Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Operation eines großen Weichteiltumors ohne ausreichende präoperative Tumordiagnostik

Resection of Large Soft Tissue Tumor with Inadequate Pre-operative Tumor Diagnostics

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 05/2009

Kasuistik

Eine 47-jährige Frau begab sich wegen einer Anschwellung im Bereich der linken Hüftregion in Behandlung eines niedergelassenen Chirurgen. Dieser stellte einen 15 bis 20 Zentimeter großen Weichteiltumor fest. Konventionelle Röntgenaufnahmen und Sonographie der betroffenen Regionen bestätigten einen entsprechend großen Weichteilprozess ohne nähere Differenzierung. Der Prozess wurde im Rahmen eines ambulanten Eingriffes operiert. Unter der Operation hatte der Chirurg den Eindruck, dass ein vereiterter Bluterguss vorläge. Er entfernte flüssige und solide Bestandteile des Prozesses, ohne diese histologisch untersuchen zu lassen. Der Eingriff wurde ohne vollständige Entfernung des Befundes unter Einlage einer Saugdrainage beendet.

Die Operationswunde heilte nicht ab. Wiederholt erfolgten Wundrevisionen mit Entfernung von „Nekrosen“. Fünf Wochen nach der Erstoperation wurde aus der Wunde abgestoßenes Material zur histologischen Untersuchung eingesandt. Jetzt wurde die Diagnose eines synovialen Sarkoms gestellt. Der Tumor wurde daraufhin in einer Klinik unter onkologischen Kriterien exstirpiert. Die Wundheilung war nach Spalthautdeckung eines primär belassenen Hautdefektes letztlich unkompliziert. Im Rahmen der präoperativen Tumordiagnostik wurde eine Lungenmetastase festgestellt, und thorakoskopisch entfernt. Postoperativ wurde eine Radiochemotherapie angeschlossen. Ein halbes Jahr später musste eine zweite Lungenmetastase entfernt werden.

Die Patientin wirft dem erstbehandelnden Chirurgen vor, den Tumorbefund nicht vor der Operation ausreichend diagnostiziert und bei der Operation die histologische Klärung unterlassen zu haben. Hierdurch seien Diagnose und sachgerechte Therapie um einen unvertretbar langen Zeitraum verzögert worden. Auch wären ihr die Erstoperation und die wiederholten Revisionsoperationen bis zur Tumorentfernung erspart geblieben.

Der betroffene Arzt nahm zu den Vorwürfen wie folgt Stellung: Der Operationsbefund habe einem in Organisation befindlichen Hämatom entsprochen, so dass er zunächst keine Veranlassung für eine histologische Untersuchung sah. Das Gewebe habe er trotz seiner langjährigen Erfahrung falsch eingeschätzt.

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter beurteilte den Behandlungsvorgang wie folgt: Die präoperative Diagnostik war unzureichend. Der Tastbefund eines 15 bis 20 Zentimeter großen Weichteiltumors hätte zwingend an das Vorliegen eines Sarkoms denken lassen müssen. Diese Diagnose wäre durch ein MRT mit hoher Wahrscheinlichkeit erhärtet worden mit der Konsequenz, dass die Behandlung stationär nach Tumorstaging (Lungenmetastasen!) und die Primäroperation unter onkologischen Kriterien durchgeführt worden wäre. Dieses Vorgehen hätte medizinischem Standard entsprochen. Die Indikation zur Tumoroperation unter ambulanten Bedingungen sei fehlerhaft im Hinblick auf die vermutlich erforderliche Operationsausweitung und die Beherrschung operativer Komplikationen gewesen. Das operative Vorgehen wäre gleichfalls zu beanstanden. Nachdem die radikale Ausräumung der wandständigen Tumoranteile dem Operateur technisch nicht möglich war, hätte die Operation abgebrochen und unter klinischen Bedingungen, zum Beispiel in kurzfristig anberaumter zweiter Sitzung, weitergeführt werden müssen. Das bei der Operation geförderte solide Gewebsmaterial hätte zwingend der histologischen Untersuchung bedurft. Nach fortdauernder Abstoßung von „Nekrosen“ hätten auch diese zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt histologisch untersucht werden müssen. Als Folgen der fehlerhaften Primärbehandlung des Tumorbefundes bezeichnet der Gutachter:

  • Unnötige Primäroperation, hierdurch bedingt Wundheilungsstörung mit mehreren erfolglosen Wundrevisionen („Nekrektomien“)
  • Verzögerung der adäquaten Tumortherapie infolge der unterlassenen histologischen Untersuchung um fünf Wochen sowie
  • psychische Belastung.

Die Eröffnung, dass die Diagnose eines malignen Tumors fehlerbedingt verzögert wurde, erzeugt beim medizinischen Laien verständlicherweise die Befürchtung, dass durch diese Verzögerung die Heilungschancen verschlechtert wurden. Die verzögerte Therapie des Sarkoms um fünf Wochen hatte keine Auswirkungen auf die Gesamtprognose des Tumorleidens. Die hämatogene Metastasierung in Form von Lungenmetastasen bestand bereits zu Behandlungsbeginn. Auf den weiteren Verlauf der Tumorerkrankung hatte die verzögerte Diagnose des Primärtumors keine beweisbar ungünstige Auswirkung. Allerdings sind die vermehrten psychischen Belastungen durch das Wissen um die Behandlungsverzögerung infolge der schuldhaft verzögerten Krebserkennung und eine gesteigerte Metastasenangst als vermeidbare Gesundheitsbeeinträchtigung zu bewerten und stellen einen immateriellen Schaden dar.

Die Schlichtungsstelle schloss sich den Wertungen des Gutachters an und empfahl eine außergerichtliche Regulierung.

Autoren:

HV

Prof. Dr. med. Heinrich Vinz

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover