Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 07/2003
Der Hausarzt sieht sich – auch außerhalb notärztlicher Einsätze – relativ häufig mit Thoraxschmerzen von Patienten konfrontiert. Nach epidemiologischen Daten sind zwar nur rund zehn Prozent aller Thoraxschmerz-Ereignisse durch potentiell lebensbedrohliche Zustände, wie Herzinfarkt oder Lungenembolie bedingt, andererseits muß der Hausarzt beim Thoraxschmerz stets die Möglichkeit eines abwendbar gefährlichen Verlaufes beachten. Dazu gehört neben der sachgerechten Veranlassung entsprechender diagnostischer Maßnahmen, wie dem Einsatz eines EKG, auch hinreichende Sicherheit in der Interpretation entsprechender Befunde. Dies bezieht sich nicht nur auf die Einordnung des erhobenen Befundes, sondern auch die Aussagewahrscheinlichkeit eines Verfahrens (Spezifität und Sensitivität) im Hinblick auf die gesuchte beziehungsweise auszuschließende Diagnose. Auch hierbei spielt die unmißverständliche Beratung des Patienten im Hinblick auf eine notwendige Wiedervorstellung beim Arzt bei bestimmten Symptomen und die Dokumentation dieser Beratung in der Karteikarte eine wichtige Rolle.
Kasuistik
Ein 45jähriger Patient stellte sich am 5. August 2000 bei einem Arzt für Allgemeinmedizin vor, der zu diesem Zeitpunkt notärztlich tätig war. Er habe Schmerzen im Brustbereich, die sich auf den gesamten Oberkörper und in beide Arme sowie den Kopf ausgedehnt hätten, geschildert. Daraufhin sei ein EKG angefertigt worden, das ihm wegen einer möglichen Weiterbehandlung mitgegeben worden sei. Am 7. August 2000 habe er den Arzt erneut aufgesucht, wo erneut ein EKG und weitere Untersuchungen durchgeführt wurden. Nachdem entsprechende Ergebnisse vorlagen, habe der Arzt ihn wenige Stunden später ins Krankenhaus eingewiesen, in das er im privaten Pkw gefahren sei.
Dem Arzt wird der Vorwurf gemacht, einen Herzinfarkt nicht erkannt und dessen Behandlung somit verzögert zu haben.
In der Stellungnahme zu den Vorwürfen führt der behandelnde Arztaus, der Patient habe Schmerzen im Brust- und Rückenbereich geschildert, die in den rechten Arm ausstrahlten. Übelkeit und Schweissausbrüche hätten nicht vorgelegen. Die klinische Untersuchung einschließlich eines EKG seien unauffällig gewesen. Nachdem bei einer wiederholten Vorstellung am 7. August 2000 und einem erneut angefertigten EKG erstmals Auffälligkeiten auftraten, seien weitere Untersuchungen veranlaßt und schließlich die Einweisung in die Klinik erfolgt.
Der Gutachter kommt in seiner Expertise zu dem Schluß, daß bereits am 5. August 2000 eine Klinikeinweisung hätte veranlaßt werden müssen, und in der nicht erfolgten Einweisung ein vermeidbarer Fehler zu sehen sei.
Wie im Gutachten im einzelnen ausgeführt, liefert bereits das EKG vom 5. August 2000 Hinweise auf ein Infarktgeschehen. Im Zusammenhang mit den geschilderten Beschwerden wäre eine Krankenhauseinweisung bereits zu diesem Zeitpunkt zwingend erforderlich gewesen. Hierfür hätte die für diesen Fall vorgeschriebene Form des Krankentransportes gewählt werden müssen. Insofern erkennt der Gutachter auch in dem am 7. August 2000 im privaten Pkw erfolgten Transport in die Klinik einen Fehler.
Aufgrund der kardiologischen Befunde ging der Gutachter davon aus, daß dem Patienten aus dem ärztlichen Fehler kein dauernder Gesundheitsschaden erwachsen ist.
Auch die Schlichtungsstelle ging davon aus, daß vermeidbare Fehler vorlagen. Sie beziehen sich auf die fehlerhafte Interpretation des ersten EKG, die unterlassene Klinikeinweisung am 5. August sowie die unzureichenden Transportbedingungen bei der am 7. August erfolgten Einweisung.
Aufgrund der kardiologisch-klinischen Befundlage ging auch die Schlichtungsstelle davon aus, daß sich der Gesundheitsschaden des Patienten auf zwei Tage andauernde Beschwerden im Sinne von vermeidbaren Schmerzen im Thorax-Bereich beschränkt hatte. Insoweit hielt die Schlichtungsstelle die geltend gemachten Ansprüche für begründet.
Bewertung
Symptome, die auf ein Infarktereignis hindeuten können, erfordern eine höchst umsichtige Disposition des erstbehandelnden Arztes. Die sofortige Klinikeinweisung ist dabei „state of the art“.