Operation of Suspected Lipoma of the Abdominal Wall with Severe, Intra-abdominal, Post-operative Hemorrhage
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 03/2008
Kasuistik
Eine 26 Jahre alte Frau begab sich wegen einer kleinen Fettgeschwulst der Bauchdecke in der Nabelregion in gynäkologische Behandlung. Der Arzt entfernte die Geschwulst als „Lipom“ in örtlicher Betäubung im Rahmen eines ambulanten Eingriffs. In der darauf folgenden Nacht wurde die Patientin im beginnenden Blutungsschock in einer chirurgischen Klinik aufgenommen und dringlich laparotomiert. Operationsbefund: 1,5 Liter frisches Blut in der Bauchhöhle, aktuelle arterielle Blutung aus einem Gefäß des vorderen Aufhängebandes der Leber (Ligamentum teres hepatis), Zustand nach Eröffnung des Peritoneums bei der Voroperation an entsprechender Stelle. Die Blutung wurde gestillt. Die Bauchwand in Schichten verschlossen. Der Heilverlauf war ungestört. Entlassung aus stationärer Behandlung am fünften postoperativen Tag.
Die Patientin führte die Nachblutung auf einen ärztlichen Fehler zurück. Als Folgen davon werden bezeichnet: die Revisionsoperation sowie eine wetterfühlige, druckschmerzhafte und ästhetisch entstellende Operationsnarbe.
Der in Anspruch genommene Arzt bezeichnete in seiner Stellungnahme zum Vorgang nachträglich den von ihm erhobenen Operationsbefund als atypischen Bauchdeckenbruchsack. Eine schriftliche Einwilligung zur Operation und einen Operationsbericht gäbe es nicht.
Schwerwiegende Dokumentationsmängel
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter prüfte zunächst die Behandlungsunterlagen des Arztes. Es lag ein kompletter Dokumentationsmangel vor, insbesondere fehlten Anamnese, Lokalbefund und der Operationsbericht. Unabhängig von daraus resultierenden Beweislasterleichterungen für die Patientin ließ sich ein Behandlungsfehler nachweisen.
Es kann davon ausgegangen werden, dass primär eine paraumbilikale Hernie, im Falle der Lokalisation in der Mittellinie, eine epigastrische Hernie vorgelegen hat. Dies ist kein atypischer Befund, sondern eine typische Diagnose. Derartige paraumbilikale Hernien imponieren klinisch zunächst als eine Fettgeschwulst der Haut (subkutanes Lipom). Sie sind jedoch in der Regel druckschmerzhaft oder führen zu Schmerzen bei Anspannung der Bauchdecke (Anamnese!). In der Regel stellen diese Beschwerden die Indikation zur operativen Behandlung dar.
Der Arzt hat die naheliegende klinische Differenzialdiagnose paraumbilikale oder epigastrische Hernie offensichtlich nicht in Betracht gezogen und die Operation als Entfernung eines Lipoms des subkutanen Fettgewebes begonnen. Bei der Präparation hat er aber ausweislich des bei der Revisionslaparotomie erhobenen Befundes alle tieferen Bauchwandschichten eröffnet: vordere Rektusscheide beziehungsweise Rektusmuskulatur, gegebenenfalls hintere Rektusscheide, Peritoneum. Dieses Vorgehen ist nicht nachzuvollziehen. Wenn zur Entfernung des „Lipoms“ die Eröffnung der Rektusscheide notwendig war, so war in diesem Moment die Diagnose der epigastrischen beziehungsweise paraumbilikalen Hernie gesichert. Im Falle einer Hernie in der Mittellinie hätte die scharf begrenzende Bruchlücke auffallen müssen. Mit der Versorgung dieser Hernie wäre die Präparation der betroffenen Bauchwandschichten, die Abtragung des Fettgewebe enthaltenden Bruchsackes im Peritonealniveau und ein Nahtverschluss der festen Bauchdeckenschichten erforderlich gewesen. Aus der Komplikation der arteriellen Blutung aus dem Ligamentum teres hepatis kann mit ausreichender Sicherheit geschlossen werden, dass man bei der Exzision des Lipoms durch das präperitoneale Fettgewebe in das Ligamentum vorgedrungen war und unbemerkt ein größeres arterielles Gefäß verletzte. Andere Erklärungsmöglichkeiten sind nicht denkbar.
Eine postoperative Nachblutung ist nicht grundsätzlich Ausdruck eines operativen Fehlers, im vorliegenden Falle war sie jedoch fehlerbedingt. Die hier eingetretene Nachblutung betraf die unbemerkte Verletzung eines größeren Gefäßes im Bauchraum, das bei korrekter Operation einer epigastrischen beziehungsweise paraumbilikalen Hernie gar nicht getroffen worden wäre oder bei regelrechter Darstellung des Operationsgebietes nicht in die Gefährdungszone gelangt wäre.
Der dem Arzt anzulastende vermeidbare Fehler besteht primär in der Fehldiagnose des subkutanen Lipoms. Spätestens unter der Operation hätte die Diagnose einer Bauchwandhernie gestellt werden müssen, als die Präparation durch die Rektusscheide hindurch in das präperitoneale Fettgewebe vorgetrieben wurde. Wäre die Hernie korrekt mit blutstillender Abtragung des Bruchsackes einschließlich des „Leitlipoms“ sowie mit Nahtverschluss der festen Bauchdeckenschichten durchgeführt worden, so wäre die intraabdominale Nachblutung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermeidbar gewesen. Aus dem Behandlungsfehler resultieren die nachstehenden, zu Ansprüchen berechtigenden Folgen:
- Große Revisionslaparotomie,
- stationäre Behandlung von sechs Tagen,
- verlängerte Rekonvaleszenz um zirka drei Wochen sowie
- druckschmerzhafte und ästhetisch entstellende Operationsnarbe.
Die Schlichtungsstelle hielt Schadenersatzansprüche im dargestellten Rahmen für begründet und empfahl eine außergerichtliche Regulierung.