Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 01/2006
Kasuistik
Nach operativer Entfernung von zwei Lymphomen im Bauchraum erlitt die 80jährige Patientin zwei Tage später am 18.2. einen Schlaganfall mit Lähmung der linken Körperhälfte, weshalb sie in die Neurologische Klinik des Krankenhauses verlegt wurde. Am 1.3. kam es zu einem Sturz im Bad. Der hinzugezogene Arzt fand keine Verletzungszeichen, eine weitere Diagnostik wurde nicht durchgeführt. Am Folgetag klagte die Patientin über Schmerzen im linken Unterschenkel – ohne wesentliche Umfangsdifferenz – zusätzlich traten eine plötzliche Kurzatmigkeit und Zyanose auf als deren Ursache der klinische Verdacht auf eine Unterschenkelthrombose bestätigt wurde. Nach der Dokumentation der Klinik klagte die Patientin erstmals am 4.3. über Beschwerden im linken Bein, weshalb zunächst eine Bedarfsmedikation mit Ibuprofen begonnen wurde, die einige Tage später wegen rezidivierender Beschwerden durch eine Dauermedikation mit zusätzlicher Bedarfsmedikation von Valoron ersetzt wurde. Am 24.3. wurde mit einer aktiven Physiotherapie nach zuvor nur passiver Beübung der Beine begonnen und die Patientin am 29.3. zur weiteren Rehabilitation in eine Geriatrische Klinik verlegt. Dort fielen die Fehlhaltung des linken Beins sowie die starken Schmerzen beim Lagern und Betten auf. Die Röntgenaufnahme am 30.3. ergab einen Oberschenkelhalsbruch links vor ca. 4-5 Wochen.
Die Patientin beanstandet die Ignoranz ihrer starken Schmerzen durch Ärzte und Pflegepersonal und beklagt das Unterlassen einer klinischen Untersuchung des linken Beins, da diese die in der Rehaklinik sofort aufgefallene Fehlstellung wahrscheinlich aufgedeckt hätte. Weiter bemängelt sie, dass konsiliarisch keine weiteren Ärzte zur Schmerzabklärung hinzugezogen wurden und keine Röntgendiagnostik durchgeführt wurde.
In ihrer Stellungnahme zu diesen Vorwürfen führen die behandelnden Ärzte an, dass eine körperliche Untersuchung am Tag des Sturzes dokumentiert sie, die keine Verletzungszeichen gezeigt habe, Die bei der Mobilisierung einsetzenden verstärkten Schmerzen habe man nicht mehr auf das Sturzereignis vom 1.3. bezogen, da sie erst stark verzögert aufgetreten seien und deshalb auch keine Traumadiagnostik durchgeführt. Außerdem klagten hemiplegische Patienten sowohl wegen des zerebralen Insults als auch wegen der sich häufig ergebenden Fehlbelastung und –haltung sehr häufig über Schmerzen im betroffenen Bein. Deswegen, wegen des negativen Untersuchungsbefundes nach dem Sturz und der gleichzeitig vorliegenden und das klinische Bild beherrschenden Beinvenenthrombose sei die Fehldiagnose wahrscheinlich kaum vermeidbar gewesen.
Das Gutachten
Therapie des Hirninfarktes und der Unterschenkelthrombose mit Lungenembolie entsprechen voll den ärztlichen Regeln. Der Sturz im Bad ist dokumentiert, darüber hinaus aber nur der Vermerk „keine Verletzungen“ ohne genauere Befunderhebung. Die bei der wegen Thrombose und Embolie immobilisierten Patientin aufgetretenen Schmerzen durften nach Meinung des Gutachters zunächst auf die Thrombose zurückgeführt werden, zu diesem Zeitpunkt sei noch nicht zwingend an eine andere Ursache zu denken gewesen. Als die Schmerzen aber Mitte März unter zunehmender Mobilisation zugenommen hätten, wie auch dem Verlauf in der Krankenakte zu entnehmen sei, hätte bei der Vorgeschichte mit einem Sturz auch eine andere Ursache der Schmerzen bedacht werden müssen. Er kommt zusammenfassend zu dem Schluß, dass die verzögerte Diagnostik den Ärzten der Neurologischen Klinik als Versäumnis anzulasten sei. Die Schenkelhalsfraktur hätte bei sorgfältigem Vorgehen bereits am 1.3. nach dem Sturz diagnostiziert werden können, spätestens aber Mitte März, als eine andere plausible Ursache für die heftigem Schmerzen nicht mehr erkennbar gewesen sei. Die umgehende Diagnose nach der Verlegung in die geriatrische Klinik zeige, dass die Diagnose durch einfach diagnostische Maßnahmen vorher hätte gestellt werden können. Fehlerbedingt hätte die Patientin bis zur Versorgung der Fraktur am 7.4. Schmerzen erleiden müssen, die ihr hätten erspart werden können. Die erforderliche geriatrische Therapie habe fehlerbedingt erst am 28.4. d.h. nach operativer Implantation einer Endoprothese, beginnen können, somit sei auch die Verlängerung des Krankenhausaufenthaltes von 6 Wochen dem Fehler zuzurechnen.
Die Schlichtungsstelle folgte dem sehr schlüssigen Gutachten in vollem Umfang und empfahl eine außergerichtliche Schadensregulierung.