Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Nicht indizierter Eingriff an der Brust bei Mastitis nonpuereralis

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 11/2006

Kasuistik

Bei einer 42-jährigen Frau wurde im Jahre 2004 in der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung eines Kreiskrankenhauses wegen zunehmender Schmerzen an der rechten Brust ein mamillenferner, zwerghuhneigroßer Tumor aus dem oberen inneren Quadranten entfernt. Die zuvor durchgeführte Mammographie hatte zystische bzw. pseudozystische Strukturen mit zarten Wandverkalkungen ohne Anhalt für Bösartigkeit gezeigt. Aus der Vorgeschichte der Patientin war eine Kontusion der rechten Brust mit Hämatombildung aus dem Jahre 1998 bekannt.

Der Eingriff gestaltete sich problemlos. Nach Blutstillung und Spülung der Wunde mit Desinfektionslösung wurde eine Drainage plaziert und zur Submammärfalte herausgeleitet. 4 Tage später verließ die Patientin die Klinik, nachdem das Drain entfernt worden war.

Der feingewebliche Befund ergab eine teilweise granulozytäre, fortdauernd granulierende, fibrosierende Mastitis. Es ließ sich nicht sicher entscheiden, ob der Prozeß im ursächlichen Zusammenhang mit dem klinisch angegebenen Trauma stand oder Folge einer destruierenden Galaktophoritis war.

Ab dem 12. Tag entwickelte sich zu Hause nach leichtem Temperaturanstieg eine langwierige und schmerzhafte Wundinfektion mit Entleerung von stinkendem Eiter. Die Patientin stellte sich erneut in der Klinik vor. Dort erfolgte ambulant die Spülbehandlung der Wunde mit Wasserstoffperoxid in mehreren Sitzungen. Eine Abstrichentnahme zur Keimbestimmung wurde nicht dokumentiert.

Später wurde diese Behandlung durch eine niedergelassene Ärztin fortgesetzt. Die Wunde säuberte sich nur sehr langsam und schloß sich erst nach über 50 Tagen vollständig.

Die Patientin sah die schwere Wundinfektion durch ärztliche Fehler bei der Operation bedingt und wandte sich an die Schlichtungsstelle.

Für die in Anspruch genommene Klinik machte der Chefarzt der Abteilung deutlich, daß man bei dem schmerzhaften Tumor von einem Restzustand des Traumas aus dem Jahre 1998 ausgegangen sei. Vor der Naht habe man die Wunde zweimal mit einer antiinfektiven Lösung gespült. Auch bei Einhaltung aller antiseptischen Kriterien könne eine Wundinfektion nicht völlig ausgeschlossen werden.

Der gynäkologische Gutachter

kam zu der Feststellung, daß bei der Klinikaufnahme der Patientin typische Symptome einer Mastitis nonpuerperalis (MNP) vorgelegen hätten. Das Krankheitsbild umfasse alle bakteriellen und abakteriellen Entzündungen der Brust außerhalb der Stillperiode und sei mit einer Reihe gutartiger Brusterkrankungen assoziiert. So würden fibrozystische Mastopathien, Makromastie, Galaktorrhö, Brustverletzungen sowie Einnahme von Östrogenen oder Tranquilizern als begünstigende Faktoren gelten. Ein weiterer begünstigender, wenn nicht sogar auslösender Faktor wäre die persistierende oder intermittierende Hyperprolaktinämie. Deshalb sollte bei jedem Verdacht auf MNP eine Prolaktinbestimmung veranlaßt werden. Im Hinblick auf den klinischen Befund und die bei der Patientin bestehenden prädisponierenden Faktoren hätte seitens der behandelnden Ärzte an die Diagnose einer MNP gedacht werden müssen. Da es sich bei der Patientin nicht um ein Rezidiv handelte und keine Abszedierung vorlag, wäre nur eine konservative Therapie mit Antiphlogistica, Antibiotika und Prolaktinhemmern als Primärtherapie angezeigt gewesen. Letztere sollten auch bei normalen Prolaktinwerten verabfolgt werden, da es durch erhöhte Sensibilität der Prolaktinrezeptoren zu verstärkter Sekretion kommen kann.

Die Operation wäre nicht indiziert gewesen. Es sei unverständlich, warum von keinem der behandelnden Ärzte die MNP in Betracht gezogen wurde. Unter konservativer Behandlung hätte nach 3 bis 4 Tagen Beschwerdefreiheit erzielt werden können.

Die Behandlung der postoperativen Wundheilungsstörung wäre nicht sachgerecht erfolgt. Eine Keimbestimmung sei nicht dokumentiert. Als adäquate Therapie hätte eine gründliche Wundrevision mit breiterer Öffnung und Abtragung von Nekrosen sowie anschließender Spülung durchgeführt werden müssen, eventuell ergänzt durch eine systemische Antibiose. Zwingend geboten wäre die Gabe eines Prolaktinhemmers zur Unterdrückung von Sekretabsonderung in die Wunde gewesen.

Die Schlichtungsstelle

schloß sich den gutachterlichen Erwägungen an und gelangte abschließend zu der Feststellung, daß den behandelnden Ärzten Fehler anzulasten sind. Da an die MNP nicht gedacht wurde, ist statt der gebotenen konservativen Primärbehandlung eine nicht indizierte Operation durchgeführt worden, in deren Folge es zur langwierigen Wundinfektion kam.

Es wurde eine außergerichtliche Regulierung des Schadenersatzes empfohlen. Ansprüche ergaben sich aus dem überflüssigen Eingriff sowie einer Verlängerung der Behandlungsdauer um 7 – 8 Wochen.

Autoren:

HDM

Prof. Dr. med. H. D. Methfessel

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover