Post-ERCP Pancreatitis as a Result of Endoscopic Pancreatic Imaging without Medical Indication
Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 7/2010
Kasuistik
Die 51 jährige Patientin wurde von ihrem Hausarzt wegen unklarer Oberbauchschmerzen und eines leicht erhöhten Serumamylasewertes zum Internisten überwiesen. Dort gab sie an, seit Tagen unter Völlegefühl und Schmerzen im linken Oberbauch zu leiden. Bei der klinischen und sonographischen Untersuchung am gleichen Tage ergab sich kein wegweisender Befund. Daraufhin wurde acht Tage später eine ERCP (endoskopisch retrograde Cholangio-Pankreatikographie) durchgeführt mit folgendem Befund: Unter Prämedikation mit Buscopan, Dormicum und Tramal intravenös stellten sich die Major- und Minorpapille mit normalem Papillenspiel in typischer Lage dar. Nach Kanülierung der Majorpapille zeigte sich der Ductus pancreaticus auf ganzer Länge regelrecht weit und glatt begrenzt. Die Nebenäste zweigten normal auf. Verdrängungen oder Erweiterungen waren nicht zu beobachten. Keine Parenchymographie. Das Kontrastmittel entleert sich ohne Verzögerung.
Beurteilung: Normales Pankreasgangsystem, Duodenum und Magen ohne pathologischen Befund. Diagnose: Funktionelle Darmstörungen.
Nach einer etwa einstündigen Beobachtung wurde die Patientin im Laufe des Vormittags aus der Praxis entlassen.
Gegen Mittag rief die Patientin in der Praxis an und klagte über Bauchschmerzen. Es wurde ihr die Einnahme eines entblähenden Tees angeraten. Nach Zunahme der Beschwerden veranlasste der hinzugezogene Notarzt die Klinikeinweisung.
Unter der Arbeitsdiagnose einer Post-ERCP-Pankreatitis erfolgte die Klinikaufnahme. In den folgenden vierTagen wurden leichte Bauchschmerzen mit Analgetika behandelt. Bei dann zunehmenden Schmerzen unterhalb des rechten Rippenbogens erfolgte am 5. Tag der Ausschluss eines Herzinfarktes. Endoskopisch wurde eine Refluxösophagitis Stadium I. sowie ein Short-Barrett-Ösophagus mit leichter Epitheldysplasie festgestellt und mit einem Protonenpumpeninhibitor behandelt. Ein Spiral-CT ergab eine ödematös-exsudative Pankreatitis. Nachdem unter Karenz und Infusionsbehandlung ab dem 10. Tag nach der ERCP keine Beschwerden mehr angegeben wurden und die anfänglich erhöhte Serumlipase sich normalisiert hatte, erfolgte am 13. Tag nach der Aufnahme die Entlassung.
Die Patientin wirft dem Internisten, der die ERCP durchgeführt hatte, vor, ihr sei lediglich die Einnahme eines Pfefferminztees empfohlen worden, als sie über das Eintreten starker Schmerzen telefonisch berichtete. Nachdem in der Klinik eine akute Bauchspeicheldrüsenentzündung diagnostiziert worden wäre, gehe sie davon aus, dass durch fehlerhafte Behandlung und ein fehlerhaftes Folgeverhalten des Internisten ihre Erkrankung eingetreten sei.
Gutachten
Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter kam zu folgenden Kernaussagen:
Ein erhöhter Alpha-Amylase-Spiegel im Serum müsse immer geklärt werden. Die Differentialdiagnose reiche in einem solchen Falle von einer bedeutungslosen Hyperamylasämie bis hin zu einem fortgeschrittenen Pankreaskarzinom. Nach Anamnese und klinischer Untersuchung folge im diagnostischen Ablauf eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens. Wenn die Diagnose dann nicht eindeutig gesichert sei, wären weitere bildgebende Verfahren MRCP (Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie), CT, Endosonographie oder ERCP indiziert. Der in Anspruch genommene Internist habe sich jedoch für die ERCP als Maßnahme der ersten Wahl entschieden. Die ERCP sei von ihm sach- und fachgerecht durchgeführt worden. Bei dem zunächst völlig komplikationslosen Verlauf wäre es zu verantworten gewesen, die Patientin nach Hause zu entlassen.
Jede ERCP sei jedoch komplikationsträchtig mit einer Gesamtkomplikationsrate von sieben bis zehn Prozent, wobei leichte Post-ERCP-Pankreatitiden zirka drei Prozent und schwere bis zu 0,4 Prozent ausmachten. Eine Post-ERCP-Pankreatitis mache sich durch Schmerzen im Abdomen innerhalb einer Stunde bis zu zwölf Stunden nach der Untersuchung bemerkbar. Das Auftreten einer Post-ERCP-Pankreatitis spreche an sich nicht für einen ärztlichen Behandlungsfehler. Es handele sich um eine Komplikation, die auch bei sachgerechter Durchführung dieser Untersuchung auftreten könne. Im vorliegenden Falle entsprächen die vorgelegten Computertomographien unter Berücksichtigung des Verlaufs einer leichten ödematösen Post-ERCP-Pankreatitis.
Eine ERCP wäre jedoch nur dann ohne Einschränkung als Maßnahme der ersten Wahl indiziert gewesen, wenn sich aus der vorangegangenen Ultraschalluntersuchung die Indikation zu einer endoskopischen Intervention (Steinentfernung, Drainage) ergeben hätte. Das sei nicht der Fall gewesen. Offensichtlich seien der Patientin die Alternativen der weiterführenden Diagnostik, insbesondere die MRCP, nicht erläutert worden.
Eine MRCP hätte der ERCP vorgeschaltet werden müssen, um erst bei Hinweis auf die Notwendigkeit einer Intervention die ERCP einzusetzen. Hätte sich die Patientin nach entsprechender Aufklärung für eine MRCP-Untersuchung entschieden, wäre die Post-ERCP-Pankreatitis nicht aufgetreten.
Als die Patientin nach drei Stunden in der Praxis anrief und über Bauchschmerzen klagte, hätte bei der relativ hohen Komplikationsrate nach ERCP die Möglichkeit einer Post-ERCP-Pankreatitis erwogen und die Patientin umgehend unter weitere ärztliche Aufsicht gestellt werden müssen. Das sei jedoch erst acht Stunden nach dem Telefonat durch den von der Patientin gerufenen Notarzt erfolgt. Die Nachsorgemaßnahmen des Internisten seien somit ebenfalls nicht zeit- und sachgerecht gewesen.
Entscheidung der Schlichtungsstelle
Die Schlichtungsstelle schloss sich den gutachterlichen Erwägungen an und ging davon aus, dass bei entsprechender Aufklärung über methodische Risiken die Patientin sich für die risikoärmere MRCP entschieden und damit die Pankreatitis nicht erlitten hätte. Ferner hätte bei der telefonischen Schmerzangabe eine Post-ERCP-Pankreatitis differenzialdiagnostisch erwogen und die Patientin umgehend unter ärztliche Überwachung und Therapie, insbesondere auch Analgesie, gestellt werden müssen.
Die Schlichtungsstelle hielt daher Schadensersatzansprüche für begründet und hat eine außergerichtliche Regulierung empfohlen.