Necrotizing Pancreatitis after ERCP and Stone Extraction and Myositis Ossificans after Operative Treatment and Intensive Therapy
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 08/2002
Kasuistik
Bei einem zwölf Jahre zuvor wegen Angina-pectoris-Beschwerden berenteten 58-jährigen Handwerker fielen im Rahmen einer hausärztlichen Routineuntersuchung bei Beschwerdefreiheit eine Steingallenblase und ein erweiterter Gallengang auf. Die daraufhin in einer radiologischen Fachpraxis durchgeführte Infusionscholecystographie ergab drei Choledochuskonkremente im distalen Anteil und ein Konkrement proximal bei negativer Gallenblasendarstellung. Es erfolgte eine Überweisung zum Chirurgen, der den Patienten jedoch in eine gastroenterologische Klinik weiterleitete, um vor der geplanten laparoskopischen Cholecystektomie endoskopisch per ERCP die Steine aus dem Gallengang entfernen zu lassen.
Bei der ERCP war die Gallengangsdarstellung erst nach precutting möglich. Nach Papillotomie und Extraktion von 4 Steinen mittels Dormia-Körbchen war der Gallengang steinfrei.
Am Nachmittag des Untersuchungstages traten heftige Schmerzen auf, die eine Analgesie, Nulldiät und parenterale Flüssigkeitszufuhr erforderlich machten. Darunter trat jedoch eine Befundverschlechterung auf, so daß zwei Tage nach der Untersuchung ein CT durchgeführt wurde, das eine exsudative Pankreatitis zeigte ohne Hinweis auf Nekrosen, Abszesse oder Perforation. Es erfolgte die Verlegung auf die internistische Intensivstation, wo eine Peridural-Analgesie und eine Antibiose durchgeführt wurde. Wegen weiterer Verschlechterung erfolgte 3 Tage später eine erneute CT-Untersuchung mit Nachweis von Ascites und Pleuraergüssen, auch jetzt noch keine erkennbaren Nekrosen. Wegen persistierender Beschwerden wurde der Patient auf die Chirurgische Intensivstation verlegt und 5 Tage nach der Untersuchung operiert, wobei eine Nekrektomie, Lavage und Drainage durchgeführt wurden. Zur Fortsetzung der Behandlung wurden fünf weitere Relaparotomien am 7., 10., 13. 17. und 26. Tage nach der ERCP notwendig. Während des Aufenthaltes auf der ITS war bis zum Tage der letzten operativen Revision maschinelle Beatmung erforderlich, 11 Tage später begann der Kostaufbau. Eine Wundinfektion war gut zu beherrschen. Beidseitige Pleuraergüsse wurden abpunktiert.
Die Entlassung erfolgte nach insgesamt 57-tägiger stationärer Behandlung mit Verlegung in ein Rehabilitationszentrum. Im Aufnahmebefund war dokumentiert, daß der Patient bis dahin nur wenige Treppen gestiegen war, 13 Kilogramm an Gewicht verloren hatte und in der Lage war, die persönlichen täglichen Verrichtungen, bis auf Hilfe beim Anziehen der Strümpfe und Schuhe, selbst durchzuführen. Eine erhebliche schmerzhafte Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk ließ sich auf eine Myositis ossificans der lokalen Muskulatur zurückführen. Im Ergebnis der Reha-Behandlung wurden eine leichte Gewichtszunahme und fast völlige Beschwerdefreiheit von Seiten des Oberbauchs, jedoch keine Änderung der Beschwerden im Bereich des linken Oberschenkels und der Leiste angegeben.
Der Patient erhob in seiner Antragstellung gegen die Ärzte der Inneren Abteilung den Vorwurf, seine Anatomie sei nicht für die Durchführung einer ERCP und Papillotomie geeignet gewesen. Die ERCP hätte abgebrochen werden müssen, um eine herkömmliche Operation zu wählen. Es sei somit unterlassen worden, zum richtigen Zeitpunkt eine Änderung der Behandlungsmethode einzuleiten. Ferner sei er trotz massiver Schmerzen erst nach fünf Tagen auf die Chirurgische Intensivstation verlegt worden. Den Ärzten der Intensivstation warf er vor, auf die massiven Schmerzen im linken Hüftgelenk nicht rechtzeitig reagiert zu haben. In der Zeit des künstlichen Tiefschlafs sei er nicht richtig bewegt worden. Er sei immer noch auf tägliche Hilfe angewiesen.
In Übereinstimmung mit dem gastroenterologischen Gutachter kommt die Schlichtungsstelle zu dem folgenden Ergebnis: Die Indikation zur ERCP war gegeben. Bei Angina-pectoris-Anamnese und Bluthochdruck wäre ein Abwarten des drohenden Steinverschlusses oder ein chirurgisches Vorgehen im Sinne einer Gallenblasen- und Gallengangsoperation erheblich risikoreicher gewesen. Die im Ergebnis erfolgreiche ERCP mit precutting, Papillotomie und Steinextraktion war sach- und fachgerecht. Das durch den Eingriff bedingte Auftreten einer exsudativen und später nekrotisierenden Pankreatitis ist eine typische wenn auch seltene Komplikation, die in etwa 1% der Fälle auftritt und weit unter den Risiken der Gallenwegchirurgie liegt. Der zwar schwierige, jedoch erfolgreich endoskopische Eingriff ergab keine Indikation zum Abbruch und Umsteigen auf eine operative Weiterbehandlung.
Im vorliegenden Fall war nicht erkennbar, daß die Pankreatitis durch Sorgfaltsmängel oder Fehler im Zusammenhang mit der ERCP ausgelöst wurde. Auch die Behandlung der exsudativen Pankreatitis erfolgte regelrecht mit Intensivüberwachung, Nulldiät und parenteraler Ernährung. Bei Fehlen absoluter Operationsindikationen wurden schließlich die nicht beeinflußbaren Schmerzen als Indikation herangezogen für die Laparotomie mit Nekrektomie, Lavage und Drainage, gefolgt von fünf weiteren indizierten Relaparotomien zur Fortsetzung der Behandlung. Der vom Patienten beanstandete Zeitpunkt der Verlegung auf die chirurgische Wachstation relativiert sich dadurch, daß auch hier zunächst noch zwei Tage versucht wurde, das Krankheitsbild konservativ zu beherrschen. Die internistische Behandlung ließ somit kein fehlerhaftes Verhalten erkennen.
Aus dem anästhesiologischen Gutachten
Zum Problem der Myositis ossificans, deren Ursache und der daraus resultierenden Beschwerden hat ein anästhesiologisches Gutachten folgendermaßen Stellung genommen: Die Komplikation einer nekrotisierenden Pankreatitis nach ERCP und Steinextraktion habe je nach Schweregrad eine Letalität von 20 – 100 Prozent. Es sei sowohl eine operative Therapie mit Nekrosenabtragungen und Bauchspülungen als auch eine intensivmedizinische Therapie mit Langzeitbeatmung und Kreislauftherapie unter Analgosedierung erforderlich gewesen. Diese Therapien seien sachgerecht und erfolgreich durchgeführt worden, denn der Patient habe schließlich nach langem und schwerem Krankheitsverlauf in die Anschlußheilbehandlung entlassen werden können. Während der Immobilisierungsphase sei, wie den Unterlagen zu entnehmen war, eine sachgerechte Lagerung erfolgt und eine adäquate Physiotherapie durchgeführt worden. Schmerzen in der linken Leiste seien erstmalig bei schon weit fortgeschrittener Mobilisierung aufgetreten. Die Verdachtsdiagnose einer Myositis ossificans sei geäußert worden, habe sich aber zu diesem Zeitpunkt weder durch eine sonographische Untersuchung, noch durch ein Röntgenbild bestätigen lassen. Die symptomatische Therapie mit Ibuprofen sei auch kausal richtig gewesen, habe aber keinen Erfolg gezeigt. Erst eine Kontrollröntgenuntersuchung 9 Tage später habe schließlich die Verdachtsdiagnose Myositis ossificans bestätigt. Eine mögliche Therapie mit Biphosphonat sei ohne Verzögerung begonnen und die Physiotherapie fortgeführt worden. Die Verknöcherung im Weichteilmantel des linken Hüftgelenks habe sich aufgrund der Pathophysiologie der Erkrankung durch diese Maßnahmen nicht verhindern lassen, so daß die verbleibende Bewegungseinschränkung als schicksalhaft hinzunehmen und keinem Behandlungsfehler auf der Intensivstation zuzuordnen sei. Die nicht traumatische Myositis ossificans, deren Ursache und Entstehen man nicht kenne, für die es weder eine wissenschaftlich begründete Therapie noch Prophylaxe gäbe, sei nach dem gegenwärtigen Stand des ärztlichen Wissens als nicht vermeidbar und somit als schicksalhaft einzustufen.
Die Schlichtungsstelle ist dieser Beurteilung durch den intensivmedizinischen Gutachter gefolgt. Auch im Rahmen der Intensivtherapie konnten ärztliche Behandlungsfehler nicht festgestellt werden.
Die patientenseits erhobenen Schadenersatzansprüche waren im vorliegenden Fall nicht begründet.