt. Das Gallenleck wurde jetzt identifiziert. Eine präparatorische Darstellung des zentralen Gallengangstumpfes gelang nicht, so daß eine biliodigestive Anastomose zwischen dem das Gallenleck begrenzenden Gewebe und einer nach Roux ausgeschalteten Dünndarmschlinge hergestellt wurde. Danach schien die Situation zunächst beherrscht. Die Patientin wurde 18 Tage nach dieser letzten Operation aus stationärer Behandlung entlassen.

Bereits 2 Wochen später erfolgte die Aufnahme in der Chirurgischen Klinik eines großen Klinikums wegen erneut aufgetretener Gallenstauung. In einer aufwendigen Operation wurde die örtliche Situation der Gallengangsläsion abgeklärt und eine neue biliodigestive Anastomose angelegt. Auch jetzt trat eine postoperative Gallenleckage ein, so daß insgesamt noch 6 weitere Operationen notwendig wurden. Im Rahmen der bisherigen Behandlung wurde eine chronische Gallengangsentzündung (Cholangitis) nachgewiesen.

Die Patientin vermutet, daß der komplikationsreiche Verlauf durch Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der laparoskopischen Cholecystektomie in der erstbehandelnden Klinik ausgelöst wurde.

Das von der Schlichtungsstelle angeforderte viszeralchirurgische Gutachten gelangt zu dem Ergebnis, daß in bezug auf die Ausführung der laparoskopischen Cholecystektomie kein fehlerhaftes Verhalten erkennbar sei, die eingetretene, unter der Operation nicht erkannte Gallengangsverletzung sei als unvermeidbare Komplikation anzusehen. Dagegen wurde die verzögerte Diagnostik der Gallengangsverletzung sowie deren primär unzulängliche operative Korrektur als vermeidbarer Fehler bezeichnet.

In der Beurteilung der postoperativ aufgetretenen diagnostischen und Behandlungsfehler folgte die Schlichtungsstelle den Wertungen der Gutachter:

1.
Die postoperative Kontrolle und die Diagnostik sind als fehlerhaft zu bewerten. Hinweise auf eine intraoperative Gallengangsverletzung waren:

  • Über 10 Tage anhaltende Gallenabsonderungen aus der Bauchhöhlendrainage mit Mengen zwischen 200 und 700 ml.
  • Anhaltende Schmerzen
  • Erhöhte Werte von Bilirubin, Transaminasen und alkalischer Phophatase, ansteigende Tendenz.
  • Sonographischer Nachweis von freier Flüssigkeit im Abdomen.

Diese Symptome wiesen bereits frühzeitig auf eine Gallengangsverletzung hin. Es hätte bereits in den ersten postoperativen Tagen eine weiterführende Diagnostik bis zur Klärung von Art und Ausmaß der Gallengangsverletzung erfolgen müssen. Es ist aus ärztlicher Sicht völlig unverständlich, daß aus der geballten Konstellation von Warnsymptomen keine Konsequenzen gezogen wurden. Besonders belastend ist die fehlende Auswertung des Sonographiebefundes vom 7. postoperativen Tag. Hier werden eine 75 mm starke Flüssigkeitsansammlung unter der Leber sowie freie Flüssigkeit im Douglas beschrieben. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte unverzüglich eine zielgerichtete Diagnostik einsetzen müssen, wobei jedoch schon Sonographiekontrollen zu früheren Zeitpunkten zu fordern gewesen wären. Dagegen erfolgte die nächste Sonographiekontrolle erst 14 Tage später. Die unterlassene postoperative Diagnostik muß als grober Verstoß gegen die zu fordernde ärztliche Sorgfalt betrachtet und juristisch als schwerer Behandlungsfehler bezeichnet werden.

2.
Auch die Revisionsoperationen am 22. und am 50. Tag nach der laparoskopischen Cholecystektomie müssen als fehlerhaft ausgeführt bewertet werden. Bei der ersten Revisionsoperation hätte die Abklärung der Gallengangsverletzung herbeigeführt werden müssen mit der Folge einer korrekt ausgeführten, wirksamen Gallengangsrekonstruktion. Nachdem bei der 2.Revisionsoperation der langstreckige Gallengangsdefekt festgestellt wurde, wäre eine ausgedehnte Darstellung der Gallengänge im Leberhilus mit Anlage einer exakten schichtenadaptierten biliodigestiven Anastomose erforderlich gewesen. Die tatsächlich durchgeführte Anastomosierung mit dem das Gallenleck begrenzenden Gewebe war keine erfolgversprechende Maßnahme. Die angestrebte Rekonstruktion der Gallengangsverletzung erfolgte weder zeitgerecht noch technisch korrekt. Aus diesem Fehler ergab sich ein erschwerter und verlängerte Krankheitsverlauf mit weiteren Revisionsoperationen. Die Auswirkungen dieser Fehler werden im Gutachten im einzelnen beschrieben.

Im Gegensatz zu den Aussagen der externen Gutachter sehen die chirurgischen Sachverständigen in der Schlichtungsstelle den entscheidenden Fehler jedoch bereits in der technischen Durchführung der laparoskopischen Cholecystektomie selbst. Dies läßt sich aus den Formulierungen im Operationsbericht zweifelsfrei ableiten. In diesem Operationsbericht werden „anatomisch unübersichtliche Verhältnisse“ geschildert. Mit der Präparation des Ductus cysticus wurde begonnen, bevor die anatomischen Strukturen im Calot’schen Dreieck identifiziert worden waren. Beim Versuch, den Ductus cysticus zu isolieren, kam es bereits zu einer Gallengangseröffnung. Der Gallefluß aus der Verletzungsstelle sistierte nach Setzen von 2 Clips. Ohne die Lokalisation der Gallengangsverlet-zung zu klären, wurde die Präparation des vermeintlichen Ductus cysticus fortgesetzt, der Gang wurde geclippt und durchtrennt. Erst nach diesem Operationsschritt erfolgte die „mühevolle Präparation“ der A. cystica. In dieser Operationsphase übernahm der assistierende Oberarzt die Operation, die von einem älteren Ausbildungsassistenten begonnen worden war.

Aus dieser Darstellung des operativen Vorgehens ist nach Ansicht der chirurgischen Sachverständigen der Schlichtungsstelle fehlerhaftes Handeln abzuleiten. Die Darstellung des Ductus cysticus war infolge entzündungsbedingter unübersichtlicher anatomischer Verhältnisse erschwert. Dies fordert aber um so mehr eine gesicherte Darstellung und Isolierung des Ductus cysticus vor seiner Durchtrennung. Spätestens zum Zeitpunkt der Eröffnung eines nicht definierten Gallenganges (der wohl als Ductus cysticus angesehen wurde) hätte die Operation durch einen erfahrenen Chirurgen übernommen werden müssen. Wahrscheinlich wäre die Konversion auf die offene Cholecystektomie erforderlich gewesen, da ja auch im weiteren Operationsverlauf präparatorische Schwierigkeiten bestanden und die Gallengangsverletzung nicht bemerkt wurde.

Die fehlerbedingte Verletzung des Ductus hepato-choledochus hatte erhebliche haftungsrechtliche Konsequenzen, da der gesamte weitere Krankheits- bzw. Behandlungsverlauf durch diesen Fehler bestimmt war. Bei komplikationsfreier laparoskopischer Cholecystektomie hätte der Krankenhausaufenthalt vermutlich 7 Tage gedauert, nach insgesamt 4 Wochen wäre wieder die normale Leistungsfähigkeit bzw. Arbeitsfähigkeit eingetreten. Die gesamte darüber hinausgehende klinische und ambulante Behandlungsdauer war fehlerbedingt einschließlich sämtlicher Revisionsoperationen und sonstiger belastender Maßnahmen wie z.B. wiederholte ERCP. Nach den bisher vorliegenden Befunden ist mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem Dauerschaden an der Leber zu rechnen in Form der chronischen Cholangitis oder möglicherweise auch eines cholangitisbedingten Leberumbaus. Die Beurteilung des Dauerschadens müßte durch eine gastroenterologische Begutachtung erfolgen, die etwa 2 Jahr nach Abschluß der chirurgischen Behandlung durchgeführt werden sollte. In diesem Gutachten wäre im besonderen der durch den möglichen Leberschaden verursachte Grad der Behinderung bzw. die Minderung der Erwerbsfähigkeit einzuschätzen.

Autoren:

HV

Prof. Dr. med. Heinrich Vinz

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover