Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Nervus ulnaris Parese als Lagerungsschaden – wann verschuldet, wann unverschuldet?

Ulnar Nerve Paresis due to Positioning Injuries – When is a Person at Fault?

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 04/2008

Kasuistik

Im Zusammenhang mit der Operationslagerung treten Nervenschäden am häufigsten im Bereich des oberen Armplexus, des Nervus ulnaris und des Nervus fibularis auf. In den Behandlungsunterlagen ist eine fehlerhafte Extremitätenlagerung so gut wie niemals ausdrücklich dokumentiert, in den Stellungnahmen der betroffenen Ärzte wird in der Regel auf die Einhaltung der Standardlagerung verwiesen. Für die Beurteilung eines vermuteten lagerungsbedingten Nervenschadens ist man daher auf Indizien angewiesen, die bei entsprechender Konstellation über eine Beweislastverschiebung zugunsten der Patientenseite die Annahme eines ärztlich verschuldeten Lagerungsfehlers gestatten. Auf einen typischerweise durch Lagerungsfehler entstandenen Gesundheitsschaden kann im Einzelfall dann auf eine fehlerhafte Lagerung beziehungsweise Lagerungskontrolle geschlossen werden, wenn für den Schaden keinerlei andere Erklärungsmöglichkeiten bestehen. Soweit andere, auch seltene Ursachen in Betracht kommen, ist der Anscheinsbeweis nicht zu führen.

Bei einem – angenommenen – lagerungsbedingten Nervenschaden sind zu prüfen:

  • der zeitliche Zusammenhang,
  • neurologisch und neurophysiologisch objektivierter Nervenschaden,
  • typischer Nervenschaden als Lagerungsfolge, Lokalisation der Schädigung,
  • Lagerungsdauer,
  • dispositionelle Faktoren, wie Neuropathien aller Art (zum Beispiel Diabetes), Anomalien (Hals-Rippe, „luxierender“ Nervus ulnaris),
  • Lagerungsprobleme durch extreme Abmagerung, Gelenkkontrakturen, Zwangslagerung zur Herstellung des operativen Zugangs (im wesentlichen bei operativer Frakturbehandlung, intraoperative Umlagerung).

Fall 1

Eine 53-jährige Frau wurde an einem perityphitischen Abszess bei gedeckt perforierter Appendizitis operiert. Die Operation erfolgte in Rückenlage, der linke Arm war seitlich ausgelegt, die Lagerungsdauer betrug laut Anästhesieprotokoll 80 Minuten. Am Tag nach der Operation verspürte die Patientin Schmerzen und Taubheitsgefühl im vierten und fünften Finger der linken Hand. Obwohl die Patientin die Ärzte bei der Visite auf die Beschwerden hinwies, erfolgte während der stationären Behandlung keine neurologische Untersuchung, die Nervenschädigung wurde im Arztbericht nicht erwähnt. Erst vier Wochen später veranlasste der Hausarzt eine entsprechende Untersuchung, die eine motorisch vollständige, sensibel weitgehende Parese des linken Nervus ulnaris bestätigte. Die Patientin fühlte sich als Musikerin durch die Nervus ulnaris-Parese beeinträchtigt.

Der Sachverhalt wurde in einem neurologisch-neurophysiologischen Gutachten mit folgendem Ergebnis überprüft:

Der primäre neurologische Befund wurde bestätigt. Im Laufe der inzwischen verflossenen sechs Monate hatten sich die motorische Lähmung vollständig, die sensorischen Ausfälle weitgehend zurückgebildet mit Hinterlassung einer leichten Restparese. Für einen lagerungsbedingten Nervenschaden sprachen der unmittelbare zeitliche Zusammenhang mit der Operation, die Lokalisation des Nervenschadens in Höhe des Ellenbogengelenkes, Standardlagerung, die kurze Lagerungsdauer, die spontane Rückbildung und die Tatsache, dass keinerlei vorbestehende Krankheiten oder Anomalien festzustellen waren, die ihrerseits den Nervenschaden ausgelöst beziehungsweise dessen Entstehung hätten begünstigen können.

Die Schlichtungsstelle sah in diesem Falle alle Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr als gegeben an. Da keinerlei andere Erklärungsmöglichkeiten als eben die fehlerhafte Lagerung beziehungsweise Lagerungskontrolle in Betracht kamen, konnte die vorübergehende Nervus ulnaris-Parese nur auf einen Lagerungsfehler zurückgeführt werden. Die Schlichtungsstelle sah somit Schadenersatzansprüche als begründet an und empfahl eine außergerichtliche Regulierung.

Fall 2

Bei einem 47-jährigen Mann wurde ein Ileostoma reseziert mit Re-Anastomosierung der Dünndarmstümpfe. Die Lagerungsdauer betrug zwei Stunden bei Rückenlage. Der rechte Arm war für den intravenösen Zugang seitwärts gelagert, der linke Arm war am Körper angelegt. Laut eigener Darstellung bemerkte der Patient erst sechs Tage nach der Operation Empfindungsstörungen an der linken Hand, beginnend am fünften Finger, die im Laufe der nächsten Woche zunahmen. Eine neurologische Untersuchung erfolgte erst sechs Monate später mit dem Ergebnis: „Objektiver Nachweis einer erheblichen Schädigung des linken Nervus ulnaris in Höhe des Ellenbogengelenks (inkompletter Leitungsblock) in der Knochenrinne des Nerven im Sinne eines typischen Sulcus-nervi-ulnaris-Syndroms.“ Weitere drei Monate später erfolgte die neurochirurgische Freilegung des Nervus ulnaris im Ellenbogenbereich. Der Operationsbericht beschreibt einen narbig stark eingeengten Sulcus nervi ulnaris im distalen Bereich, der Nerv ist oberhalb der Stenose neuromartig aufgetrieben und teilweise aufgefasert. Die Stenose setzt sich distal bis in den Bereich des Ligamentum collaterale ulnare fort. Es wird eine ausgedehnte Neurolyse ausgeführt mit anschließender Verlagerung des Nerven. Als abschließende Diagnose wird ein spontan entstandenes Sulcus-nervi-ulnaris-Syndrom ohne Hinweise auf eine traumatische Entstehungskomponente beschrieben.

Nach Überprüfung der Behandlungsunterlagen sah die Schlichtungsstelle keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Nervenschaden und Operationslagerung. Gegen diesen Zusammenhang sprachen im besonderen:

  • kein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang,
  • der betroffene Arm war nicht ausgelagert,
  • der neurochirurgische Operationsbericht beschrieb den Befund einer langstreckigen Stenose des Sulcus nervi ulnaris ohne Hinweise auf eine punktuelle direkte Nervenschädigung.

Die Operationslagerung konnte nicht als kausal für die erst in zeitlichem Abstand zur Operation aufgetretene, langsam zunehmende Nervus ulnaris-Parese gesehen werden. Beweiserleichterungen kamen nicht zum Zuge. Ein Schadenersatzanspruch war nicht begründet.

Fall 3

Eine 64-jährige Frau mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus wurde an einem Nabelbruch operiert, in Rückenlagerung, den linken Arm seitlich ausgelegt bei einer Lagerungsdauer von 75 Minuten. „Wenige Tage“ nach der Operation verspürte die Patientin Schmerzen im linken Ellenbogen, sowie Kribbeln und Taubheitsgefühl im vierten und fünften Finger. Erst zwei Monate später erfolgte eine neurologische Untersuchung. Es fand sich eine ausschließlich sensible, komplette Parese des linken Nervus ulnaris mit bereits deutlicher Besserungstendenz. Nachweis einer diabetischen Polyneuropathie.

Die Schlichtungsstelle ließ den Nervenschaden in einem neurologischen Gutachten beurteilen mit folgendem Ergebnis: Im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang, die Anfangsbeschwerden im Bereich des Ellenbogengelenkes und die typische Lokalisation sei von einem lagerungsbedingten Nervenschaden auszugehen. Die diabetische Neuropathie habe aber die Entstehung der rein sensiblen Nervus ulnaris-Parese begünstigt. Hierfür spreche insbesondere, dass von der Druckschädigung nur der sensible, von der diabetischen Neuropathie betroffene Teil des Nerven geschädigt wurde, während der motorische Teil völlig unbeeinflusst geblieben war.

Aus dieser Beurteilung leitete die Schlichtungsstelle folgende Einschätzung ab: Die sensible Nervus ulnaris-Parese war lagerungsbedingt entstanden. Maßgeblich für die Entstehung der Parese war aber auch die vorbestehende diabetische Neuropathie. Diese Konstellation gestattete keine Beweiserleichterung für die Patientin. Es war zwingend in Betracht zu ziehen, daß die diabetische Neuropathie zu der Entstehung der Nervus ulnaris-Parese entscheidend beitragen hat, ein gesunder Nerv wäre bei gleicher Standardlagerung möglicherweise nicht geschädigt worden. Da die Kausalität nicht zu begründen war, konnte die Schlichtungsstelle keine Empfehlung für die Regulierung eines Schadenersatzes geben.

Autoren:

HV

Prof. Dr. med. Heinrich Vinz

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover