Fatal Outcome of Hyperthyroid Recurrence by Iodine Contamination during Cardiac Catheterization
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 11/2007
Einleitung
Jodhaltige Röntgenkontrastmittel können auch bei scheinbar normaler Schilddrüsenfunktion schwere Hyperthyreosen induzieren. Die Gefahr ist nach vorausgegangenen Schilddrüsenerkrankungen oder nach erst kurz zurückliegender Schilddrüsentherapie größer als bei Patienten ohne derartige Vorgeschichte und normaler Schilddrüsenfunktion und –morphologie. Durch prophylaktische Gabe von Perchlorat (Irenat®) und Thiamazol (Methizol®) kann die Jodidaufnahme in das Organ bzw. der Einbau des Jodids in die Hormone gehemmt werden, wenn bei Risiko-Patienten eine Röntgen-Kontrastmitteluntersuchung dringend erforderlich ist.
Kasuistik
Bei einem damals 54jährigen Mann wurde 1988 erstmals eine Basedow-Hyperthyreose diagnostiziert. Unter 3monatiger Thiamazoltherapie wurde klinisch und nach den Funktionsparametern eine Remission erreicht. Von Oktober 2001 bis Anfang Februar 2002 mußte ein Rezidiv wieder mit Thiamazol hausärztlich behandelt werden. Anfang Januar 2002 fielen hohe Autoantikörpertiter (TPO/MAK 2030 U/ml; Norm < 60; TRAK 17.9 IU/l, Norm< 10; fT3 13.3.und fT4 38.9 pmol/l, Norm <5.36 bzw. 23.8; ) auf. Am 04.02.02 erfolgte die stationäre Einweisung wegen zunehmender Herzinsuffizienz und einer Hyperthyreosesymptomatik. Eine hochdosierte Thyreostatikatherapie (Thiamazol 3 x 80 mg i.-v.) führte zu rascher Normalisierung der Schilddrüsenwerte (fT3 von 8.15 auf 2.41 und fT4 von 43.18 auf 8.96 pmol/l am 14.2.02 abgefallen), so daß der Patient am 16.02.02 unter weiterer Thyreostatikamedikation entlassen wurde. Bereits nach acht Tagen wurde er wieder aufgenommen unter dem Verdacht auf ein blutendes Magenulkus, das sich jedoch nicht bestätigen ließ. Die Schilddrüsenstoffwechsellage war zu diesem Zeitpunkt gut kompensiert, der leicht subnormale FT4-Wert (5.04 pmol/l) wies auf eine gewisse Überdosierung hin.
Am 26.02.2002 erfolgte zur Klärung der vermuteten primären Kardiomyopathie eine Herzkatheteruntersuchung (Laevokardiographie in 2 Ebenen, selektive Koronarographie). Art und Menge des Kontrastmittels sind in der Krankenakte, die der Schlichtungsstelle vorlag, nicht notiert. Die Untersuchung bestätigte die Herzinsuffizienz mit pulmonaler Hypertonie bei weitgehend normalem Koronarbefund. Wegen des erniedrigten fT4-Wertes wurde das Thyreostatikum abgesetzt und der Patient am 28.02.2002 entlassen. Am 07.03.2002 wurde er zur Schrittmacher-/Defibrillator-Implantation (kardiale Resynchronisationstherapie bei hochgradiger Einschränkung der linksventrikulären Funktion und Linksschenkelblock mit QRS = 190 msec) wieder aufgenommen und 6 Tage nach komplikationsloser Implantation entlassen. Eine Woche später mußte er wegen zunehmender Dyspnoe und Tachykardie notfallmäßig eingewiesen werden mit einer klinisch und labormedizinisch schweren Hyperthyreose. Mit 80 mg Thiamazol und 4 x 20 Tropfen Natriumperchlorat (Irenat®) wurde die Schilddrüsentherapie wieder aufgenommen. Nach klinischer Besserung klagte der Patient ab 23.032002 über Schweißneigung und Erbrechen, so daß Thiamazol auf 160 mg/die erhöht wurde. Am 25.03.2002 Temperaturanstieg, zunehmende Verwirrtheit und metabolische Azidose; der Patient mußte beatmet werden. Blutkulturen wiesen Staphylokokkus aureus nach. Trotz maximaler Therapie einschließlich Plasmapherese verstarb der Patient am 28.03.2002 an der schweren Herzinsuffizienz bei manifester Hyperthyreose.
Seitens der Witwe des Verstorbenen wird der Vorwurf gegen das Krankenhaus erhoben, die Schilddrüsenmedikation (Thiamazol®) unterbrochen und mit der Kontrastmittelgabe bei der Herzkatheteruntersuchung die schwere Schilddrüsenfunktionsstörung verursacht zu haben.
Eine Stellungnahme der in Anspruch genommenen Ärzte lag nicht vor.
Aus dem endokrinologischen Gutachten
Im Rahmen eines schweren Basedow-rezidivs sei eine schwere Herzinsuffizienz aufgetreten, die nach kurzzeitiger Thyreostatika-Gabe über 3 Monate mit Kompensation der Schilddrüsenfunktion zu einer Herzkatheter-Untersuchung veranlaßt habe. Unter 3 x 80 mg Thiamazol seien die Hormonwerte in den hypothyreoten Bereich abgefallen. Das habe zur Beendigung der Thiamazolgabe veranlaßt. Etwa drei Wochen nach einer ohne Irenat®- und Thiamazolgabe vorgenommenen Herzkatheter-Untersuchung sei es zu einer fulminanten Hyperthyreose gekommen, der der Patient trotz intensiver Therapie erlag. An der Kausalität zwischen dem Absetzen der Thyreostatika bei Jodkontamination, dem Auftreten des schweren Rezidivs der Hyperthyreose und dem darauf folgenden tragischen Tod dieses Patienten würde kein Zweifel bestehen. Man müsse den Behandlungsverlauf dieses Patienten als eine Folge medizinischer Fehlleistungen betrachten.
Die Schlichtungsstelle schloß sich den gutachterlichen Erwägungen an und gelangte abschließend zu folgenden Feststellungen:
Die Therapie des Basedow-Rezidivs von Oktober 2001 bis Januar 2002 war nur kurzdauernd. Die insgesamt 5 Kontrollen der Schilddrüsenhormone im Januar, Februar sowie Anfang März 2002 wurden falsch eingeschätzt. Die Gefahr vorübergehender Suppression der Hormonsekretion durch die hohe Jodkontamination mit dem Röntgenkontrastmittel fand keine adäquate Berücksichtigung, so daß die engmaschige Überprüfung der Laborwerte und der fortgesetzten thyreostatischen Medikation unterlassen wurde. Das fatale Ende der nicht mehr beherrschbaren thyreotoxischen Krise ist kausal auf die Kontrastmittelapplikation bei unzureichender Schilddrüsen-Behandlung zurückzuführen.
Obgleich äußerst selten in dieser schweren Form der letalen thyreotoxischen Krise, muß dennoch mit vorübergehenden Schilddrüsen-Überfunktionen nach Gabe größerer Kontrastmittelmengen bei Ventrikulo- und Koronarangiographien gerechnet werden. Dies gilt vor allem für Patienten mit vorausgegangenen Schilddrüsenerkrankungen, besonders bei Strumen mit latenter Hyperthyreose. Die vorübergehende Suppression der Hormonfreisetzung durch die hohe Jodanflutung darf nicht als „Kompensation“ oder „Normalisierung“ der Funktion gewertet werden. Mit der Elimination des Kontrastmittel-Jods kommt es innerhalb weniger Tage bis zu drei Wochen nach der Applikation zur gesteigerten Synthese und Sekretion, evtl. bis zur schweren Hyperthyreose. Engmaschige Hormonkontrollen und eine angepaßte Medikation sind dringend anzuraten.
Womöglich ist bei vorausgehender Schilddrüsen-Therapie eine (mindestens) 4wöchige Euthyreose abzuwarten, bevor – unter Gabe von Perchlorat (Irenat®) – eine unumgängliche Katheter-Untersuchung durchgeführt wird. Diese ist auf sparsamste Kontrastmittelgabe (Koronarangiographie) mit Verzicht auf die Ventrikulographie zu begrenzen.
Eine außergerichtliche Regulierung der Schadenersatzansprüche wurde empfohlen.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Klaus Gahl
Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover