Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 09/2004
Einleitung
Unter der Bagatellverletzung „Umknicktrauma des Fußes“ können sich auch schwere Fußwurzelverletzungen verbergen. Die Diagnose dieser Verletzungen ist abhängig von einer sorgfältigen klinischen Untersuchung und Funktionsprüfung, insbesondere aber von gezielten Röntgenaufnahmen, die gelegentlich entweder unterlassen oder nicht adäquat angefertigt werden. Die Behandlung erfolgt dann unter der Diagnose einer Distorsion des Fußes mit „konservativen Maßnahmen“. Die notwendige sofortige Reposition und Stabilisierung der tatsächlich vorliegenden Luxation oder Fraktur unterbleibt.
Kasuistik
Fall 1
Eine 49-jährige Frau zog sich durch Stolpern über eine Treppenstufe eine geschlossene Verletzung am linken Fuß zu. Die Erstversorgung erfolgte in der Notfallambulanz eines Kreiskrankenhauses. Aufgrund der Auswertung von Röntgenaufnahmen des Mittelfußes wurde die Diagnose „Distorsion linker Mittelfuß“ gestellt. Nach Anlage eines Salbenverbandes wurde hausärztliche Weiterbehandlung empfohlen. Wegen des starken Schwellungszustandes veranlaßte die Hausärztin drei Tage später erneut Röntgenaufnahmen in einer Radiologischen Gemeinschaftspraxis. Auch jetzt wurde ein unauffälliger Befund am linken Fußskelett festgestellt. Unter der Weiterbehandlung mit Physiotherapie blieben die Fußdeformierung und Funktionseinschränkungen des linken Fußes mit Beschwerden unverändert. 6 Wochen nach dem Unfall erfolgte deshalb eine Überweisung in eine Orthopädische Praxis. Hier wurden erneut Röntgenaufnahmen angefertigt, die die eindeutige Diagnose einer Verrenkung des Mittelfußes (Luxation im Lisfranc-Gelenk) ergaben. Die Patientin wurde in einer Orthopädischen Klinik operiert. Die veraltete Luxation wurde offen reponiert, die Stellung durch sogenannte Blount-Klammern gehalten. Anschließend erfolgte Ruhigstellung für 6 Wochen im Unterschenkelgipsverband. Als Spätergebnis verblieben eine Subluxationsstellung in den Bereichen des 3. bis 5. Mittelfußknochens, eine Schwellungsneigung und Belastungsbeschwerden.
Die Patientin machte das erstbehandelnde Krankenhaus für die Fehldiagnose und die verbliebenen Beschwerden verantwortlich.
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter stellte zunächst durch vergleichende Befundung aller Röntgenaufnahmen fest, daß bereits auf den Unfallaufnahmen die Luxation eindeutig abgebildet war. Die schwere Verletzung hätte sofort erkannt und entsprechend behandelt werden müssen. Das fehlerhafte Übersehen der Fußluxation hatte zur Folge:
Schmerzen und Behinderung durch die Luxationsstellung und die hierdurch bedingte Beeinträchtigung der Fußstatik
Fehlerbedingte Verlängerung der Behandlungsdauer und der Arbeitsunfähigkeitsdauer um drei Monate.
Auch bei rechtzeitiger Diagnose wäre eine operative Behandlung vermutlich in Form der geschlossenen Reposition mit Stabilisierung durch Metallimplantate erforderlich gewesen. Ein fehlerbedingter Dauerschaden sei nicht mit ausreichender Sicherheit beweisbar. Es handelte sich primär um eine schwere, das Fußskelettsystem destabilisierende Verletzung. Diese Verletzungen führen in Regel auch bei rechtzeitiger und optimaler Rekonstruktion zu bleibenden Schäden, indem in Folge Narbenbildung der Abrollvorgang des Fußes beeinträchtigt bleibt. Die Folge ist, daß die betroffenen Belastungsbeschwerden zurückbehalten und meist eine Versorgung mit speziell angepaßten Hilfsmitteln zur Stützung des Fußgewölbes erforderlich ist.
Fall 2
Eine 68-jährige Frau zog sich durch Sturz beim 50-m-Lauf zum Erwerb des Sportabzeichens einen Muskelfaserriß am rechten Oberschenkel und ein Umknicktrauma des rechten Fußes zu. Auftreten war nicht mehr möglich. Die Erstversorgung erfolgte in der Notfallambulanz eines großen Städtischen Klinikums. Nach Röntgendiagnostik wurde eine „Außenbandteilruptur rechtes oberes Sprunggelenk“ festgestellt. Es erfolgte eine 12-tägige stationäre Behandlung, Entlassung mit Gelenkorthese und Unterarmstützen. Wegen der anhaltenden Beschwerden und der Belastungseinschränkung des rechten Fußes erfolgten nacheinander Behandlungen einschließlich Röntgenkontrollen bei zwei niedergelassenen Orthopäden und in einer Orthopädischen Klinik, u. a. unter den Diagnosen „Synovialitis rechtes oberes Sprunggelenk, Sudeck’sche Dystrophie“. Bei fortbestehenden Beschwerden im rechten Fuß erfolgte 10 Monate nach dem Unfall auf Veranlassung der Unfallversicherung der Patientin eine erneute Röntgenaufnahme des rechten Fußes. Jetzt wurde eine alte Verrenkung im Fußwurzelbereich mit Luxationsstellung des Kahnbeines (Fußwurzelluxation im Chopard-Gelenk) festgestellt. Mit weiterer zeitlicher Verzögerung erfolgte die operative Behandlung mit offener Teilreposition es Os naviculare und Versteifung der Fußwurzel im Chopard-Gelenk.
„Fehlerhaft verschleppte Diagnose“
Der Gutachter stellte zur Fehlerfrage fest: Die Fußwurzelluxation war eindeutig auf den Sportunfall zu beziehen. Auf den Unfallaufnahmen war die Fußwurzel zwar nicht exakt abgebildet, dennoch hätte man die Fehlstellung des Kahnbeines erkennen können. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb weder bei der Erstbehandlung noch bei späteren Untersuchungen die schwere Fußverletzung, die mit erheblichen Belastungsbeschwerden und äußerer Deformierung einhergehen mußte, übersehen werden konnte mit der Folge der Unterlassung einer gezielten Röntgendiagnostik. Somit sei die exakte Diagnose der Fußwurzelluxation um insgesamt neun Monate fehlerhaft verschleppt worden. Die Therapie hätte in der sofortigen offenen Reposition des Kahnbeines mit Stabilisierung und anschließender Gipsruhigstellung für 6 Wochen, anschließend funktionelle Therapie bis zur vollen Belastbarkeit bestanden, die nach etwa 12 Wochen erreicht worden wäre. Als fehlerbedingte Folgen seien somit zu bezeichnen:
- Verlängerung der Behandlungsdauer um 9 Monate
Für diesen Zeitraum Schmerzen und Belastungsminderung des rechten Fußes mit erheblicher Beeinträchtigung des Gehens und verkürzter Gehstrecke.
Wie im ersten Fall wird festgestellt, daß derart schwere Fußwurzelverletzungen auch bei rechtzeitiger Behandlung häufig zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der Fußfunktion führen, so daß auch hier ein fehlerbedingter Dauerschaden nicht definiert werden kann.
Die Schlichtungsstelle schloß sich in beiden Fällen den Bewertungen der Gutachter an und empfahl eine außergerichtliche Regulierung.