Aus der Praxis der norddeutschen Schlichtungsstelle

Postoperative Wundinfektionen, grundsätzlich unverschuldet

Postoperative Wound Infection, Generally no Accountability

Erschienen im Niedersächsischen Ärzteblatt 08/2007

Kasuistik

Bakterielle Wundinfektionen sind ein ubiquitäres Risiko jeder Wundsetzung, auch bei chirurgischen Eingriffen. Die Höhe des Risikos hängt von zahlreichen Faktoren ab. Risikosteigernd wirken sich insbesondere aus: Operationen in bakteriell stark kontaminierten Hautregionen (Anus, Nabel), Operation mit Eröffnung des Darmtraktes, Operationen im infizierten Milieu bzw. septische Operationen, lange Operationsdauer, schlechter Ernährungszustand, konsumierende Krankheiten, Adipositas, Diabetes mellitus, insbesondere bei mangelhafter Einstellung, reduzierter Immunstatus, bakterielle Begleitinfektionen.

In der Rechtsprechung wird vorausgesetzt, daß heutzutage dem Patienten das grundsätzliche Risiko einer postoperativen Wundinfektion bekannt ist, so daß z.B. vor Durchführung einer größeren Operation eine präoperative Aufklärung über die Möglichkeit des Eintritts einer Wundinfektion entbehrlich ist. Aufzuklären ist aber über mögliche schwerwiegende Weiterungen einer Wundinfektion, wie z. B. der Notwendigkeit der Anlage einer Enterostomie bei Anastomoseninsuffizienz.

Beklagt werden Wundinfektionen in der Regel nur, wenn entweder präoperativ eine Verzögerung der Diagnostik/Behandlung eingetreten ist (klassisches Beispiel: Wundinfektion nach perforierter Appendizitis), oder wenn die Wundinfektion zu einer langfristigen Heilungsstörung mit wiederholten Revisionsoperationen und dauerhafter Schädigung führte, wie z.B. narbige Entstellung, Gelenkversteifung nach Gelenkempyem. Im Arzthaftungsverfahren ist im allgemeinen nicht die Tatsache der Entstehung der Wundinfektion das zu beurteilende Problem, sondern die zeitgerechte und sachgerechte Behandlung.

Sofern vom Antragsteller Mängel im Hygieneregime für die Entstehung der Wundinfektion verantwortlich gemacht werden, ist auf folgendes hinzuweisen: Das Hygieneregime im Operationssaal ist ein Komplex von zahlreichen Maßnahmen, Abläufen und Verhaltensweisen. Diese unterliegen einer gesetzlich festgelegten fortlaufenden Kontrolle. Die Durchführung der entsprechenden Kontrollmaßnahmen ist Routine. Infektionen von Operationswunden sind nicht grundsätzlich vermeidbar. Aus einer eingetretenen Wundinfektion kann nicht auf ein mangelhaftes Hygieneregime im Operationssaal geschlossen werden.

Aus der Art des Vortrages in vielen Antragstellungen kann geschlossen werden, daß ein entsprechendes informatives Gespräch zwischen Arzt und Patient noch während der stationären Behandlung ein Haftpflichtverfahren vermutlich vermieden hätte.

Die Unterlassung der prophylaktischen Antibiotikamedikation zur Vermeidung von postoperativen Wundinfektionen wird häufig beklagt. Hier ist in den Fällen ein ärztlicher Behandlungsfehler zu bestätigen, wenn es sich um eine evidenz-basierte Antibiotikaprophylaxe bei bestimmten Eingriffen handelte. Es wird auf die einschlägigen Leitlinien verwiesen, Übersicht bei Ebner + Mitarbeiter, Chirurg 2000, 71, S. 912-917.

Eine Antibiotikaprophylaxe führt zur Minderung des Infektrisikos, keinesfalls jedoch zur sicheren Vermeidung der Wundinfektion. Da im Einzelfall die Unterlassung der Antibiotikaprophylaxe medizinisch-wissenschaftlich nicht als gesicherte Ursache der Wundinfektion und ihrer Folgen gelten kann, ist die Kausalität nicht zu beweisen. Der Fehler der unterlassenen Antibiotikaprophylaxe führt wegen der Unbeweisbarkeit des Kausalzusammenhanges im Einzelfall grundsätzlich nicht zum Schadenersatzanspruch.

Folgendes Beispiel mag die Problematik der Beurteilung einer postoperativen Wundinfektion illustrieren

Bei einer 48-jährigen Frau bestand im Rahmen einer Adipositas (BMI 36) eine Fettschürze, die sie sich in einer Klinik für Plastische Chirurgie operieren ließ. Am Bauch bestanden zwei große Narben nach vorangegangenen Bauchoperationen. Es wurde eine Abdominoplastik in Verbindung mit einer Liposuktion im Bereich der Schamregion ausgeführt. Postoperativ trat eine die gesamte Operationsregion erfassende eitrige Wundinfektion auf. Diese Wundinfektion erforderte insgesamt 8 Revisionsoperationen zunächst in Form von Nekrektomien, später Wundrandadaptationen. Als Folge der Wundinfektion verblieb eine erheblich narbig entstellte, asymmetrische vordere Bauchwand. Beklagt wurden auch Schmerzen und ein einschnürendes Gefühl im Bereich der großflächigen Narbenregion. Die Patientin sah die Ursache dieses langwierigen, durch 8 Revisionsoperationen belasteten Verlaufes der Wundheilungsstörung in ärztlichen Behandlungsfehlern. U. a. sei die Wundinfektion selbst auf Hygienemängel im Operationssaal zurückzuführen.

Der von der Schlichtungsstelle beauftragte Gutachter des Fachgebietes Plastische Chirurgie kommentierte alle entscheidungserheblichen Einzelheiten des Behandlungsverlaufes und gelangte entsprechend der Fragestellung des Gutachtenauftrages zu folgenden Wertungen:
Die Bauchdeckenplastik war im Hinblick auf die durch die große Fettschürze bedingten Beeinträchtigungen medizinisch indiziert. Das angewandte Operationsverfahren war dem Befund angemessen. Die nachfolgende Wundinfektion war eine eingriffsimmanente unverschuldete Komplikation. Die Patientin sei über diese Komplikationsmöglichkeit und deren Folgen vier Tage vor der Operation ausweislich vorliegender Behandlungsdokumentationen ausreichend informiert worden. Die Behandlung der Wundinfektion erfolgte jederzeit entsprechend den aktuell vorliegenden Befunden. Der zeitliche Ablauf von Nekrosebildungen und Sekretverhaltungen zwang zu den wiederholten operativen Revisionen. Diese seien jeweils zeit- und sachgerecht durchgeführt worden. Bemängelt wird die unterlassene Antibiotikaprophylaxe. Antibiotika wurden erst nach Eintritt der Wundinfektion am 3. postoperativen Tag verabfolgt. Einen Fehler sieht der Gutachter in der unterlassenen perioperativen Antibiotikaprophylaxe nicht. Diese würde aber in vergleichbaren Fällen von der Mehrheit der Chirurgen durchgeführt.

Seitens der Patientin wurde den Aussagen des Gutachtens widersprochen. Erneut wurde u. a. der Vorwurf der unterlassenen Antibiotikaprophylaxe erhoben.

Die Schlichtungsstelle schloß sich den Wertungen des Gutachters an. Im Hinblick auf die Entgegnungen der Patientin zum Gutachten wurden ergänzende Argumentationen gegeben: Es wurde auf das relativ hohe Infektionsrisiko infolge der Übergewichtigkeit, der zwangsläufig sehr umfangreichen Wundsetzung und der besonders starken bakteriellen Hautkontamination in der fettschürzebedingten Hautfalte am Bauch verwiesen. Des weiteren können auch die vorbestehenden Bauchnarben zu unkalkulierbaren Durchblutungsstörungen der Haut infolge der methodisch bedingten Hautmobilisierung geführt haben. Die langfristige Heilungsdauer und die verbliebenen Beschwerden sowie die ästhetisch stark entstellende Vernarbung der Bauchwand waren nicht Folge fehlerhafter Behandlung. Eine Empfehlung zu einer außergerichtlichen Regulierung von Schadenersatzansprüchen konnte die Schlichtungsstelle nicht geben.

Autoren:

HV

Prof. Dr. med. Heinrich Vinz

Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
Hans-Böckler-Allee 3
30173 Hannover