Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Mangelhafte Befunderhebung bei stationärer Einweisung wegen Kopfschmerzen unklarer Genese (Sinusthrombose)

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 08/2009

Einleitung
Stationäre Einweisungen wegen anhaltender Kopfschmerzen gehören zum Alltag neurologischer Notaufnahmen. Nicht selten stellt sich in der Folge als Ursache eine schwerwiegende neurologische Erkrankung, zum Beispiel eine Sinusthrombose, heraus.

Kasuistik

Die 42-jährige Patientin wurde am Sonntag, dem 3.Februar 2002, 15.22 Uhr, als Notfall mit den Angaben „Kopfschmerzen, Erbrechen seit vier Tagen trotz Therapie“ vom Hausarzt zur stationären Behandlung in eine neurologische Klinik eingewiesen. In der Ambulanzkarte dieser Klinik ist handschriftlich festgehalten, dass seit fünf Tagen Arbeitsunfähigkeit wegen eines fieberhaften Harnwegsinfektes bestehe und eine Antibiose laufe. Weiter ist vermerkt: „Bekannte Migränepatientin, deswegen in neurologischer Behandlung, bifrontal, heute morgen einmal erbrochen, etwas Phono- und Photophobie seit drei Tagen, fast dauerhaft“.

Aufgrund der Anamnese und eines unauffälligen neurologischen Befundes (ohne Dokumentation einer Untersuchung des Augenhintergrundes) wurde eine Migräne angenommen und die Patientin nach Gabe je einer Ampulle Aspisol u. MCP i.v. und einer Bedarfsmedikation von 2×5 mg Diazepam zur Nacht gegen 16.15 Uhr nach Hause entlassen.

Tod nach langem Wachkoma

Am Morgen es folgenden Tages, also am 4. Februar, wurde die Patientin mit einem Status epilepticus notfallmäßig eingewiesen und dieser auf der Intensivstation mittels einer Thiopental-Narkose unterbrochen. Die weitere Diagnostik ergab im MRT eine Thrombose des Sinus sagittalis superior, Sinus rectus und der Venae cerebri internae. Eine Vollheparinisierung führte in der Folge zur weitgehenden Wiedereröffnung der thrombosierten Sinus, wie eine MRT-Kontrolle am 8. Februar zeigte. Trotzdem bestanden weiterhin therapieresistente epileptische Anfälle und Myoklonien, es kam zu typischen Komplikationen eines intensivmedizinischen Langzeitverlaufs mit Sepsis, pulmonalen Infektionen, einem Ileus, der mit einer Coecumfistel am 14. Februar versorgt werden musste, und einem Pneumothorax nach rechtsseitiger Punktion der Vena subclavia am 5. April. Die Prognose und der ungünstige Verlauf wurden jedoch letztendlich durch einen schweren hypoxischen Hirnschaden im Rahmen des Status epilepticus als Folge der Sinusvenenthrombose bestimmt. Nach einer langen Phase des Wachkomas verstarb die Patientin am 17. Oktober 2003.

Die Angehörigen warfen der in Anspruch genommenen neurologischen Klinik vor, sie hätte bei der ambulanten Untersuchung am 3. Februar 2002 differentialdiagnostische Untersuchungen unterlassen. Bemängelt wurde auch, die Behandlung sei lediglich durch eine Ausbildungsassistentin erfolgt. Es wäre zudem zweifelhaft, ob diese Ärztin über die notwendigen Kenntnisse in einer Notfallsituation verfügt habe.

Die Klinikärzte machten geltend, dass bei Tätigkeit einer Assistenzärztin in der Notaufnahme immer ein Facharzt im Hintergrund in Bereitschaft stehe. Wegen des Vorwurfs unzureichender Diagnostik verwiesen sie darauf, dass die Assistenzärztin mit dem behandelnden Neurologen telefonisch Rücksprache genommen habe, wobei ihr bestätigt worden sei, dass die bei Einlieferung beobachtete Symptomatik komplett den anamnestisch bekannten Kopfschmerzen entspreche. Insbesondere wäre es auch teilweise zu Auren gekommen. Insofern habe es keinen Zweifel gegeben, dass auch die aktuelle Kopfschmerzattacke auf eine Migräne schließen ließ. Mit der entsprechenden Therapie(-empfehlung) sei die Patientin dann entlassen worden.

Aus dem neurologischen Gutachten

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte neurologische Gutachter führte aus, dass im vorliegenden Fall zwei Umstände hätten dazu führen müssen, sich mit einer symptomatischen Therapie nicht zufrieden zu geben:

  • das Fieber, wenn vielleicht auch durch einen Harnwegsinfekt erklärt,
  • die seit vier Tagen bestehenden Kopfschmerzen von einer Heftigkeit, die den Hausarzt zur stationären Einweisung veranlasst habe. Kopfschmerzen in Verbindung mit Fieber sollten immer, auch wenn keine Nackensteife vorliege, an eine entzündliche Genese denken lassen und entweder Klärung durch eine Liquoruntersuchung oder 24-stündige Beobachtung auslösen.

Vier Tage anhaltende bifrontale Kopfschmerzen seien nicht migränetypisch und bedürften daher differenzialdiagnostischer Klärung. Entweder liege ein Status migraenosus, also eine chronifizierte Migräneattacke, vor, die stationärer Therapie bedürfe, oder es handele sich nicht um Migränekopfschmerzen. Eine Computertomographie hätte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Dichteanhebung des Sinus rectus als Hinweis auf eine Sinusthrombose zeigen können. Zumindest sei ein solcher „hyperdenser Sinus rectus“ im CCT vom 4. Februar 2002, also einen Tag später, zu sehen.

Insgesamt wäre das Unterlassen weiterer diagnostischer Maßnahmen (Liquoruntersuchung und CCT) als fehlerhaft zu bewerten. Da ein CCT gegebenenfalls bereits am 3. Februar 2002 eine Diagnose ermöglicht hätte, wäre eine frühere Therapie möglich gewesen.

Bezüglich der in der Notaufnahme tätigen Assistenzärztin machte der Gutachter deutlich, dass auch von einem in Weiterbildung befindlichen Assistenzarzt der Neurologie zu erwarten sei, dass die Kopfschmerzstärke dokumentiert werde und eine Untersuchung des Augenhintergrundes erfolge. Hier wäre im konkreten Fall zu erwarten gewesen, dass im Gegensatz zum Befund bei Status migraenosus (Normalbefund) eine Stauungspupille nachweisbar gewesen wäre. Es könne davon ausgegangen werden, dass dies zum Standard einer neurologischen Untersuchung gehöre. Zum Hinweis der neurologischen Klinik, dass ein Kontakt mit dem behandelnden niedergelassenen Neurologen ergeben habe, dass die Symptomatik identisch mit der zur Aufnahme führenden gewesen sei, stellte der Gutachter fest, das eine diesbezügliche Gesprächsnotiz das Datum vom 4. Februar 2002 trage.

Außergewöhnlich am vorliegenden Fall sei nach Gutachtermeinung, dass es innerhalb weniger Stunden zu einer derart foudroyanten Verschlechterung gekommen ist. Aus einem zunächst monosymptomatischen Stadium der Sinusthrombose (lediglich Kopfschmerzen) entwickelte sich rasch ein Status epilepticus mit resultierendem hypoxischen Hirnschaden. Wie dieser Verlauf beeinflusst worden wäre, wenn bereits am 3. Februar 2002 eine Blutverdünnung mit Heparin erfolgt wäre, könne nicht vorhergesagt werden. Sowohl eine günstige Beeinflussung des Krankheitsverlaufs als auch ein fehlender Effekt seien möglich. Mit Sicherheit hätte jedoch die Chance bestanden, den Status epilepticus rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln. Hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die zusätzlich allein fehlerbedingt aufgetreten seien, kam der Gutachter zu der Feststellung, dass bei richtigem Handeln die Erkrankung weniger schwerwiegend verlaufen wäre und eventuell der hypoxische Hirnschaden hätte vermieden werden können. Die Sinusthrombose gehe mit einer Letalität von etwa 8 Prozent der Fälle einher. Der Tod der Patientin sei letztlich nach einer langen Phase des Wachkomas erfolgt. Der letale Ausgang stehe hier zwar am Ende einer Kette unglücklicher Umstände, sei jedoch nicht unmittelbare Folge des Behandlungsfehlers.

Der neuroradiologische Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass man durch ein CCT, nativ und nach intravenöser Kontrastmittelgabe, mit hoher Wahrscheinlichkeit die Sinusvenenthrombose bereits am 3. Februar 2002, also 20 Stunden früher als am 4. Februar 2002hätte festgestellen können, wodurch dann die zeitgerechte Einleitung einer gezielten Therapie möglich gewesen wäre.

Die Position der Schlichtungsstelle

Die Schlichtungsstelle folgte den gut-achterlichen Erwägungen dahingehend, dass im vorliegenden Fall deutliche Mängel in der Befunderhebung festzustellen waren. Eine fehlerhafte Unterlassung der medizinisch gebotenen Befunderhebung führt dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden, wenn sich bei der Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und wenn sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde (vgl. BGH NJW 2004, 1871 ff).

Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall erfüllt. Es war unverständlich, dass nicht bereits bei der primären Untersuchung weiterführende, dem Standard genügende Untersuchungen erfolgten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre es möglich gewesen, durch die CCT-Untersuchung bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Sinusthrombose zu diagnostizieren und medikamentös zu behandeln. Die Beweislastumkehr bezog sich im vorliegenden Fall auf den primären Gesundheitsschaden – die Nichtauflösung der Sinusthrombose. Die Beweislastumkehr bezog sich dagegen nicht auf die sekundären Gesundheitsschäden

  • schwere hypoxische Hirnschädigung,
  • epileptische Anfälle,
  • Tod

(vgl. BGH VersR 1994,52), die aus dem durch den Behandlungsfehler primär verursachten Gesundheitsschaden hervorgegangen sein sollen.

Hier gilt das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit gem. § 287 ZPO. Es reicht also aus, dass mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht. Das war hier der Fall.

Die Schlichtungsstelle hielt somit Schadensersatzansprüche für begründet und empfahl daher, die Frage einer außergerichtlichen Regulierung zu prüfen.

Autoren:

GH

Prof. Dr. med. Günter Haferkamp

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover