Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Low-grade-Infektion bei Kniegelenksersatz

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 10/2009

Einleitung
Eine nicht seltene Komplikation des Kniegelenkersatzes ist die Infektion. Die frühzeitig auftretende Infektion ist durch eine Erhöhung der Entzündungsparameter und des lokalen Befundes eher leicht zu erkennen und die Prinzipien notwendiger Revisionen werden in der Regel umgehend durchgeführt.

Schwieriger sind die tiefen Infektionen ohne eindeutige Entzündungszeichen zu erkennen, auch Low-grade-Infektionen genannt. Sie gehen in der Regel mit rezidivierenden Ergüssen einher, wobei nur in 60 Prozent der Fälle ein positives bakteriologisches Ergebnis zu erhalten ist. Instabilität und Frühlockerung des Gelenkes sind nicht selten Zeichen dieser postoperativen Komplikation. Auch frühzeitige Osteolysen im Bereich der Implantatkomponenten weisen auf eine subklinische Infektion hin.

Kasuistik

Ein 60-jähriger Patient erhielt einen Kniegelenksoberflächenersatz  in einem Kreiskrankenhaus. Der stationäre Aufenthalt dauerte 14 Tage und die Anschlussheilbehandlung in einer Reha-Klinik weitere drei Wochen. Schon in der Reha-Klinik wurden wegen rezidivierender Ergüsse Punktionen durchgeführt. Es erfolgte auch eine Punktion in der Notaufnahme eines berufsgenossenschaftlichen Krankenhauses acht Wochen nach der Operation. Es wurden 100 ml blutig serösen Punktats entnommen. Die bakterielle Untersuchung ergab keinen Keimnachweis. Danach bestanden Belastungs- und Bewegungsschmerzen beziehungsweise eine deutliche Bewegungseinschränkung des Gelenks. Weitere Punktionen waren wegen rezidivierender Ergüsse erforderlich, davon zwei in einem berufsgenossenschaftlichen Krankenhaus. Es wurde eine Radiosynoviorthese wegen der Ergüsse durchgeführt.

Ein Dreivierteljahr nach der Operation waren erstmals vergrünende Streptokokken im Punktat nachweisbar. Es erfolgte daraufhin die Revisionsoperation in einer Orthopädischen Universitätsklinik. Hier wurde eine Synovektomie mit Inlaywechsel durchgeführt. Die Komponenten schienen intraoperativ fest. Die Entzündungszeichen waren postoperativ rückläufig.

Im Laufe der Nachbehandlung stellten sich sechs Wochen später wieder vermehrte Ergüsse ein. Zu den Belastungsbeschwerden kam noch ein entsprechendes Instabilitätsgefühl. Es wurden dann eine Lockerung des Kniegelenkes, sowie eine allergische Reaktion und eine leichte Fehlstellung der Oberschenkelkomponente diskutiert. Dies führte zum stationären Aufenthalt in einer anderen Orthopädischen Universitätsklinik. Hier wurde die Indikation aufgrund der Instabilität zu einer Revision mit Entfernung der Komponenten gestellt. Aufgrund der vorgelegenen Bandinstabilität wurde ein achsgeführtes Kunstgelenk einzementiert. Es erfolgte daraufhin wieder eine Anschlussheilbehandlung für sechs Wochen. Die Problematik der Ergüsse nahm nicht ab, ohne dass ein Keim nachgewiesen wurde. Da sich die Situation nicht wesentlich besserte, ist ein halbes Jahr später eine erneute Revision durchgeführt worden. Es erfolgte bei periprothetischer Infektion ein einseitiger Wechsel. Nach dieser Operation haben sich die Beschwerden des Patienten auch nicht wesentlich gebessert.

Der Verfahrensbevollmächtigte des Patienten wirft den Ärzten des primär behandelnden Kreiskrankenhauses vor, dass die Knieendoprothese nicht fachgerecht implantiert worden sei. Es wären Instabilität und Fehlstellung zurückgeblieben. Eine perioperative Antibiotikatherapie sei nicht durchgeführt worden. Dies sei als Ursache der rezidivierenden Ergüsse und der Instabilität mit der Notwendigkeit weiterer Operationen anzusehen.

Gegenüber den Ärzten des Berufsgenossenschaftlichen Krankenhauses wird der Vorwurf erhoben, dass sie aufgrund mangelnder hygienischer Maßnahmen bei der Punktion des Kniegelenks eine Infektion mit entsprechenden Folgen provoziert hätten.

Den Ärzten der ersten Orthopädischen Universitätsklinik wird vorgeworfen, dass sie den Kniegelenksinfekt nicht adäquat antibiotisch behandelt hätten, bevor sie sich zur Revision entschlossen. Damit sei das Risiko einer Exazerbation des Infekts in Kauf genommen worden.

Den Ärzten der letztbehandelnden Orthopädischen Universitätsklinik wird vorgeworfen, dass sie unsachgemäß die Revision durchgeführt hätten, indem sie eine zementfreie Knieprothese einsetzten.

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter sieht anlässlich der Operation im Kreiskrankenhaus keine Behandlungsfehler. Die leichte Fehlrotation der Femurkomponenten sei als eine mögliche Variable der Operation anzusehen. Er nimmt allerdings weder zu der später aufgetretenen Instabilität noch zur nicht erfolgten Antibiotikaprophylaxe Stellung.

Die Behandlung im Berufsgenossenschaftlichen Krankenhaus hält er von den hygienischen Maßnahmen für korrekt. Auch sei der Infekt nicht auf die Punktionen zurückzuführen, da bei weiteren Punktionen in der Klinik kein Keim nachgewiesen wurde. Dies allein spreche gegen die Annahme, dass hier durch mangelnde Hygiene ein Infekt induziert worden wäre.

Bei der Behandlung in der ersten Orthopädischen Universitätsklinik sieht er ein korrektes Vorgehen, da die systemische Antibiose allein die Keime im Bereich des Gelenks nicht erreichen könne und somit per se keine ausreichende Behandlung darstelle. Bei nachgewiesener Keimbesiedlung sei auf jeden Fall auch eine Gelenkrevision notwendig. Auch hier nimmt der Gutachter keine Stellung zu den bildgebend signalisierten Lockerungszeichen sowie der vorliegenden Bandinstabilität des Gelenkes.

Die Behandlung in der zweiten Universitätsklinik wird vom Gutachter ebenfalls als adäquat angesehen. Es läge in den Händen des Operateurs, ob er ein zementfreies oder ein zur Zementierung vorgesehenes Implantat einbringt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Fixation eines zementfreien Implantates mit Zement eine höhere Langzeitstabilität gewährleiste als ein so genanntes zementfreies Implantat.

In kritischer Auseinandersetzung mit dem Gutachten gelangte die Schlichtungsstelle unter Würdigung der medizinischen Dokumentation nach eigener Urteilsbildung zu folgender Bewertung des Sachverhalts:

Zur primären Behandlung im Kreiskrankenhaus ist zwar die Implantation der Komponenten des Kniegelenkes als adäquat anzusehen, doch muss als Mangel festgestellt werden, dass bei dem Patienten aufgrund eines vorliegenden chronischen Harnwegsinfekts eine Antibiotikaprophylaxe, nicht nur perioperativ, sicherlich indiziert war. Aber auch eine Antibiotikaprophylaxe kann letztendlich die Komplikation eines chronischen Infektes nicht verhindern. Die Ursachen solch einer chronischen Infektion, wie sie auch als Low-grade-Infektion bei dem Patienten vorgelegen hat, können primär durch die Erstbehandlung induziert worden sein. Weil aber viele Faktoren ebenfalls ursächlich eine Rolle spielen, ist nicht nachzuweisen, dass die unterlassene Antibiotikaprophylaxe für den Schaden verantwortlich gemacht werden kann.

In der Behandlung der Berufsgenossenschaftlichen Klinik konnte ein Infekt nicht ursächlich auf die Punktion des Gelenkes zurückgeführt werden. Die nachfolgenden Punktionen ergaben keinen Keimhinweis.

Bei der Behandlung in der ersten Orthopädischen Universitätsklinik musste insofern kritisch hinterfragt werden, ob der Revisionseingriff wirklich ausreichend war. Präoperativ lagen Röntgenbilder vor, die deutliche Lyse-Zeichen an den Tibiakomponenten zeigten und auf eine Lockerung hinwiesen, beziehungweise eine Knochen- und Komponentenbeteiligung vermuten ließen. Es ist jedoch der Klinik nicht vorzuwerfen, dass sie sich auf den kleinstmöglichen Eingriff beschränkt hat, wenn auch hierdurch eine Sanierung des Infektes nicht zu erwarten war. Es ist auch hier nicht zu beweisen, dass der Mangel den Schadensverlauf ursächlich beeinflusst hat.

Die Behandlung in der zweiten Orthopädischen Universitätsklinik ist im Hinblick auf die Indikationsstellung nicht zu bemängeln. Es unterscheiden sich die Ergebnisse nicht, ob man ein zementfreies oder ein so genanntes einzuzementierendes Implantat benutzt. Entscheidend ist hier die Kopplung der Komponenten und die adäquate Vorbereitung der Implantation. Beim Vorgehen in dieser Klinik müssen jedoch zwei Dinge bemängelt werden: Zum ersten ist während des Eingriffs versäumt worden, einen Abstrich und – was für die Differenzierung der vorliegenden Keime noch wesentlicher ist – Granulationsgewebe zur Untersuchung einzuschicken. Es ist bekannt, dass unter Antibiotikatherapie ein Keimwechsel eintreten kann.

Als zweites Defizit ist anzusehen, dass man zur Einzementierung der Komponenten einen Knochenzement benutzt hat, der ein lokales Antibiotikum enthielt, das aber im Falle des Patienten als nicht sensibel charakterisiert worden ist. Bei derartigen Revisionsoperationen ist es Standard, nicht nur die Keime zu identifizieren, die zu dieser Infektion geführt haben. Vielmehr ist erforderlich, dass man den Infekt sowohl systemisch – wie in diesem Fall geschehen – als auch lokal durch genügend hohe Antibiotikaspiegel bekämpft. Hierzu muss der Zement ein Antibiotikum enthalten, das gegenüber den nachgewiesenen Keimen sensibel ist. Auch wenn hier ein Sorgfaltsmangel vorliegt, kann nicht der Beweis geführt werden, dass der Schaden und die weiteren Operationen ursächlich darauf zurückführen sind.

Da keiner der genannten Fehler der vier in Anspruch genommenen Kliniken eine haftungsausfüllende Kausalität mit der erforderlichen Sicherheit begründet, konnte die Schlichtungsstelle keine Empfehlung zur außergerichtlichen Regulierung von Schadenersatzansprüchen geben.

Autoren:

KW

Dr. med. Kord Westermann

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover