Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Misslungene tracheale Intubation

Failed Tracheal Intubation

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 08/2005

Kasuistik

Bei einer Patientin sollte wegen einer Struma nodosa mit kaltem Knoten eine Schilddrüsenresektion durchgeführt werden. Nach der Einleitung der Narkose gelang es dem behandelnden Anästhesisten, einem Facharzt für Anästhesiologie, nicht, die Patientin tracheal zu intubieren. Auch ein weiterer Facharzt für Anästhesiologie konnte die Patientin nicht tracheal intubieren. Die Narkose wurde abgebrochen, die vorgesehene Operation konnte zunächst nicht durchgeführt werden.

Nach dem Erwachen aus der Narkose klagte die Patientin über Dyspnoe und Schmerzen im Rücken und Brustkorb. Außerdem bestand eine Zyanose. Die Patientin wurde in der Intensivstation überwacht. Kurze Zeit später bildeten sich ein Hautemphysem im Halsbereich und ein Mediastinalemphysem aus. Drei Tage nach den Intubationsversuchen wurde bei Persistieren der Beschwerden eine Computertomografie des Thorax durchgeführt. Sie ergab ein ausgeprägtes Mediastinalemphysem und einen beidseitigen Pneumothorax. Eine Ursache für diese Veränderungen konnte zunächst nicht festgestellt werden. Es wurden Thoraxsaugdrainagen gelegt, die nach vollständiger Entfaltung der Lungen entfernt werden konnten.

Im Verlauf traten eine Pleuropneumonie und ein Mediastinalabszess auf. Die Patientin wurde zur weiteren Behandlung in ein Fachkrankenhaus für Lungenheilkunde verlegt. Nach einer erneuten Computertomografie des Thorax wurde der Verdacht auf eine Läsion der Trachea geäußert, der sich endoskopisch nicht erhärten ließ.

Etwa einen Monat nach den Intubationsversuchen – inzwischen waren eine Pleuropneumonie und ein Mediastinalabszess aufgetreten – wurden in weiteren bildgebenden Untersuchungen schließlich eine Ösophagusperforation im Bereich des linken unteren Hypopharynx mit einer Fistelung in Höhe des unteren Schilddrüsenpols in das Mediastinum sowie Flüssigkeitsansammlungen im vorderen oberen Mediastinum festgestellt. Die ösophago-mediastinale Fistel wurde operativ mit Gewebekleber verschlossen und die Patientin konnte in die ambulante Weiterbehandlung entlassen werden. Nach vollständiger Gesundung und Erholung der Patientin wurde der ursprünglich vorgesehene Eingriff an der Schilddrüse durchgeführt.

Begutachtung und Entscheidung der Schlichtungsstelle

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter kommt zu dem Schluss, daß die anästhesiologische und intensivmedizinische Behandlung der Patientin fehlerhaft erfolgte.

Auf Grund der vorgesehenen Operation an der Schilddrüse war die Durchführung einer Narkose verbunden mit einer trachealen Intubation indiziert. Beide Anästhesisten hatten verschiedene Male erfolglos versucht, die Patientin – ohne Sicht auf die Stimmbänder bzw. den Eingang zur Trachea („blind“) – mittels eines mit einem Führungsstab versehenen Spiraltubus tracheal zu intubieren.

Die Anästhesisten mussten von vornherein mit einer schwierigen Intubation rechnen. Bei der Patientin lagen ein sogenanntes fliehendes Kinn und eine eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule vor. Der Situation der erwartungsgemäß schwierigen Intubation wurde nach Auffassung des Gutachters nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Beispielsweise hätten Hilfsmittel wie verschieden große und geformte Laryngoskopiespatel, Hilfsmittel zur Lagerung des Oberkörpers und des Kopfes, verschiedene Führungsstäbe und eine Fiberoptik vor Einleitung der Narkose bereitgestellt werden müssen. Dies war fehlerhaft unterlassen worden.

Das von den Anästhesisten gewählte Vorgehen, d. h. Benutzung eines Führungsstabs ohne Sicht auf die Stimmbänder bzw. den Eingang zur Trachea, birgt, wie der Gutachter ausführte, ein hohes Verletzungsrisiko in sich und war daher nicht indiziert. Das Vorschieben eines mit einem Führungsstab versehenen Spiraltubus ohne visuelle Kontrolle („blind“) verursachte die Verletzung des Ösophagus. Ein Führungsstab dient prinzipiell dazu, die Richtung des Tubus unter visueller Kontrolle zu lenken.

Die Verletzung des Ösophagus wäre mit Sicherheit zu vermeiden gewesen, wenn der Führungsstab medizinisch korrekt eingesetzt bzw. der Tubus unter fiberoptischer Kontrolle in die Trachea eingeführt worden wäre.

Darüber hinaus stellte der Gutachter fest, daß die Verletzung des Ösophagus fehlerhaft zunächst nicht erkannt worden war. Der Gutachter rügt, daß unter Berücksichtigung der erfolglosen Intubationsversuche und der unmittelbar postoperativ aufgetretenen Symptome (Dyspnoe, Schmerzen in der Brust, Zyanose) die Diagnostik und die Verlegung in ein zur Behandlung der Patientin geeignetes Krankenhaus verzögert durchgeführt wurde. Die Patientin wurde über einen Monat hinweg trotz persistierender Beschwerden nicht adäquat diagnostiziert und therapiert.

Von der Schlichtungsstelle wurde darauf hingewiesen, daß die Tatsache, daß die Patientin tracheal auf konventionellem Wege nicht intubiert werden konnte, keinen Behandlungsfehler darstellt.

Als schuldhaft verursachten Schaden hat die Schlichtungsstelle die Verletzung des Ösophagus sowie die Entwicklung eines Mediastinalabszesses und einer Pleuropneumonie mit damit verbundenen Beeinträchtigungen festgestellt und dem Versicherer empfohlen, die Frage einer außergerichtlichen Regulierung zu prüfen.

Autoren:

Schaffartzik

Prof. Dr. med. Walter Schaffartzik

Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie
Vorsitzender der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover