Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Mangelhafte Befunderhebung bei stationärer Einweisung wegen Kopfschmerzen unklarer Genese (Subarachnoidalblutung)

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 01/2010

Einleitung
Stationäre Einweisungen wegen anhaltender Kopfschmerzen gehören zum Alltag neurologischer Notaufnahmen. Nicht selten stellt sich in der Folge als Ursache eine schwerwiegende neurologische Erkrankung, zum Beispiel eine Subarachnoidalblutung bei Hypertonie heraus.

Kasuistik

Eine 45-jährige Patientin erkrankte am späten Nachmittag des 18. Januar 2007 bei der Arbeit mit Kopfschmerzen, Drehschwindel und Schwarzwerden vor den Augen bei bekanntem Hypertonus. Im Notdienstprotokoll ist vermerkt, dass dieser Schwindel plötzlich und bei stechendem Schmerz im Nacken auftrat. Im Aufnahmebefund des Klinikums wurde unter „aktueller Anamnese“ vermerkt: „Heute bei der Arbeit plötzlich starke Kopfschmerzen mit Übelkeit und Ohrensausen“. Dem Aufnahmebogen war zu entnehmen, dass ein erhöhter Blutdruck mit 244/120 mm/Hg bei einer Herzfrequenz von 100/min bestand und der übrige körperliche Untersuchungsbefund – abgesehen von einer Adipositas permagna – keinen pathologischen Befund ergeben habe. Es wurde eine entsprechende blutdrucksenkende Therapie eingeleitet. Bei einer Kontrolle durch den diensthabenden Arzt war der Blutdruck um 24 Uhr mit 207/112 mm/Hg noch erhöht. Es wurden weiterhin Kopfschmerzen und Übelkeit notiert, neurologische Ausfälle bestanden jedoch nicht. Am 19. Januar 2007 morgens erfolgte eine Visite, bei der festgelegt wurde, dass eine Einstellung des Blutdrucks erfolgen solle und dann die Entlassung. Im Pflegebericht war dazu um 9 Uhr vermerkt, dass es der Patientin etwas besser gehe, sie müde sei und der Blutdruck jetzt niedriger (letzter Messwert um 7 Uhr 120/60 mm/Hg) sei.

Bei weiterhin bestehenden starken Beschwerden erfolgte dann am 20. Januar 2007 durch den Notarzt unter der Diagnose „hypertensive Krise, Schwindel, Ohrgeräusch, Nackenschmerzen, Gastroenteritis“ wiederum bei stark erhöhten Blutdruckwerten von 240/140 die stationäre Einweisung in eine andere Klinik. Im weiteren Verlauf wurde nach Auftreten einer spasmusbedingten Hemiparese die Diagnose einer Subarachnoidalblutung (SAB) gestellt.

Aufgrund vieler in der Folge aufgetretener Komplikationen kam es schließlich zu multiplen körperlichen und geistigen Behinderungen, so dass sich die Patientin jetzt in einem vollständig pflegebedürftigen Zustand befindet und die Errichtung einer Betreuung erfolgen musste. Laut Entlassungsbericht vom 28. August 2007 aus der Rehaklinik wäre eine deutliche Besserung dieses Zustandes nicht mehr zu erwarten. Die Ernährung erfolge über eine permanente in den Magen geführte Sonde (PEG), die Urinableitung über einen Dauerkatheter. Das Sprechen sei nur in einzelnen Worten möglich, die Patientin wäre schläfrig, es bestehe nur kurzfristige Anteilnahme. Orientierung und Aufmerksamkeitsspanne sowie Koordination und Sensibilität seien laut Untersucher nicht sinnvoll prüfbar.

Von Seiten des gerichtlich bestellten Betreuers wird vermutet, dass die Behandlung in der erstbehandelnden Klinik für Innere Medizin insuffizient gewesen wäre, da neurologische Untersuchungen weder zum Zeitpunkt des Eintreffens der Patientin noch vor der Entlassung durchgeführt worden seien. Darin wäre ein Versäumnis zu sehen, das für die schließlich eingetretene Entwicklung maßgeblich mitursächlich gewesen sei.

Die Klinik macht geltend, dass eine orientierende neurologische Untersuchung betreffend Bewusstseinsstatus, Auffälligkeiten in Sensibilität und Motorik selbstverständlich zu jeder Aufnahmeuntersuchung gehöre und im Aufnahmebogen bei pathologischen Veränderungen unter „weitere Befunde“ aufgelistet würde. Gegen 24 Uhr existiere eine Verlaufsnotiz des diensthabenden Arztes, in der die zu diesem Zeitpunkt noch erhöhten Blutdruckwerte bei weiter bestehender Beschwerdesymptomatik beschrieben worden seien. Neurologische Ausfälle wären verneint worden. Laut Pflegebericht sei es der Patientin unter der dann suffizienten Blutdrucksenkung deutlich besser gegangen. Es habe am Morgen des 19. Januar um 7.30 Uhr eine Chef- und Oberarztvisite gegeben, bei der aufgrund des zu diesem Zeitpunkt deutlich gebesserten Befindens der Patientin die Entlassung beschlossen worden sei. Das bis dahin abgelaufene Krankengeschehen habe sich sehr gut mit einer hypertensiven Entgleisung vereinbaren lassen. Eine neurologische Untersuchung habe bei der Patientin im stationären Verlauf zweimal stattgefunden und sei zumindest einmal explizit dokumentiert.

Internistisches Gutachten

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte internistische Gutachter führt zum Sachverhalt an, dass bei der Aufnahme zwar der körperliche Untersuchungsbefund als unauffällig dokumentiert, eine neurologische Untersuchung jedoch nicht protokolliert sei. Bei der ärztlichen Visite gegen 24 Uhr wäre festgestellt worden, dass keine neurologischen Ausfälle bestünden. Wie differenziert die Patientin hier neurologisch untersucht worden sei, zum Beispiel Prüfung auf Meningismus beziehungsweise der Pupillenreaktion und anderes, gehe aus den Aufzeichnungen nicht hervor. Auch wäre ein ärztlicher Befund bei der Entlassung nicht dokumentiert. Erst nach Einweisung in eine andere Klinik sei schließlich am 24. Januar 2007 die Diagnose einer SAB gestellt worden. Bei der patientenseits beanstandeten Behandlung sei damals gegen seinerzeit geltende Standards verstoßen, also fehlerhaft gehandelt worden. So hätte die bestehende Symptomatik bei Aufnahme die Differentialdiagnose einer SAB nahe liegen müssen. Eine solche Blutung habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei Aufnahme in der Klinik vorgelegen, da die dokumentierte Symptomkonstellation mit plötzlich aufgetretenem starken Kopfschmerz, Übelkeit und Erbrechen und Nackenkopfschmerz typisch für eine SAB sei. Auch spreche der zeitliche Ablauf dafür, dass schon am Abend des 18. Januar 2007 eine SAB vorgelegen habe. Die Diagnose einer SAB sei erst etwa sechs Tage später anderenorts gestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt wäre es zu Gefäßverengungen gekommen mit entsprechender Schlaganfallsymptomatik (Halbseitenlähmung). Diese gefährlichen Gefäßverengungen würden üblicherweise zwischen dem dritten und zehnten Tag nach manifestierter SAB als typische Komplikation mit einer Häufung am siebten Tag nach der Blutung auftreten. Es hätten angesichts der Symptomkonstellation entsprechende weiterführende diagnostische Maßnahmen, insbesondere eine Computertomographie des Kopfes und gegebenenfalls auch eine Nervenwasseruntersuchung durchgeführt werden müssen. Durch eine Computertomographie und gegebenenfalls auch Lumbalpunktion hätte mit sehr großer Wahrscheinlichkeit (etwa 90 Prozent) die Diagnose einer SAB gestellt werden können. Nach erfolgreicher Diagnose wäre eine andere Behandlung angezeigt gewesen. Weiterhin hätte standardgemäß die Überwachung auf einer Intensivstation erfolgen müssen. Damit hätten Komplikationen wie Hirndruck oder Vasospasmus besser erkannt werden können. Dies hätte dann sehr wahrscheinlich zu einer deutlich besseren Prognose geführt.

Die Schlichtungsstelle folgte der Bewertung des Gutachters und sah ebenfalls Mängel in der Befunderhebung. Es stellte sich daher die Frage, inwieweit Veränderungen in der Beweislastverteilung zwischen den Parteien daraus resultieren. Eine fehlerhafte Unterlassung der medizinisch gebotenen Befunderhebung führt dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden (hier schwere Schädigung der Hirnfunktionen der Patientin mit der Folge einer vollständigen Pflegeabhängigkeit und Notwendigkeit der Errichtung einer Betreuung), wenn sich bei der gebotenen Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und wenn sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde (vgl. BGH NJW 2004, 1871 ff).

Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Es war fehlerhaft, dass bei der Patientin nach Aufnahme in der Medizinischen Klinik trotz der eindeutigen anamnestischen Hinweise auf das mögliche Vorliegen einer SAB keine entsprechende weitere differentialdiagnostische Abklärung, insbesondere die Durchführung einer Computertomographie, erfolgte. Von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit kann dann gesprochen werden, wenn die Wahrscheinlichkeit eines reaktionspflichtigen positiven Ergebnisses höher als mit 50 Prozent anzusetzen ist. (vgl. OLG Dresden VersR 2004,648). Hier konnte aufgrund des weiteren Verlaufes davon ausgegangen werden, dass eine SAB vorlag und auch erkannt worden wäre. Bei rechtzeitigem Nachweis der Diagnose wäre das Unterlassen einer neurochirurgischen Diagnostik und Therapie ein schwerer Fehler gewesen.

Für den Beweis des Kausalzusammenhanges reicht es in dieser Situation schon aus, dass der Fehler auch nur geeignet sein muss, die Schädigung herbeizuführen, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit oder gar Gewissheit ist nicht erforderlich. Auch diese Voraussetzungen sind hier erfüllt:
Eine neurochirurgische Intervention hätte vor Einsetzen der Vasospasmen, die für den weiteren klinischen Verlauf verantwortlich waren, zu einer Vermeidung weiterer Blutungen beziehungsweise spasmusinduzierter Ischämien und damit einer Verbesserung des klinischen Verlaufs führen können.

Aufgrund der Beweislastumkehr zugunsten der Patientin ist deshalb davon auszugehen, dass der Mediainfarkt hätte vermieden werden können.Die Sekundärschäden in Form der jetzt bestehenden Pflegebedürftigkeit und Betreuungsnotwendigkeit sind typische Folgen des Primärschadens (Mediainfarkt) und deshalb ebenfalls als fehlerbedingt zu bewerten.

Die Schlichtungsstelle hielt Schadensersatzansprüche für begründet und empfahl, die Frage einer außergerichtlichen Regulierung zu prüfen.

Autoren:

GH

Prof. Dr. med. Günter Haferkamp

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover