Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Paravenöse Infusion bei einem einjährigen Kind mit Nekrosebildung und nachfolgender Hauttransplantation

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 04/2009

Kasuistik

Ein einjähriges farbiges Kind wurde wegen hohen Fiebers und Erbrechens in einer Kinderklinik aufgenommen. In der ausführlichen, sorgfältig geführten ärztlichen Krankenakte ist die Indikation für eine parenterale Infusionsbehandlung begründet, da schon kurz zuvor in der Kinderklinik wegen einer prolongierten Mittelohrentzündung eine intravenöse antibiotische Behandlung mit Aminopenicillin vorgenommen worden war. Hohes Fieber und Trommelfellrötung signalisierten jetzt eine Progression der Erkrankung, so dass man sich zur Gabe von Erythromycin entschloss. Die Anlage der Infusion war wegen der Hautfarbe und der Unruhe des Kindes schwierig und wurde schließlich gegen 18 Uhr erfolgreich durch einen Oberarzt vorgenommen. Eine Kontrolle hat um 19 Uhr stattgefunden. Danach ist das Kind meistens von den Eltern auf dem Arm getragen worden, so dass die Möglichkeiten zu Beobachtung und Pflege eingeschränkt gewesen sind. Das Mädchen war zunächst unruhig und hat geschrieen, war jedoch bei der Übergabe an die diensthabende Schwester um 21.45 Uhr eingeschlafen. Bis 23 Uhr ist die Infusionsstelle nicht kontrolliert worden. Um 23 Uhr hat die Mutter das Kind verlassen. Um 23.50 Uhr hat die Nachtschwester das schlafende Kind auf den Rücken gedreht und dabei bemerkt, dass die Infusion in das Gewebe gelaufen war. Der gesamte linke Arm zeigte sich als prall geschwollen und fest. Das Kind erschien ruhig, die Finger waren gut durchblutet. Die Infusion wurde beendet. Am linken Handrücken bildete sich zunächst eine Blase und danach ein Geschwür, das später die Transplantation von Haut erforderlich machte. Der Klinik wurde eine fehlerhafte medizinische Behandlung vorgeworfen.

Was der Gutachter meint

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter führte aus, dass Extravasationen nicht selten seien, bei Kindern häufiger als bei sieben Prozent der Infusionen. Im konkreten Fall wäre erschwerend hinzugekommen, dass das Kind sehr unruhig gewesen sowie von den Eltern umhergetragen und versorgt worden sei. Allerdings sei die Indikation zur Infusionsbehandlung sowie Dosierung und Konzentration des Antibiotikums Erythromycin zu beanstanden. Das verwendete Antibiotikum wäre zudem schlecht venenverträglich. Die Dosisempfehlung des Herstellers sei überschritten worden. Für das Erythromycin hätte es gute Alternativen gegeben. Die ärztlichen Aufzeichnungen und die Überwachung der Tropfinfusion wären unzureichend gewesen.

Der Gutachter kam zu der Einschätzung, dass gegen seinerzeit geltende medizinische Standards verstoßen, also fehlerhaft gehandelt worden sei. Als fehlerbedingte Gesundheitsschäden wären zu qualifizieren: Verlängerung der stationären Behandlung, Schmerzen, Operation, Sensibilitätsstörung, Narbe.< Die Schlichtungsstelle schloss sich insoweit dem Urteil des Gutachters an, als dass die eingetretene Schädigung allein auf den Überwachungsfehler zurückzuführen ist, vermochte ihm jedoch hinsichtlich der Frage der Indikation für die Infusionsbehandlung und der Auswahl und Anwendung des Antibiotikums nicht zu folgen.

Probleme und Fehler

Die Anlage und Aufrechterhaltung von intravenösen Tropfinfusionen bei Säuglingen und Kleinkindern kann oftmals sehr schwierig sein und ist dadurch risikobehaftet. Im Alter von einem Jahr ist das Fettpolster meist gut ausgebildet und die Venen sind schwer erkennbar. Das gilt insbesondere für Kinder mit farbiger Haut. Bei der Anlage der Infusion ist der Zugang mitunter schwer zu fixieren und die Kinder sind oft nicht ruhig zu stellen. Erschwerend kam im konkreten Fall hinzu, dass das Kind nicht im Bett lag, sondern von den Eltern auf dem Arm umhergetragen wurde. Unter diesen Umständen kommt es nicht selten vor, dass Infusionsnadeln schon beim Anlegen die Venenwand schädigen oder die Infusionsnadel später aufgrund von Bewegungen durch die Venenwand perforiert. Zumeist wird die Kanüle entfernt und es wird lediglich ein dünner Kunststoffschlauch in der Vene belassen. Auch so kann es zu Undichtigkeiten in der Gefäßwand kommen. Dann läuft die Infusionsflüssigkeit, deren Druck durch eine Pumpe konstant aufrechterhalten wird, in das umliegende Gewebe.

Fehlerhaft war, dass angesichts der bekannten, oben beschriebenen Risikofaktoren zwischen 19 und 23.50 Uhr keine Sichtkontrolle der Tropfinfusion stattgefunden hat. In dieser Zeit muss das Paravasat entstanden sein. Nicht das Paravasat per se ist als fehlerhaft zu betrachten, sondern dass es zu spät erkannt wurde. Die Beschreibung der Kinderkrankenschwestern („der gesamte linke Arm war sehr prall geschwollen und sehr fest“) belegt, dass die Infusion schon längere Zeit paravenös gelaufen sein muss. Da das Paravasat offensichtlich keine wesentlichen Schmerzen verursachte (was der Tatsache zu entnehmen ist, dass das Kind in den letzten Stunden vor der Entdeckung des Paravasats geschlafen hat) ist offenbar im wesentlichen die Infusionsflüssigkeit und nicht das gewebsreizende und Schmerzen verursachende Medikament Erythromycin paravenös eingelaufen.

Selbst bei kurzen Überwachungsintervallen wäre eine Extravasation nicht vollständig zu verhindern gewesen. In den einschlägigen Lehrbüchern der Kinderkrankenpflege und in den Lehrplänen der Kinderkrankenpflegeschulen gibt es keine allgemeingültigen Regeln, wie häufig Infusionen zu überprüfen sind. Unstreitig dürfte aber sein, dass situationsangepasst Kontrollen in angemessenen Abständen vorzunehmen sind. In dem beschriebenen Fall wäre eine zunächst stündliche Kontrolle angemessen gewesen. Bei zeit- und sachgerechten Kontrollen hätte das Paravasat damit um eine oder zwei Stunden früher erkannt werden können. Somit wäre der Schaden geringer ausgefallen und – in der Folge – eine Hauttransplantation mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich gewesen.

Die Schlichtungsstelle empfahl eine außergerichtliche Regulierung der begründeten Schadenersatzansprüche.

Autoren:

KEvM

Prof. Dr. med. Karl Ernst von Mühlendahl

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover