Unrecognized Amelanotic Melanoma
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 06/2010
Das amelanotische Melanom gehört aus zwei Gründen zu den gefürchtetsten Erkrankungen der Dermatologie: Erstens ist es ein hochmaligner Tumor mit schneller Metastasierung und zweitens ist es sehr schwierig zu erkennen. Es handelt sich um einen nichtpigmentierten Tumor, der rein klinisch-morphologisch nicht charakteristisch ist. Auch die sonst oft sehr hilfreiche Auflichtmikroskopie führt nicht zuverlässig weiter. Sogar histopathologisch ist die Diagnose oft schwierig. Hinweisend kann für den Dermatologen ganz besonders die Anamnese und das Verhalten des Patienten sein.
Ein 26-jähriger Patient stellte sich wegen einer neu entstandenen und an Größe zunehmenden Hautveränderung am behaarten Kopf bei einer Hautärztin vor. Deren Diagnose lautete: Nävuszellnävus, verruciform, sebaceusartig.
Eine Kontrolluntersuchung wurde nach einem Jahr empfohlen. Der Patient kam bereits nach sechs Monaten erneut zu dieser Hautärztin, da er wegen des Knotens beunruhigt war. Als Diagnose wurde jetzt Naevus sebaceus (angeborener Talgdrüsen-Nävus) gestellt. Auf Drängen des Patienten erfolgte eine Überweisung zur kosmetischen Exzision. Eine Auflichtmikroskopie wurde nicht dokumentiert.
Zwischenzeitlich hatte der Patient sich zwei Monate nach der ersten Vorstellung bei einer anderen Dermatologin wegen des gleichen Befundes am Kopf vorgestellt. Auch hier wurde ein Naevus sebaceus diagnostiziert. Zusätzlich war bei der Ganzkörperuntersuchung ein Pigmentherd an der rechten Schulter aufgefallen, der zwei Monate später exzidiert wurde und histologisch als atypischer Nävus diagnostiziert wurde. Die Fäden wurden zwei Wochen später gezogen, über den Befund am Kopf gibt es keine weitere Dokumentation.
Der Patient stellte sich dann einen Monat nach der Überweisung zur Exzision in einer dermatologischen Klinik vor. Hier wurde ebenfalls die Diagnose Naevus sebaceus gestellt und ein Termin sechs Wochen später zur stationären Exzision des als 4×4 cm großen, erhabenen, verrukösen gelblich-hautfarbenen Tumors rechts neben dem Scheitel vereinbart.
Die histologische Diagnose lautete: amelanotisches Melanom. Die weitere Behandlung mit Nachexzision und Staging sowie eine Untersuchung des Sentinellymphknotens schlossen sich an. Endgültig handelte es sich um ein amelanotisches Melanom, Tumordicke nach Breslow: 3,6 mm Clark-Level V, mit einer Hautmetastase und einem positiven Wächterlymphknoten.
Der Patient wandte sich an die Schlichtungsstelle, weil er allen drei beteiligten Dermatologen vorwirft, durch die Fehldiagnose – Naevus sebaceus – eine Verzögerung der Therapie und damit ein Größenwachstum und Prognoseverschlechterung verursacht zu haben.
Der Gutachter sieht einen ärztlichen Fehler bei beiden niedergelassenen Dermatologinnen. Zwar räumt er ein, das amelanotische Melanom sei in diesem Fall klinisch nicht zu erkennen gewesen (alle mit dem Fall befassten Hautärzte hätten übereinstimmend einen benignen Tumor diagnostiziert). Doch seien einige auffällige anamnestische Hinweise nicht beachtet worden: die Hautveränderung bei dem jungen Mann sei neu aufgetreten, sie zeige ein Größenwachstum, und der Patient wäre sehr beunruhigt gewesen. All dies hätte zumindest stutzig machen sollen und eine Probeexzision oder zumindest engmaschige Kontrollen nach sich ziehen müssen.
Insgesamt wäre vom ersten Besuch bei der ersten Dermatologin bis zur Exzision ein Zeitraum von acht Monaten verstrichen. Sicher sei, dass der Tumor in dieser Zeit an Größe zugenommen habe. Ob aber bereits beim ersten Besuch eine Metastasierung vorgelegen hätte, könne letztlich nicht mit Sicherheit entschieden werden.
Die Schlichtungsstelle schloss sich dem Gutachter an. Es ist zu Diagnostikfehlern gekommen, die letztlich zu einer Verzögerung der richtigen Therapie von acht Monaten durch die erste Dermatologin, sechs Monaten durch die zweite Dermatologin beziehungsweise 40 Tagen durch die dermatologische Klinik geführt hatten. Die sichtliche Beunruhigung des Patienten sowie seine anamnestische Schilderung war von beiden Hautärztinnen nicht ausreichend gewürdigt worden. Dies hätte zielführend sein können. Die psychische Belastung durch das Wissen um die Behandlungsverzögerung infolge der fehlerhaften Diagnostik und die damit möglicherweise verbundene Prognoseverschlechterung ist als vermeidbare Gesundheitsbeeinträchtigung zu werten und stellt einen immateriellen Schaden dar. Somit waren Schadensersatzansprüche gegenüber den beiden niedergelassenen Dermatologinnen begründet. Die Verzögerung durch die Klinik von 40 Tagen hatte haftungsrechtlich keine Auswirkungen.