Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 1/2014
Kasuistik
Der 67-jährige Patient hatte nach vermehrter körperlicher Belastung durch eine längere Gehstrecke einen Muskelfaserriss im Bereich des Musculus adductor brevis und longus und des Musculus pectineus erlitten. Als er sich zwei Wochen nach dem Ereignis in der Praxis eines Facharztes für Chirurgie vorstellte, war unter Voltaren Resinat keine Besserung eingetreten. Druckschmerzpunkte wurden am Iliosakralgelenk links paravertebral in Höhe L4/L5 und am Tuber ischiadicus beschrieben. Im Bereich dieser Punkte wurde eine Neuraltherapie mit 10 ml Procain durchgeführt.
Sechs Tage danach musste der Patient wegen Zeichen einer Sepsis stationär eingewiesen werden. Durch ein angefertigtes MRT zeigten sich mehrere Abszesse im Glutealbereich links, woraufhin eine CT-gestützte Abszesspunktion und Abszessdrainage erfolgte. Bei den Abstrichen konnte Staphylococcus aureus nachgewiesen werden. Im weiteren Verlauf zeigten sich gelenknahe Osteodestruktionen am Os sacrum und Os ilium links sowie der Verdacht auf eine entzündliche Beteiligung der Symphyse. Die Indikation zur operativen Stabilisierung im Bereich der Symphyse und des Iliosakralgelenkes wurde erwogen, aber letztlich nicht umgesetzt. Bei einer Vorstellung zwei Jahre später gab der Patient deutliche Besserung an, es bestand noch ein Instabilitätsgefühl im Bereich der Symphyse, ein weiteres Jahr später konnte der Patient ohne Gehhilfen circa fünf Kilometer gehen. Wegen einer Beinverkürzung links trug er eine Einlage von zwei Zentimetern.
Der Patient führt den gesamten Krankheitsverlauf und die Dauerschädigung darauf zurück, dass die hygienischen Standards bei der Injektion nicht eingehalten worden seien. Auch sei er nicht über die Risiken der Injektionstherapie aufgeklärt worden.
Der Chirurg argumentiert, bei dem Verdacht einer Adduktorenzerrung eine indizierte neuraltherapeutische Versorgung korrekt und unter Einhaltung hygienischer Standards vorgenommen zu haben.
Gutachten
Nicht überprüfbar sei, ob die hygienischen Standards bei der Injektion eingehalten worden sind. Auch bei optimaler Injektionstechnik und Einhaltung des Hygienestandards sei eine Infektion nicht immer vermeidbar. Eine Infektion nach einer Injektion sei ein eingriffstypisches, nicht voll beherrschbares Risiko.
Fehlerhaft sei jedoch die Wahl der Therapieform gewesen. Die Heilung einer Muskelverletzung dieser Schwere verlaufe in drei Phasen und erfordere jeweils eine stadiengerechte Therapie. Der Patient habe sich in Phase drei befunden, in der sich muskuläres Narbengewebe bilde und Schmerzbehandlung sowie dosierter Muskelaufbau mit entsprechendem Training im Vordergrund stünden. Eine systemische analgesierende Pharmakotherapie war (bis auf Voltaren Resinat) nicht eingesetzt worden. Je nach Intensität der Schmerzen wäre die Anwendung von Opioiden oder Nichtopioiden einzeln oder in Kombination angezeigt gewesen. Die nicht ausreichende Schmerzlinderung durch Voltaren Resinat und der Nachweis von Druckschmerz an den Knochenpunkten habe die lokale Infiltrationstherapie nicht gerechtfertigt. Dies gelte insbesondere für die Instillation in das Iliosakralgelenk, was einer intraartikulären Injektion entspreche und damit einer sorgfältigen Risikoabwägung bedürfe. Wenn die Schmerzausschaltung durch Voltaren nicht ausreichend möglich sei, müsse auf eine effektive Schmerztherapie übergegangen werden, wozu eine ganze Palette von Analgetika zur Verfügung stünden. Dies sei hier fehlerhaft nicht geschehen.
Als fehlerbedingt sei das Erfordernis stationärer Behandlung und die CT-gesteuerte Drainagebehandlung sowie die Instabilität des Beckens mit Beinverkürzung links zu bewerten.
Entscheidung der Schlichtungsstelle
Die Behandlung durch den Chirurgen entsprach nicht geltenden Standards. Es waren vor Durchführung der Neuraltherapie nicht alle weniger invasiven Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden.
Bei korrektem Vorgehen hätten erfahrungsgemäß für die Dauer von drei bis vier Monaten belastungsabhängige Schmerzen mit eingeschränkter Gehleistung und eingeschränkter Beweglichkeit im Hüftgelenk bestanden. Im Laufe dieser Zeit wäre es zu einer vollen Wiederherstellung gekommen. Durch das fehlerhafte Vorgehen ist es zu einem septischen Heilverlauf mit Abszessbildungen im Glutealbereich mit stationären Aufenthalten über mehrere Wochen, einer CT-gesteuerten Drainagebehandlung und zu einer In-stabilität des Beckens mit einer Beinverkürzung links von zwei Zentimetern gekommen.
Fazit
Kommt es bei einer Injektionsbehandlung zur Infektion, steht im Vordergrund einer Auseinandersetzung meist die Frage der Einhaltung von Hygieneregeln, deren Verletzung durch den Patienten bewiesen werden müsste. Das gelingt nur schwer, weil allein von der Infektion nicht automatisch auf unsauberes Handeln rückgeschlossen werden kann. Ist aber die Wahl der Injektion als Behandlungsmethode an sich schon fehlerhaft, kommt es auf die Einhaltung der Hygieneregeln nicht mehr an.